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K&R 2015, I
Höppner 

Neutralität von Intermediären – zwischen Wettbewerb und Regulierung

Abbildung 1

RA Dr. Thomas Höppner, LL.M., Berlin

Das Internet hat sich zur wichtigsten Informationsquelle entwickelt. Nutzer vergleichen Produkte, diskutieren Nachrichten und bewerten die neuesten Videos. Damit kommt dem Internet nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch für die Meinungsbildung eine zentrale Bedeutung zu.

Gesteuert wird der Wettbewerb der Inhalte durch Intermediäre: Plattformen, die wie Suchmaschinen, Aggregatoren oder soziale Netzwerke zwischen Inhalte-Anbietern und Verbrauchern vermitteln. Wegen der unüberschaubaren Fülle der im Internet verfügbaren Informationen, übernehmen Intermediäre häufig nicht nur das Auffinden relevanter Inhalte, sondern auch deren inhaltliche Bewertung. Aus ihrer Sicht bedeutsame Inhalte werden als Erste eingeblendet, weniger relevante verdrängt. Verbraucher vertrauen oft auf diese Wertung. Das erste Ergebnis auf eine Suchanfrage wird z. B. doppelt so häufig angeklickt wie das zweite. Weiter hinten oder gar nicht gelistete Inhalte sind für Verbraucher im Netz faktisch nicht existent.

Eine besondere Gefährdungslage für den Wettbewerb und die Meinungsvielfalt entsteht, wenn ein Intermediär nicht lediglich zwischen Informationssuchenden und Inhalte-Anbietern vermittelt, sondern selbst Dienste mit eigenen Inhalten betreibt. Dann besteht ein ökonomischer Anreiz, Nutzer zu den eigenen Angeboten zu leiten und Konkurrenz auszublenden. Dieser Eingriff ist hinnehmbar, solange der Intermediär wirksamem Wettbewerb ausgesetzt und seine fehlende Neutralität erkennbar ist. Dann können Nutzer durch einen Wechsel des Intermediärs reagieren. Anders verhält es sich aber, wenn der Intermediär mangels Wettbewerbs faktisch den Zugang zu einer bestimmten Gruppe von Verbrauchern kontrolliert und nicht befürchten muss, dass die Begünstigung eigener Dienste durch einen Anbieterwechsel abgestraft wird.

So liegt der Fall etwa bei Google. In ihrer “Mitteilung der Beschwerdepunkte” vom April 2015 wirft die Europäische Kommission dem Unternehmen vor, seine Marktmacht im Bereich der Suche zu missbrauchen, indem es seinen eigenen Preisvergleichsdienst, Google Shopping, in den Suchergebnissen systematisch bevorzugt. Dadurch würden Nutzer künstlich diesem Dienst zugeführt. Relevantere Angebote würden nicht mehr gefunden und der Wettbewerb verzerrt. Als Abhilfe soll Google konkurrierende Dienste genauso behandeln wie seine eigenen.

Dieser Ansatz ist zu begrüßen, da nur so den Herausforderungen der Ökonomie marktbeherrschender digitaler Plattformen begegnet werden kann. Eine Pflicht zur Gleichbehandlung “intern gleich extern” war bislang im Kartellrecht nur für den Zugang zu “wesentlichen Einrichtungen” wie Häfen oder Energienetzen anerkannt (vgl. § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB). Die Kommission stellt nun klar, dass auch Intermediäre, die wie Google den Zugang zu bestimmten Nutzergruppen kontrollieren, einer solchen Gleichbehandlungspflicht unterliegen können. Ein Grund liegt in der mit wesentlichen Einrichtungen vergleichbaren Verfestigung der Marktmacht einiger Plattformen. Ein weiterer Grund liegt in der Preisstruktur: In der Digitalwirtschaft werden viele Dienste Verbrauchern kostenlos angeboten, weil sie über Werbung oder Vermittlungsgebühren finanziert werden. Spielt der Preis keine Rolle, ist für Verbraucher die Qualität eines Dienstes das zentrale Auswahlkriterium. Übernimmt nun aber faktisch ein Intermediär die Bewertung der Qualität, so wird der Wettbewerb der Dienste maßgebend durch die Intermediäre entschieden. Anders gewendet: die Gefahr, dass marktstarke Intermediäre Verbraucher künstlich zur Nutzung eigener Angebote auf benachbarten Märkten verleiten, indem sie diese als die relevantesten darstellen, ist besonders groß, wenn für Verbraucher nicht der Preis, sondern nur die Relevanz eines Angebots maßgebend ist. Chancengleichheit ist dann nur gewahrt, wenn die Intermediäre ihrerseits “neutral” in dem Sinne sind, dass sie bei der Vermittlung dieselben Kriterien auf alle Anbieter anwenden.

Der Kommission gelingt insoweit ein wichtiger Spagat. Sie schreibt nicht vor, nach welchen Kriterien Google Inhalte in den Suchergebnissen ranken und darstellen soll. Google bleibt Herr seiner Algorithmen. Die Kommission will Google aber verpflichten, die selbst entwickelten Kriterien auch auf seine eigenen Dienste anzuwenden. So erhalten alle digitalen Inhalte die gleiche Chance, ihr Publikum zu erreichen. Umgekehrt ist auch der freie und offene Zugang der Verbraucher zu den für sie relevantesten Inhalten geschützt.

Die Entscheidung der Kommission kann einen Präzedenzfall auch für andere Fälle der Begünstigung eigener und Diskriminierung konkurrierender Inhalte schaffen. Darauf scheint auch die Monopolkommission in ihrem jüngsten Sondergutachten “Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitaler Märkte” zu vertrauen. Das Gremium sieht ebenso einen Anreiz von Internetplattformen zur missbräuchlichen Bevorzugung eigener Dienste. Es empfiehlt, dieser Gefahr durch eine Weiterentwicklung der Grundsätze zum Missbrauch von Marktmacht durch die Gerichte und Behörden zu begegnen. Sollte dies allerdings nicht oder nicht rechtzeitig gelingen, wird der Gesetzgeber eingreifen müssen. Den Staat trifft insoweit die Aufgabe, die Entscheidungsbildung von Verbrauchern vor sachwidrigen Beeinflussungen zu bewahren. Als Grundpfeiler eines offenen Internets könnte am Ende ein übergreifendes Konzept der Neutralität von Intermediären stehen, die den Zugang zu bestimmten Nutzergruppen kontrollieren. Netzneutralität und Suchneutralität sind zwei erste, wichtige Komponenten dieses Konzepts.

RA Dr. Thomas Höppner, LL.M., Berlin

 
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