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RdF-News
13.11.2023
RdF-News
FG Düsseldorf: Übertragung der Anschaffungskosten auf angediente Wertpapiere auch bei erheblicher Barzuzahlung

FG Düsseldorf, 6.6.2023 – 13 K 84/22 E

ECLI:DE:FGD:2023:0606.13K84.22E.00

Volltext des Urteils: RdFL2023-316-1

Sachverhalt

Streitig ist, in welcher Höhe der Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen in Zusammenhang mit einem Anleihegeschäft sowie der Veräußerung von Zertifikaten an eine GmbH, deren Alleingesellschafter er ist, im Jahr 2018 (Streitjahr) erzielt hat.

Der Kläger erwarb am 19.11.2018 und 27.11.2018 Teilschuldverschreibungen einer Indexanleihe (nachfolgend „Anleihe“) in das Depot bei der A Bank in Z-Stadt. Nach den Emissionsbedingungen der Anleihe leitete sich ihr Nennbetrag aus der Summe der Indexstände des Dow Jones Industrial Average und des S&P 500 Indexes am Emissionstag der Anleihe ab (Basiswert) und errechnete sich durch Multiplikation des Basiswerts mit 0,01. Der Nennbetrag am Emissionstag der Anleihe (12.11.2018) betrug 281,134 Euro je Teilschuldverschreibung. Der Kläger erwarb insgesamt 32.013 Teilschuldverschreibungen zum Kurswert der Anleihe inklusive Handelsspanne i.H. von insgesamt 8.926.316,20 Euro.

Die Anleihe wurde mit 7,2638 % p.a. ab dem 19.11.2018 bis einschließlich 19.12.2018 verzinst. Die Rückzahlungsverpflichtung und die Rückzahlungsart des Emittenten waren nach den Emissionsbedingungen vom Verhältnis des Basiswerts zum Stand der Indizes Dow Jones Industrial Average und S&P 500 am 13.12.2018 abhängig (Referenzpreis des Basiswerts). Während der Referenzkurs am Emissionstag bei 28.113,40 Indexpunkten lag, berechnete sich ein Referenzpreis des Basiswerts am 13.12.2018 mit 27.247,92 Indexpunkten, was 96,921468 % des Anfangsreferenzpreises entsprach. Die Emissionsbedingungen sahen für den Fall, dass der Bewertungspreis am Fälligkeitstag weniger als 100 %, aber mindestens 85 % des Anfangsreferenzkurses beträgt, eine Rückzahlung durch Übertragung eines Liefergegenstands sowie Zahlung eines Differenzausgleichsbetrags vor. Der Kläger erhielt vom Emittenten als Liefergegenstand 32.013 Open End-Partizipationszertifikate auf den S&P 500 (nachfolgend „S&P 500-Zertifikate“) mit einem Kurswert von 23,32 Euro (32.013 x 23,32 Euro = 746.543,16 Euro) sowie einen Geldbetrag von 249,16 Euro je Teilschuldverschreibung, d. h. 7.976.359,08 Euro (32.013 x 249,16 Euro).

Mit Vertrag vom 20.12.2018 veräußerte der Kläger alle S&P 500-Zertifikate zu einem Preis von 22,37 Euro je Zertifikat an die B GmbH (nachfolgend: „B GmbH“), an der er 100 % der Anteile hielt. Der Veräußerungserlös betrug 716.130,81 Euro (32.013 x 22,37 Euro).

In den Erläuterungen zu seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr wies der Kläger auf die o. g. Vorgänge hin. Er habe einen Veräußerungsverlust durch die Veräußerung der Zertifikate am 20.12.2018 i.H. von 8.210.185,39 Euro (Veräußerungserlös 716.130,81 Euro abzüglich Anschaffungskosten 8.926.316,20 Euro) erzielt, der gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sei. Dieser Verlust unterliege – entgegen den Angaben in der Erträgnisaufstellung der Depotbank – nicht der Abgeltungssteuer. Auf den gezahlten Differenzausgleich in Geld von 7.976.359,08 Euro habe die Depotbank zutreffend die Kapitalertragsteuer einbehalten. Dies gelte auch für die ihm zugeflossenen Zinsen.

Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) setzte die Einkommensteuer mit Bescheid vom 30.12.2020 unter Berücksichtigung der in der Anlage KAP vom Kläger erklärten Beträge, aber unter Außerachtlassung seiner Erläuterungen zur Nichtanwendung des Abgeltungssteuersatzes hinsichtlich des Verlustes auf Grund der Veräußerung der S&P 500-Zertifikate an die B GmbH fest.

Dagegen legte der Kläger am 22.01.2021 Einspruch ein, über den das FA zunächst nicht entschied. Nach Erhebung einer Klage wegen Untätigkeit setzte das FA mit Einspruchsentscheidung vom 31.03.2022 die Einkommensteuer geringfügig herab, wies den Einspruch jedoch im Wesentlichen als unbegründet zurück. Der Wert der Zertifikate, die der Kläger im Dezember 2018 erhalten habe, trete mit einem Anteil von 8,56 % des Wertes der Teilschuldverschreibungen im Vergleich zur Barrückzahlung in den Hintergrund. Dem wirtschaftlichen Gehalt nach habe der Kläger aus der Rückzahlung der Schuldverschreibungen einen Verlust von 203.413,96 Euro (Wert der Zertifikate 746.543,16 Euro zzgl. Geldzahlung 7.976.359,08 Euro abzüglich Anschaffungskosten 8.926.316,20 Euro) erzielt. Dieser sei nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und Abs. 4 i.V.m. § 32d Abs. 1 EStG steuerlich zu berücksichtigen. Ferner sei ein Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate vom 20.12.2018 i.H. von 47.961,86 Euro (Verkaufspreis der Zertifikate 716.130,81 Euro abzüglich Anschaffungskosten der Zertifikate von 764.092,67 Euro) nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 4 i.V.m. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG zu erfassen. Die Anschaffungskosten für die Zertifikate ergäben sich aus den Anschaffungskosten für die Anleihe im November 2018 i.H. von 8.926.316,20 Euro multipliziert mit 8,56 %. Auf Fallgestaltungen, in denen der Baranteil – wie hier – höher sei als der Anteil der zugeteilten Wertpapiere, seien die Anschaffungskosten nach den Grundsätzen des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 18.01.2016 (Bundessteuerblatt – BStBl – I 2016, 85 Rz. 107) aufzuteilen.

Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger aus, er habe aus der Investition in die Anleihe Einkünfte aus Kapitalvermögen i.H. von insgesamt 8.025.994,02 Euro (49.634,94 Euro Zinsen und 7.976.359,08 Euro Differenzausgleichsbetrag) erzielt, die dem gesonderten Steuertarif nach § 32d Abs. 1 Satz 1 unterfielen, sowie einen Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate i.H. von 8.210.185,39 Euro, der gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG der tariflichen Einkommensteuer nach § 32a EStG unterliege. Das Verlustverrechnungsverbot des § 20 Abs. 6 EStG finde auf diesen Veräußerungsverlust keine Anwendung.

Die Anschaffungskosten der Anleihe von insgesamt 8.926.316,20 Euro seien auf Grund des nach den Emissionsbedingungen vorgesehenen und tatsächlich ausgeübten Andienungsrechts des Emittenten gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG auf die S&P 500-Zertifikate als Erfüllungssurrogat übergegangen, so dass die Anschaffungskosten der Zertifikate ebenfalls insgesamt 8.926.316,20 Euro betragen hätten. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG seien nach dem Wortlaut der Vorschrift erfüllt. Bei der Anleihe handele es sich um eine Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und nach den Emissionsbedingungen sei vorgesehen gewesen, dass die Lieferung der S&P 500-Zertifikate sowie die Zahlung eines Differenzausgleichs als Gegenleistung erfolgten. Bei den gelieferten Zertifikaten handele es sich um Wertpapiere i.S. von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG.

Eine teleologische Reduktion der Vorschrift komme nicht Betracht. Eine solche sei nur zulässig, wenn die wortgetreue Auslegung der Norm zu einem sinnwidrigen Ergebnis führe, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein könne. Im vorliegenden Fall widerspreche das Ergebnis der Anwendung der Vorschrift dem vom Gesetzgeber intendierten Sinn und Zweck der Norm gerade nicht. Nach dem Willen des Gesetzgebers habe § 20 Abs. 4a EStG eine praktikablere Ausgestaltung der Abgeltungssteuer insbesondere für Kreditinstitute bewirken sollen. Dies habe der Gesetzgeber vor allem bei den in § 20 Abs. 4a EStG angeführten Kapitalmaßnahmen als notwendig angesehen, bei denen die Erträge nicht in Geldzahlungen, sondern „liquiditätslos“ insbesondere in Form von Anleihen an Kapitalgesellschaften zuflössen.

Mit der speziellen Vorschrift des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG habe der Gesetzgeber zudem noch die weitere Zielsetzung verfolgt, die Besteuerung der von der Vorschrift erfassten Finanzinstrumente an die Besteuerung der Wandelanleihe (§ 221 des Aktiengesetzes – AktG –) anzugleichen, bei der bereits nach den zuvor geltenden Grundsätzen durch den Vorgang der Wandlung weder ein Kapitalertrag aus der Anleihe noch ein privater Veräußerungsgewinn durch Tausch der Anleihe in Aktien entstehe. Dem Gesetzgeber sei dabei durchaus bewusst gewesen, dass die Anwendung der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zu Ergebnissen führen könne, die im Vergleich zu geltenden ertragsteuerlichen Grundsätzen als systemwidrig anzusehen seien. Dieser Umstand sei jedoch erkennbar den primären Zielsetzungen des Gesetzgebers zur praktikableren Ausgestaltung des Abgeltungssteuerverfahrens und zur steuerlichen Gleichbehandlung bestimmter Vorgänge untergeordnet und damit hingenommen worden.

Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) liege weder in Bezug auf § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG noch auf § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG vor. Die Ausnutzung des Steuersatzgefälles begründe nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 2 AO, da Vorteile auf Grund unterschiedlicher Steuersätze der Schedulenbesteuerung immanent seien. Der von ihm – dem Kläger – im streitgegenständlichen Sachverhalt in Anspruch genommene Steuervorteil sei mithin vom Gesetzgeber vorgesehen. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) habe in den Urteilen vom 30.11.2022 (VIII R 15/19 und VIII R 30/20) und vom 16.03.2023 (VIII R 36/19) entschieden, dass die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG nicht deshalb ausgeschlossen sei, weil ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 AO vorliege.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 30.12.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.03.2022 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen des Klägers, die der tariflichen Einkommensteuer unterliegen, i.H. von derzeit -47.962 Euro auf -8.210.185 Euro herabgesetzt und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen des Klägers, die dem gesonderten Steuertarif nach § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, die Kapitalerträge (ohne Veräußerung von Aktien) i.H. von derzeit 100.117 Euro um 8.179.773 Euro (Barzuzahlung in Höhe von 7.976.359,08 Euro zzgl. des vom Beklagten angenommenen Verlustes von 203.413,96 Euro) erhöht werden.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Zur Begründung trägt es vor, § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG sei auf den Streitfall nicht anzuwenden, vielmehr sei nach allgemeinen Grundsätzen ein Tauschvorgang mit Mischentgelt anzunehmen. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG sei zur Vereinfachung des Abzugsverfahrens geschaffen worden. Die Norm verweise auf die entsprechende Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG. Bei einer Barkomponente werde diese bei einem Steuerpflichtigen als Kapitalertrag gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fingiert. Der BFH habe entschieden, dass Zuzahlungen nicht so hoch sein dürften, dass sie der gesamten Maßnahme das Gepräge gäben (BFH-Urteil vom 14.02.2022 VIII R 44/18). Die Barzuzahlung habe vorliegend das Zehnfache des Kurswerts der angedienten Zertifikate überstiegen. Sie sei so hoch gewesen, dass sie der gesamten Maßnahme das Gepräge gegeben habe. Dies führe dazu, dass der Vorgang nicht in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG falle. Vielmehr liege ein verschleierter Veräußerungsvorgang vor, anderenfalls ergäbe sich eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber einem Tausch mit Zuzahlung i.S. des § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG sowie einer Veräußerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG.

Unter Berücksichtigung des o. g. BFH-Urteils sei von einem verschleierten Veräußerungsvorgang gegen Mischentgelt auszugehen. Als Anschaffungskosten der erlangten Zertifikate sei der gemeine Wert der hingegebenen Anleihen im Zeitpunkt der Depotausbuchung abzüglich der erhaltenen Barzahlung anzusetzen. Die Anschaffungskosten der Zertifikate (§ 6 Abs. 6 Satz 1 EStG) betrügen 8.722.902,24 Euro (gemeiner Wert der hingegebenen Anleihen) abzüglich 7.976.359,08 Euro (erhaltene Geldzahlung), also 746.543,16 Euro. Aus der Veräußerung der Zertifikate habe der Kläger einen Verlust von 30.412,35 Euro erzielt (716.130,81 Euro abzüglich 746.543,16 Euro), der steuerlich nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG i.V.m. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG zu erfassen sei. Der Verlust aus der Veräußerung der Teilschuldverschreibungen belaufe sich, wie in der Einspruchsentscheidung dargelegt, auf 203.413,96 Euro.

