Pflichten der Geschäftsführer in der Krise – verlängerte Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kein Freifahrtschein
Der Bundestag hat es am 17. September 2020 beschlossen: Die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung bleibt bis zum 31. März 2021 ausgesetzt. Ganz ausdrücklich gilt diese Aussetzung nur für Unternehmen, die durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schieflage geraten sind. Und es ändert nichts an den Pflichten des Geschäftsleiters in der Krise. Dieser hat generell einen weitgefächerten Aufgabenkanon zu bewältigen. In Krisenzeiten gelingt ihm das regelmäßig nur, wenn er zuvor das Unternehmen strukturell richtig aufgestellt hat. Wo das nicht der Fall ist, muss er sich der Hilfe von Sonderfachleuten bedienen.
Dem Geschäftsleiter obliegt die Pflicht zur ordnungsgemäßen Unternehmensführung. Diese Pflichten konkretisieren die Anforderungen sowohl während des laufenden Geschäftes als auch bei auftretenden Krisensymptomen. Den Organen obliegt
die Führung des Unternehmens nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensführung,
bei drohender erkennbarer Krise weitergehende Maßnahmen zu ergreifen und
bei eingetretener Finanzierungs- und Liquiditätskrise den gesetzlichen Obliegenheiten nachzukommen.
Dabei hat der Geschäftsleiter zur Vermeidung seiner Haftung für eine Organisation zu sorgen, die jederzeit die erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft ermöglicht. Aus der Legalitätspflicht erwachsen weitere Organisationspflichten. Die von der Rechtsprechung herausgebildeten Regeln treffen die Geschäftsleiter aller Kapitalgesellschaften praktisch gleichermaßen und sind insoweit grundsätzlich rechtsformunabhängig.
Sie verlangen, dass Leitungsentscheidungen den Umständen und ihrer Bedeutung nach angemessen vorbereitet werden, sich diese Leitungsentscheidungen und deren Durchführung innerhalb der Grenzen der gesicherten Erkenntnisse und bewährten Erfahrung unternehmerischen Verhaltens halten, eine angemessene Kontrolle ausgeübt wird und durch einen Mindeststandard unternehmerischer Sorgfalt das benötigte Kapital erhalten bleibt. Dabei ist zu beachten, dass Grundlage jeden Leitungshandelns ein hinreichender Informationsstand der Geschäftsleitung ist.
Die Gesellschaft ist nach den anerkannten betriebswirtschaftlichen Regeln zu leiten, steuerliche Folgen zu bedenken. Zu den typischen Managementaufgaben gehört daher, dass die erforderlichen Daten analysiert werden und eine langfristige Unternehmensplanung, über die dann die Gesellschafter entscheiden, vorbereitet wird. Ferner gehört dazu die Abbildung von Risiken und Chancen in der Planungsrechnung, die zu einer integrierten Unternehmensplanung zu verdichten ist. Die Stellung des Unternehmens am Markt muss ständig beobachtet und gefördert werden. Ebenso ist ein Risikomanagementsystem einzurichten und bei einer sich abzeichnenden Ertragsschwäche oder eines finanziellen Engpasses eine Schwachstellenanalyse des Unternehmens vorzunehmen, Sanierungsmaßnahmen zu prüfen, einzelne Sanierungsmaßnahmen und in schwierigen Fällen ein umfangreiches Sanierungsverfahren einzuleiten. Die Sanierungspflicht des organschaftlichen Vertreters – im Sinne einer Rechtspflicht – umfasst in der Unternehmenskrise die Erarbeitung eines Sanierungskonzeptes einschließlich sämtlicher vorbereitenden Maßnahmen, die der Gesellschafterversammlung eine rasche Entscheidung über die notwendigen Sanierungsmaßnahmen ermöglichen. Verfügt der Geschäftsleiter nicht persönlich über die ausreichenden Kenntnisse, die er für die Prüfung der Insolvenzantragspflicht benötigt, hat er sich bei Anzeichen einer Krise der Gesellschaft unverzüglich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse und Offenlegung der Unterlagen von unabhängigen, für die Fragestellung fachlich qualifizierten Sonderfachleuten beraten zu lassen.
Es ist ein in der Praxis gewonnener Erfahrungssatz, dass Sanierungsmaßnahmen nicht früh genug eingeleitet werden können, weil sie oft eine dynamisch ablaufende Verlustentwicklung oder Liquiditätsenge abbremsen oder gar verhindern können.
Die Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften sollten berücksichtigen, dass sie für die Einhaltung umfangreicher Pflichten und Obliegenheiten verantwortlich sind, mithin das Risiko einer Fehlbeurteilung tragen, während dagegen die Chancen in der Regel auf der Gesellschafterseite liegen. Das heißt, in den Gesprächen mit den Stakeholdern ist auch von der Gesellschafterseite ein entsprechender Beitrag einzufordern.
Der Bundestag hat in seiner Sitzung vom 17. September 2020 eine Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes beschlossen: Seit 1. Oktober 2020 greift die Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit wieder, die Antragspflicht wegen Überschuldung nach Maßgabe des § 1 COVInsAG dagegen bleibt bis zum 31. März 2021 ausgesetzt. Diese Aussetzung betrifft nur Unternehmen, die “coronabedingt” in die Krise gekommen sind und bei denen Aussichten bestehen, dass die bestehende Zahlungsunfähigkeit beseitigt wird.
Zur Vermeidung eigener Haftung muss der Geschäftsleiter die Ertragsfähigkeit des Unternehmens und die Fortführungsprognose laufend verifizieren und dokumentieren.
Die Insolvenz ist der letzte Grad einer wirtschaftlichen Krise. Erfahrene Sonderfachleute können Wege aus dieser Krise finden. Man muss sie nur rechtzeitig einschalten und umfassend und richtig informieren.
Jörn Weitzmann, RA/FAInsR/FAStR, ist Partner der Kanzlei Kilger & Fülleborn. Seine Tätigkeitsschwerpunkte bilden u. a. die Sanierungs- und Restrukturierungsberatung, CRO Management, Insolvenzverwaltung, Betriebsfortführung und die Vertretung von Gläubigern, auch in Gläubigerausschüssen. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV).