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BB 2019, I
Hommelhoff 

Corporate Governance – mit reformiertem Kodex auf die Überholspur

Abbildung 1

In den deutschen Börsengesellschaften steht deren Corporate Governance in naher Zukunft vor einem doppelt getriebenen Aufbruch: Die im ARUG II umzusetzenden Vorgaben des Unionsrechts werden deren aktiengesetzliche Unternehmensverfassung fortschreiben; und der grundlegend reformierte Corporate Governance Kodex soll sie den ausländischen Investoren und Stimmrechtsberatern verständlicher machen, um bei ihnen für die Kodexempfehlungen Akzeptanz zu wecken.

In der Tat: Für eine Kodexreform von den Grundfesten her war und ist die Zeit reif. Vorstand und Aufsichtsrat in den Börsengesellschaften müssen die Empfehlungen oder die Abweichungen von ihnen aus innerer Überzeugung heraus tatsächlich leben und sie nicht allein der Rechtsabteilung als Fleißaufgabe “box ticking und Entsprechenserklärung” überlassen. Daher sind Grundsätze anstelle mehr oder minder gelungener Gesetzesreferate ein vielversprechendes Konzept – zumal solche Grundsätze die Ausländer gewiss besser über die Besonderheiten deutscher Corporate Governance informieren.

Zu ihr gehört, um ein vollständiges Bild der Realität zu zeichnen, die Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Bei einer grundlegenden Reform darf sie nicht länger ausgespart bleiben. Für entsprechende Empfehlungen hätte die Kommission den Mut finden sollen – etwa zur Abfuhr der Aufsichtsratsbezüge, die angesichts erheblich gesteigerter Anforderungen auch an Arbeitnehmervertreter völlig unangemessene Höhen erreicht hat, oder zur Besetzung der Aufsichtsratsausschüsse mit diesen Vertretern. Auch darüber benötigen ausländische Investoren und ihre Berater Informationen, die zugleich der Steuerung dienen.

Über die Anwendung der Kodex-Grundsätze soll sich jede Börsengesellschaft künftig erläuternd erklären (“apply and explain”). Das mag in anderen Ländern verbreitet so sein, scheint jedoch für die deutsche Corporate Governance kaum sinnvoll. Problematisch ist schon, wie dieser neue Mechanismus neben dem durch die zwingende Entsprechenserklärung gehärteten Mechanismus “comply or explain” in das Governance-System eingefügt werden soll: als weitere Angaben zusätzlich zu den in der Erklärung zur Unternehmensführung schon heute vorgeschriebenen? Außerdem: Die Grundsätze umfassen noch vor den elementaren Standards guter Unternehmensführung die wesentlichen Vorgaben vor allem aus dem satzungsstrengen, also bloß minimal individuell abänderbaren Aktiengesetz. Ihm müssen Vorstand und Aufsichtsrat folgen (Legalitätspflicht); das bedarf keiner Erläuterungen.

Zur Besetzung des Aufsichtsrats ist nachdrücklich der vorgeschlagenen Kodexempfehlung zu widersprechen, Aufsichtsratsmitglieder für längstens drei Jahre zu bestellen. Im Board-System fungiert die kurze Amtszeit der Boardmitglieder als Instrument, um diese am kurzen Zügel der Investoren zu halten. Eine solche Abhängigkeit widerspricht der ausgewogenen Machtbalance im deutschen Corporate-Governance-System und ist auch nicht flächendeckend in allen Börsengesellschaften geboten, um gerade die Aufsichtsräte in ihrer Besetzung flexibel zu halten. Nicht bloß beim Vorstand ist Langfristplanung angezeigt. Ganz nebenbei: Unabhängig vom zu überwachenden Vorstand sollten nicht allein die Vorsitzenden im Gesamtaufsichtsrat und in seinen Ausschüssen sein, sondern selbstverständlich sämtliche Ratsmitglieder.

Schwergewichtig reformiert werden sollen die Empfehlungen zur Vorstandsvergütung. Aber warum sollten die wenigen Freiräume, die das ARUG II den Börsengesellschaften noch belässt, durch Vergütungsempfehlungen noch weiter eingeengt werden? Aber wie auch immer: Im Wettbewerb widerstreitender Vergütungssysteme werden die Kodexempfehlungen nur ein Vorschlag unter mehreren sein. Seine praktische Überzeugungskraft wird jedes gewählte System jährlich im gesetzlich vorgegebenen Vergütungsbericht gegenüber den Anlegern und allen anderen Stakeholdern zu erweisen haben – insbesondere im Langzeitvergleich zwischen den Vorstandsbezügen hier und den durchschnittlichen der Arbeitnehmer dort.

Öffentlich verglichen wird der reformierte Corporate Governance Kodex dann aber auch mit den künftig aufzudeckenden Stimmrechtspolitiken der Investoren, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater. Sie werden sich der Prüfung durch die Stakeholder und der kritischen Beobachtung durch die Wirtschaftspresse, aber auch durch die Wissenschaft zu stellen haben. Nicht anders als die Unternehmen werden sich Investoren, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater recht bald gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit in Deutschland rechtfertigen müssen, sobald sie vom Kodex abweichen. Der Hinweis auf die Praxis im Board-System anderer Länder wird dann allein nicht genügen. All das wird wohl die Akzeptanz des Kodex sogar bei diesen Akteuren steigern helfen.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Hommelhoff war Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg, deren Rektor 2001–2007 sowie Richter an den OLG Hamm und Karlsruhe. Seit 2012 ist er Of Counsel der KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u. a. im deutschen und europäischen Gesellschafts- und Konzernrecht. Er ist Autor zahlreicher Bücher, Kommentare und Aufsätze zum Recht der Aktiengesellschaft und der GmbH sowie zum Bilanzrecht.

 
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