Sollte der Senat die Auffassung, § 20 Abs. 4a Satz 3 i.V.m. Satz 2 EStG sei im Streitfall nicht anwendbar, verneinen, sei zu prüfen, ob ein Gestaltungsmissbrauch in Bezug auf die Regelung in § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG vorliege. Der zeitliche Ablauf der An- und Verkaufsvorgänge in Kombination mit den Emissionsbedingungen, laut derer die Andienung der Zertifikate im Vergleich zur Rückzahlung in den Hintergrund trete, stelle eine missbräuchliche Ausnutzung von § 20 Abs. 4a Satz 3 i.V.m. Satz 2 EStG dar. Dies führe entgegen dem Sinn und Zweck der Vorschrift dazu, dass die erhaltenen Wertpapiere überproportional mit stillen Lasten ausgestattet würden. Die nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 und § 32d Abs. 1 EStG mit 25 % zu besteuernde Barzahlung von 7.976.359,08 Euro entspreche in keiner Weise dem wirtschaftlichen Ertrag, den der Kläger aus der Rückzahlung der Teilschuldverschreibung erzielt habe. Vielmehr habe der Kläger aus dem Vorgang einen Verlust i.H. von 203.413,96 Euro erzielt.

Auf Grund der vollständigen Zuordnung der Anschaffungskosten zu den Zertifikaten stehe dem begünstigt besteuerten Ertrag ein künstlich erzeugter Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate i.H. von 8.210.185,39 Euro gegenüber, da die übermäßigen stillen Lasten nur eine Woche später durch die Weiterveräußerung der Zertifikate an die eigene GmbH realisiert worden seien. Der Kläger habe eine rechtliche Gestaltung gewählt, die den wirtschaftlichen Vorgängen nicht angemessen sei und im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem Steuervorteil geführt habe. Dieser Steuervorteil sei gesetzlich nicht vorgesehen, § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG i.V.m. § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG stelle lediglich eine Vereinfachungsregelung dar. Außersteuerliche Gründe für das Gestaltungsmodell lägen nicht vor. Der Kläger habe in den Erläuterungen zur Anlage KAP selbst erklärt, dass die Gestaltung aus steuerlichen Gründen gewählt worden sei.

Nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO entstehe der Steueranspruch bei einem Missbrauch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstehen würde. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG bleibe demnach steuerlich außer Betracht, so dass die Einkünfteermittlung entsprechend der Berechnung in der Einspruchsentscheidung zu erfolgen habe.

Aus den Gründen

Die Klage ist begründet.

1. Das FA hat im angefochtenen Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf den Verlust aus der Veräußerung der S&P 500-Zertifikate zwar zutreffend den tariflichen Steuersatz angewandt, ihn der Höhe nach jedoch zu Unrecht statt mit 8.210.185,39 Euro nur mit 47.961,86 Euro angesetzt (dazu unter a). Ferner hat das FA den Barzuzahlungsbetrag von 7.976.359,08 Euro zu Unrecht nicht der Besteuerung unterworfen und stattdessen einen Verlust aus der Rückzahlung der Teilschuldverschreibungen i.H. von 203.413,96 Euro erfasst (dazu unter b).

a) Der Kläger hat durch die Veräußerung der 32.013 S&P 500-Zertifikate am 20.12.2018 an die B GmbH nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG einen Verlust i.H. von 8.210.185,39 Euro erzielt, der der tariflichen Einkommensteuer unterliegt.

aa) Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Sonstige Kapitalforderungen in diesem Sinne sind Geldforderungen, bei denen die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage. Die veräußerten S&P 500-Zertifikate stellen – unstreitig – Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar. Dementsprechend hat das FA auch dem Grunde nach einen Verlust aus der Veräußerung berücksichtigt.

bb) Allerdings hat das FA den aus der Veräußerung der S&P 500-Zertifikate erzielten Verlust der Höhe nach unzutreffend gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ermittelt.

(1) Nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ist Gewinn i.S. des § 20 Abs. 2 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten. Vom Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4 EStG ist auch ein negativer Gewinn, d. h. ein Veräußerungsverlust, erfasst (vgl. BFH-Urteil vom 12.06.2018 VIII R 32/16, BStBl II 2019, 221, Rz. 12).

