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WRP 2011, III
Beyerlein 

Alleskönner ./. Spezialisten

Überlegungen zur Notwendigkeit einer Spezialisierung deutscher Gerichte im Wettbewerbsrecht

Abbildung 1

Europäische Harmonisierungsbestrebungen, eine Flut neuer Gesetze mit teils recht kurzer Halbwertszeit und die immer mehr zunehmende Arbeitsbelastung der Gerichte in Deutschland regen zur Frage an, ob auch im Wettbewerbsrecht „jedes Gericht alles können muss“. Gerade die Kombination des „klassischen Wettbewerbsrechts“ (UWG) mit gesetzlichen Regelungen im Arzneimittelrecht, Lebensmittelrecht, Medizinprodukterecht, Kosmetikrecht und verwandter Rechtsgebiete (also dem „Gesundheitsrecht“) im Rahmen von Ansprüchen gemäß § 4 Nr. 11 UWG zeigt, dass nur unregelmäßig mit derartigen Rechtsproblemen befasste Gerichte hier oft überfordert sind. Wenn derartige Verfahren auch noch im einstweiligen Rechtsschutz betrieben werden, ist die Leistungsfähigkeit eines Gerichts, das nur alle Jahre einmal eine Frage aus dem Lebensmittelrecht bei seiner Rechtsfindung einbeziehen muss, mit speziellen Fragen, etwa der Zusatzstoffkennzeichnungspflicht, völlig überfordert.

Hinzu kommt, dass die über § 4 Nr. 11 UWG in wettbewerbsrechtliche Verfahren einbezogenen Spezialvorschriften aus dem Bereich des Gesundheitsrechts (AMG, LFGB, MPG, etc.) auch naturwissenschaftlich mit einem erhöhten Verständnisbedarf verbunden sind. Weiterhin bedarf es in den Gerichtsbibliotheken der Vorhaltung eines enormen Literaturbestandes, um sich auf zutreffender Basis den zu lösenden Rechtsproblemen stellen zu können. In der Praxis zeigt sich hier jedoch vielmehr, dass – zumindest bei einigen eher sporadisch mit dem Wettbewerbsrecht in Berührung kommenden Landgerichten – das Vorhandensein einer Kommentierung zum reinen UWG das Maximum dessen ist, was erwartet werden kann, wobei dann noch zu hoffen bleibt, dass dabei der zurate gezogene Gesetzeskommentar nicht mehr der „Baumbach/Hefermehl“ ist, sondern eine zumindest im Hinblick auf die Autorenschaft aktuellere Auflage.

Zwar besteht bei der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche oft die Möglichkeit, aufgrund des fliegenden Gerichtsstandes ein solches Gericht in der Sache anzurufen, welches sich „einen guten Ruf“ bei der Bearbeitung wettbewerbsrechtlicher Verfahren (auch mit Bezug zum Gesundheitsrecht) erarbeitet hat. Im Hinblick auf die Geltendmachung von Ansprüchen durch Verbände und andere klagebefugte Einrichtungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG werden gezwungenermaßen aber auch andere Gerichte mit entsprechenden Verfahren konfrontiert.

Ungeachtet der dem Praktiker wohl schon häufig untergekommenen Feststellung, dass eben vorwiegend rechtliche Fragestellungen aus dem Gesundheitsrecht von Gerichten oft gar nicht (rechtlich) zutreffend erfasst werden, fehlt es bislang an einer gesetzlichen Konzentration entsprechend gelagerter Fälle auf bestimmte, hierfür besonders ausgerüstete und ausgebildete Gerichte, wie es sie im gewerblichen Rechtsschutz ansonsten nicht selten gibt: Konzentrationsvorschriften für Gerichte und eine besondere Spezialisierung sind im Recht des Geistigen Eigentums bekannt und grundsätzlich auch allgemein als sinnvoll anerkannt (vgl. § 143 Abs. 2 PatG, § 27 Abs. 2 GebrMG, § 140 Abs. 2 MarkenG, § 52 Abs. 2 GeschmMG, etc.). Hierdurch soll erreicht werden, dass erfahrene Richter mit einer ausreichenden sachlichen Ausstattung berufen sind, über rechtlich oft schwierige Fragen des Geistigen Eigentums zu verhandeln.

Allerdings ist die Abgrenzung entsprechender Patent-, Gebrauchsmuster-, Marken- oder Geschmacksmusterstreitsachen von sonstigen Rechtsstreitigkeiten deutlich einfacher als die hier befürwortete Konzentration von wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen mit einem Bezug zum „Gesundheitsrecht“, also zum Arzneimittel-, Medizinprodukte-, Lebensmittel- oder Kosmetikrecht, da letztere Aufzählung ohnehin nicht abschließend sein kann. Auch hier wird es immer neue „Rechtsgebiete“ geben, die von einer solchen Aufzählung, die aus Gründen der Eindeutigkeit der gerichtlichen Zuständigkeit enumerativ sein muss, nicht erfasst sind. Gleichwohl kann durch eine gerichtliche Spezialzuständigkeit für die hier genannten Rechtsgebiete wohl für die Praxis bereits der größte Teil der auch ansonsten wirtschaftlich meist bedeutenden Verfahren einem spezialisierten Gericht zugewiesen werden, wenn eine entsprechende Gerichtsstandskonzentration erfolgt.

Im Ergebnis ist hier sicherlich noch ein erheblicher Diskussionsbedarf vorhanden, um zu klären, welche Verfahren, die eindeutig abgrenzbar sein müssen, tatsächlich aus wettbewerbsrechtlicher Sicht einer Gerichtsstandskonzentration zugefügt werden sollen. Für den anwaltlichen Praktiker ist jedoch genauso wie für die Gerichte eine solche Konzentration per se wünschenswert.

Thorsten Beyerlein
Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
BEYERLEIN RECHTSANWÄLTE, Mannheim

 
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