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RIW 2006, 1
Hoffmann 

Die grenzüberschreitende Verschmelzung im Aufwind!

Abbildung 1

Durch zwei (zumindest scheinbar) voneinander unabhängige Ereignisse ist in das Recht der grenzüberschreitenden Verschmelzung innerhalb der EU Bewegung gekommen. Nachdem zumindest deutschen Gesellschaften diese Möglichkeit stets vorenthalten worden ist, steht nun ein weitgehender Wandel der Rechtslage an. Zunächst wurde am 26. 10. 2005 die Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten verabschiedet (s. dazu Drinhausen/Keinath, RIW 2006, 81, in diesem Heft). Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Schaffung eines besonderen Verfahrens für die grenzüberschreitende Verschmelzung. Am 13. 12. 2005 urteilte der EuGH in der Entscheidung “Sevic Systems” (RIW 2006, 140, in diesem Heft), dass die grundsätzliche Verweigerung der Eintragung grenzüberschreitender Verschmelzungen in das Handelsregister nicht mit der Niederlassungsfreiheit zu vereinbaren ist, sofern innerstaatliche Verschmelzungen grundsätzlich zugelassen werden. Beschränkungen der Verschmelzungsmöglichkeit bedürfen der Rechtfertigung anhand der allgemeinen Grundsätze.

Auch vor dem Hintergrund der neuen Entscheidung des EuGH hat die Richtlinie große Bedeutung. Denn einerseits betrifft “Sevic Systems” wohl direkt nur die Frage der Hineinverschmelzung, ob also ein Mitgliedstaat die Verschmelzung verhindern darf, wenn der überlebende Rechtsträger eine Gesellschaft eigenen Rechts ist. Für den problematischeren Fall der Hinausverschmelzung, also die Frage, ob ein Mitgliedstaat seinen Gesellschaften verbieten kann, sich auf einen überlebenden ausländischen Rechtsträger zu verschmelzen, enthält das Urteil keine Aussage. Die Parallele zu “Überseering” ist augenfällig. Für deutsche Gesellschaften wird dies also erstmals aufgrund der Umsetzung der Richtlinie ermöglicht. Ferner sorgt die Richtlinie auch für den erforderlichen Schutz der Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern und nimmt so den Mitgliedstaaten die Abwägung ab, welche Schutzinstrumente mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Aufgrund des größeren Beurteilungsspielraums des Gemeinschaftsgesetzgebers dürfte dies auch als primärrechtskonform anzusehen sein.

Welchen Wert die Möglichkeit der Hinausverschmelzung für deutsche Gesellschaften haben wird, hängt zumindest für größere Unternehmen von der Mitbestimmungsfrage ab. Die insoweit in Art. 16 der Richtlinie geschaffenen Regelungen sind indes als wenig gelungen anzusehen. Diese Vorschrift überträgt durch weitgehende Verweisungen auf das SE-Recht die dort geltende Mitbestimmungslösung unter bestimmten Voraussetzungen auf die grenzüberschreitende Verschmelzung. Verhandlungsmodell und Auffangregelung, durch die sich letztlich die weitestgehende Mitbestimmung durchsetzt, werden also auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung gelten. Aus Sicht mitbestimmter deutscher Gesellschaften bedeutet dies, dass ihnen die Möglichkeit der Herausverschmelzung weitgehend genommen wird, müsste sich doch ein ausländischer Verschmelzungspartner für das Gesamtunternehmen ausländischen Rechts auf die deutsche Mitbestimmung einstellen. Schon für die SE wurde dies vielfach kritisiert – für die Verschmelzung gilt nichts anderes.

Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, ob die Mitbestimmungslösung bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von personalistischen Kapitalgesellschaften überhaupt praktikabel ist. Denn im SE-Recht korrespondiert insbesondere die Auffangregelung den organisationsrechtlichen Strukturen, die durch das SE-Statut vorgegeben werden. Eine SE muss also zwingend über das erforderliche Kollegialorgan verfügen, in dem die Mitbestimmung stattfinden kann. Für eine GmbH ausländischen Rechts wird das typischerweise nicht der Fall sein. Diese werden vielmehr in der Regel durch einen oder mehrere Geschäftsführer geleitet, und auch ein besonderes Aufsichtsorgan ist in den Ländern ohne Mitbestimmungstradition meist unbekannt. Die Frage, wie bei Fehlen von Kollegialorganen zu verfahren ist, beantwortet die Richtlinie schlicht nicht. Sollen die Arbeitnehmer befugt sein, gleichberechtigte Geschäftsführer zu bestellen? Gibt es dann – entgegen des nationalen Gesellschaftsrechts – eine Mindestzahl von Geschäftsführern? Oder soll das mitgliedstaatliche Recht verpflichtet sein, für den Fall der Mitbestimmung nach ausländischem Recht ein besonderes Aufsichtsorgan zu schaffen?

Diese unbeantworteten Fragen zeigen, dass die Mitbestimmungslösung nicht nur rechtspolitisch fragwürdig, sondern auch handwerklich wenig gelungen ist. Der Herausforderung, eine auf ganz unterschiedliche Gesellschaftsrechte anwendbare Regelung der Mitbestimmung zu schaffen, ist die Gemeinschaft mit der vorliegenden Richtlinie nicht gerecht geworden. Es bleibt zu hoffen, dass hierauf in Zukunft, insbesondere im Rahmen der bevorstehenden Sitzverlegungsrichtlinie, mehr Sorgfalt angewendet wird. Politische Kompromissformeln taugen eben nicht zur Schaffung komplexer, in sich stimmiger Regelungen.

Priv. Doz. Dr. Jochen Hoffmann, Universität Bayreuth

 
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