Die Einnahmen aus der Veräußerung der 32.013 S&P 500-Zertifikate beliefen sich auf 22,37 Euro je Zertifikat, also auf insgesamt 716.130,81 Euro. Entgegen der im Klageverfahren vom FA vertretenen Auffassung betrugen die Anschaffungskosten für die Zertifikate aber nicht lediglich 746.543,16 Euro, sondern entsprachen gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG den Anschaffungskosten für die 32.013 Teilschuldverschreibungen i.H. von insgesamt 8.926.316,20 Euro.

(2) Besitzt bei sonstigen Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG der Inhaber das Recht, bei Fälligkeit anstelle der Zahlung eines Geldbetrags vom Emittenten die Lieferung von Wertpapieren zu verlangen oder besitzt der Emittent das Recht, bei Fälligkeit dem Inhaber anstelle der Zahlung eines Geldbetrags Wertpapiere anzudienen und macht der Inhaber der Forderung oder der Emittent von diesem Recht Gebrauch, ist gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung das Entgelt für den Erwerb der Forderung als Veräußerungspreis der Forderung und als Anschaffungskosten der erhaltenen Wertpapiere anzusetzen. Nach dieser Regelung entsteht aus der Einlösung der Forderung zum einen ein Veräußerungsgewinn von 0 Euro, da der Gewinn erst durch die spätere Veräußerung der Wertpapiere realisiert wird. Zum anderen gilt das Entgelt für die Forderung als Anschaffungskosten für die erhaltenen Wertpapiere.

Im vorliegenden Fall betrugen die Anschaffungskosten für die 32.013 S&P 500-Zertifikate, die der Kläger am Fälligkeitstag vom Emittenten der Anleihe erhielt, gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG 8.926.316,20 Euro, denn dies entspricht dem von ihm entrichteten Entgelt für den Erwerb der Teilschuldverschreibungen der Anleihe im November 2018. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG sind – entgegen der Ansicht des FA – erfüllt.

(a) Die Teilschuldverschreibungen der Indexanleihe stellen Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar. Auf Grund der Verzinsung von 7,2638 % p.a. war ein „Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt“ und auch „geleistet“ worden. Darüber hinaus war die Rückzahlung des Kapitalvermögens – zumindest teilweise – zugesagt. Dass es sich bei den Teilschuldverschreibungen des Klägers um sonstige Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG handelt, stellt auch das FA nicht in Abrede, so dass der Senat auf weitere Ausführungen verzichtet.

(b) Ferner besaß der Emittent entsprechend dem Erfordernis des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG das Recht, bei Fälligkeit dem Kläger anstelle einer Zahlung Wertpapiere anzudienen, denn er war berechtigt, die Rückzahlung der Forderung durch Übertragung von S&P 500-Zertifikaten und Zahlung eines Differenzausgleichsbetrags vorzunehmen, wenn – wie hier – der Bewertungspreis am Fälligkeitstag weniger als 100 %, aber mindestens 85 % des Anfangsreferenzkurses betrug. Der Emittent machte von diesem Recht auch Gebrauch, da er 32.013 S&P 500-Zertifikate an den Kläger lieferte und einen Geldbetrag i.H. von 7.976.359,08 Euro zahlte.

(3) Entgegen der Auffassung des FA handelt es sich bei der Übertragung der S&P 500-Zertifikate und der Leistung eines Zuzahlungsbetrags nicht um eine verschleierte Veräußerung der Teilschuldverschreibungen durch den Kläger. In dem vom FA für seine Auffassung angeführten BFH-Urteil vom 14.02.2022 (VIII R 44/18, BStBl II 2022, 636) hat der BFH entschieden, dass die Verschmelzung zweier US-amerikanischer Kapitalgesellschaften auf Grund der Höhe der Zuzahlung, die der Anteilseigner neben den neuen Gesellschaftsanteilen erhalten hatte, nicht in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 13 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) fällt. Dies habe – so der BFH – zur Folge, dass § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG auf diesen Verschmelzungsvorgang nicht anwendbar sei, da bei einer an den Gesetzesmaterialien orientierten Auslegung des Tatbestandsmerkmals von § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG „Tausch auf Grund gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen“ nur Verschmelzungen erfasst würden, die dem Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 5 UmwStG unterlägen. Der BFH war der Auffassung, dass bare Zuzahlungen von etwa 250 % des Aktienkurses der neu eingebuchten Aktien der (notwendigen) Vergleichbarkeit mit einer inländischen Verschmelzung i.S. des § 2 Nr. 1 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) entgegenstünden und zu einer „verschleierten Aktienveräußerung“ führten, die ihrerseits nicht in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG falle.

(a) Die rechtlichen Erwägungen, die in der o. g. BFH-Entscheidung zur Nichtanwendung des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG geführt hatten, sind auf § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG nicht übertragbar. Der durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2009 vom 19.12.2008 (BGBl I 2009, 2794) eingeführte § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG hatte zunächst das Ziel, dass sich bei Andienungsrechten (z. B. Umtausch- oder Aktienanleihen), bei denen statt Rückgabe des Nominalbetrags Aktien oder andere Wertpapiere an den Inhaber der Anleihe geleistet werden, die Übertragung der Aktien steuerlich nicht auswirkt (BT-Drs. 318/10, S. 79). Nur die spätere Veräußerung der Aktien sollte für die Festsetzung der Einkommensteuer und für den Quellensteuerabzug durch die Kreditinstitute relevant werden. Damit wurde die Besteuerung dieser Finanzinstrumente an die Besteuerung der Wandelanleihe angeglichen, bei der bereits nach früher geltenden Grundsätzen durch die Wandlung weder ein Kapitalertrag aus der Anleihe noch ein privater Veräußerungsgewinn durch Tausch der Anleihe in Aktien entstand (BR-Drs. 545/08, S. 73). Allerdings wurde die erstrebte Steuerneutralität bei der Ausübung von Andienungsrechten über die Andienung von Aktien hinaus auf die Andienung von anderen Wertpapieren ausgedehnt, weil die Rechtsfolgen nicht nur für Aktien, sondern für alle Wertpapiere gelten sollten. Der Gesetzgeber begründete dies damit, dass die Vereinfachung des Abzugsverfahrens auch in diesen Fällen gerechtfertigt sei (BT-Drs. 16/11108, S. 16). Der ebenfalls durch das JStG 2009 eingeführte § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG, der vorsieht, dass eine zusätzlich zu den Anteilen erhaltene Gegenleistung als Ertrag zu versteuern ist, sollte klarstellen, dass diese Zahlung als steuerpflichtig zu behandeln und dem Kapitalertragsteuerabzug zu unterwerfen ist. Es sollte aber bei der Grundaussage bleiben, dass die Anschaffungskosten der hingegebenen Anteile auch in diesem Fall auf die neuen Anteile zu übertragen sind (BT-Drs. 16/11108, S. 16).

Mit dem JStG 2010 vom 08.12.2010 (BGBl I 2010, 1768) erweiterte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG sodann auf Vollrisikozertifikate mit Andienungsrecht. Vollrisikozertifikate sind Schuldverschreibungen, bei denen die Wertentwicklung von der Entwicklung eines Basiswerts, d. h. eines Indexes, abhängig ist und bei denen sowohl die Rückzahlung des Kapitals als auch die Erzielung von Erträgen unsicher ist (BR-Drs. 318/10, S. 79).

Vor diesem Hintergrund ist für das vom FA dargestellte Verständnis des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG, wonach eine hohe Barzuzahlung dazu führen soll, dass § 20 Abs. 4a Sätze 3 und 2 EStG nicht anwendbar wären und es sich um einen Tausch gegen Mischentgelt handelte, kein Raum. Der Gesetzgeber hat gerade für den Fall der Barzuzahlung mit § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG die (sofortige) Versteuerung als Ertrag vorgesehen und dabei an der Grundaussage der Sätze 1 und 3 festgehalten, dass die Anschaffungskosten der hingegebenen Anteile auch in diesem Fall auf die neuen Anteile zu übertragen sind. Nach Auffassung des BFH führte die hohe Barzahlung im vom FA genannten Urteil vom 14.02.2022 (VIII R 44/18, BStBl II 2022, 636, Rz. 20) nur deshalb zur Nichtanwendbarkeit des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG, weil eine bare Zuzahlung in der dortigen Größenordnung der Vergleichbarkeit mit einer inländischen Verschmelzung i.S. des § 2 Nr. 1 UmwG entgegenstand. Im vorliegenden Fall stellt sich das Problem der Vergleichbarkeit einer Verschmelzung von zwei ausländischen Gesellschaften mit einer inländischen Verschmelzung aber nicht.

(b) Eine teleologische Reduktion des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG dahingehend, dass die Vorschrift in Fällen keine Anwendung findet, in denen die Barzuzahlung den Wert der übertragenen Wertpapiere um ein Vielfaches übersteigt, kommt nicht in Betracht.

Eine teleologische Reduktion zielt darauf ab, den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht auf ihren Gesetzeszweck gegenüber dem zu weit gefassten Wortlaut einzuschränken. Sie ist nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, nicht bereits gerechtfertigt, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung rechtspolitisch fehlerhaft erscheint. Ihre Aufgabe ist es nicht, das Gesetz zu verbessern, obwohl es sich – gemessen an seinem Zweck – noch nicht als planwidrig unvollständig oder zu weitgehend erweist. Vielmehr muss die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen (BFH-Urteil vom 30.11.2022 VIII R 15/19, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz. 35 m.w.N.).

Danach scheidet eine teleologische Reduktion des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG in der Weise, dass die Vorschrift im Streitfall nicht zur Anwendung kommt, aus. Zwar erfolgte der Verkauf der vom Emittenten angedienten S&P 500-Zertifikate – wie der Kläger vorträgt – aus steuerlichen Gründen. Allerdings hängt die Anwendbarkeit des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG nicht davon ab, aus welchen Gründen der spätere Verkauf der angedienten Wertpapiere durchgeführt wurde. Ziel des Übergangs der Anschaffungskosten der ursprünglichen Kapitalforderung auf die angedienten Wertpapiere ist es, diesen „Tausch“ steuerneutral zu gestalten und lediglich die zusätzlich zu den Wertpapieren vom Emittenten gewährte Gegenleistung (Barzahlung) nach § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG sofort als Kapitalertrag zu erfassen. Grund für die Steuerneutralität war neben der Angleichung an die Besteuerung der Wandelanleihe (siehe oben) eine praktikable Ausgestaltung für Kreditinstitute und eine Entlastung der Finanzverwaltung bei ansonsten streitanfälligen fingierten Bewertungen des Veräußerungspreises (BT-Drs. 16/10189, S. 50). Gemessen an diesem Zweck ist die Anwendung von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG in Fällen der zusätzlich zu den angedienten Wertpapieren gezahlten Gegenleistung ebenfalls sinnvoll und nicht planwidrig unvollständig.

Zudem hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG mit dem JStG 2020 vom 21.12.2020 (BGBl I 2020, 3096) zur Vermeidung missbräuchlicher Steuergestaltungen dahin geändert, dass die Anschaffungskosten der Kapitalforderung nur noch dann als Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile gelten sollen, wenn Wertpapiere i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG angedient werden. Mit dieser Einschränkung wollte der Gesetzgeber Steuergestaltungen entgegenwirken, deren Ziel es ist, „bei den Einkünften aus Kapitalvermögen einerseits voll abzugsfähige Verluste und andererseits steuerfreie Gewinne in ähnlicher Höhe zu erzeugen“ (BR-Drs. 503/20, S. 23). Um dieses „Steuerschlupfloch schnell zu schließen“, sei es erforderlich, die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG – entsprechend der ursprünglichen Zielrichtung – auf den Eintausch in Aktien zu beschränken (BR-Drs. 503/20, S. 23). Die Änderung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2021 (§ 52 Abs. 28 Satz 19 EStG). Die Tatsache, dass der Gesetzgeber in Zusammenhang mit dieser Änderung nicht zugleich die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG in Fällen ausgeschlossen hat, in denen die Barzuzahlung den Wert der angedienten Wertpapiere nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG um ein Vielfaches übersteigt, kann entnommen werden, dass § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG in diesen Fällen – nicht nur im Streitjahr, sondern auch nach aktueller Gesetzeslage – uneingeschränkt zur Anwendung kommen soll.

(c) Unter Berücksichtigung von Anschaffungskosten i.H. von 8.926.316,20 Euro für die angedienten und übertragenen S&P 500-Zertifikate und einem – unstreitigen – Veräußerungspreis von 716.130,81 Euro für die Übertragung der Zertifikate an die B GmbH am 20.12.2018 ergibt sich ein Verlust aus der Veräußerung dieser Zertifikate i.H. von 8.210.185,39 Euro.

cc) Eine Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ist entgegen der Auffassung des FA auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vorliegt.

(1) Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann das Steuergesetz durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht umgangen werden. Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt (§ 42 Abs. 2 Satz 1 AO).

(2) Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten liegt im Streitfall nicht vor. Der Kläger hat weder eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt noch führte die gewählte Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil.

(a) Die Verträge über den Erwerb der Teilschuldverschreibungen an der Anleihe sowie die dort vorgesehenen Tilgungsvereinbarungen stellen – entgegen der Ansicht des FA – keine unangemessene rechtliche Gestaltung dar. Es handelt sich bei den vom Kläger im November 2018 erworbenen Teilschuldverschreibungen um Hochrisikozertifikate mit Andienungsrecht, bei denen die Wertentwicklung von der Entwicklung eines Basiswerts abhängig war. Der Gesetzgeber hat mit dem JStG 2010 den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG auf Vollrisikozertifikate erweitert. Die Erweiterung sollte auch für diesen Teil der Finanzinstrumente zu einer Vereinfachung des Abzugsverfahrens beitragen, indem der „Tausch“ dieser Zertifikate in andere Wertpapiere steuerneutral erfolgte und dadurch eine praktikable Ausgestaltung für Kreditinstitute sowie eine Entlastung der Finanzverwaltung von einer streitanfälligen Bewertung der Veräußerungspreise geschaffen wurde (siehe dazu oben 1.a bb (3)). Allerdings sollte durch eine entsprechende Anwendung von § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG sichergestellt werden, dass eine neben den angedienten Wertpapieren geleistete Barzahlung sofort und nicht erst bei Veräußerung dieser Wertpapiere versteuert wird.

Eine Begrenzung der Anwendbarkeit des § 20 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG auf Fälle, in denen die Barzuzahlung einen bestimmten Prozentsatz des Werts der angedienten Wertpapiere nicht überschreitet, hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Sie würde auch dem Sinn und Zweck der Regelung (siehe dazu oben 1.a bb (3)) zuwiderlaufen. Diese gesetzgeberische Entscheidung darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass bei Verwirklichung des Tatbestands des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG auf der Grundlage des § 42 AO von einer Umgehungsgestaltung ausgegangen wird. Das gilt auch, wenn wegen der kurzen Laufzeit mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass es im Fälligkeitszeitpunkt zu einer Andienung von Wertpapieren statt einer ausschließlichen Barzahlung des Mindestbetrags kommen werde. Auch eine – wie das FA meint – „überproportionale“ Ausstattung der erhaltenen Wertpapiere mit stillen Lasten führt nicht zu einer unangemessenen rechtlichen Gestaltung der Vereinbarungen zwischen dem Kläger und dem Emittenten. Bei dem vom Gesetzgeber genannten (BR-Drs. 318/10, S. 79) Vollrisikozertifikat wäre es sogar denkbar, dass sich die ursprünglichen Anschaffungskosten für die Schuldverschreibungen in nahezu wertlosen angedienten Wertpapieren fortsetzen.

Soweit das FA vorträgt, die Barauszahlung entspreche in keiner Weise dem wirtschaftlichen Ertrag, den der Kläger aus der Rückzahlung der Teilschuldverschreibungen erzielt habe, da er einen Verlust von 203.413,96 Euro erlitten habe, trifft es zwar zu, dass der Kläger auch unter Berücksichtigung der Verzinsung der Hochrisikozertifikate einen wirtschaftlichen Verlust erlitten hat. Allerdings führt dies nicht zu einer missbräuchlichen Gestaltung, da auch Veräußerungsverluste vom Anwendungsbereich des § 20 EStG erfasst werden (BFH-Urteil vom 30.11.2022 VIII R 15/19, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz. 42).

(b) Darüber hinaus hat der Kläger auch keinen vom Gesetz, d. h. von § 20 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG, nicht vorgesehenen Steuervorteil erlangt. Die Barzahlung i.H. von 7.976.359,08 Euro stellt Einnahmen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar. Aus der ebenfalls im Dezember 2018 erfolgten Veräußerung der übertragenen S&P 500-Zertifikate erzielte der Kläger einen Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG i.H. von 8.210.185,39 Euro. Insgesamt beläuft sich sein Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, ohne Berücksichtigung der unstreitig erzielten und versteuerten Zinsen, auf 233.826,31 Euro. Exakt dieser Verlust ergibt sich auch aus der Berechnung des FA im Schriftsatz vom 27.10.2022, das einen Verlust aus dem „Tausch gegen Mischentgelt“ der Teilschuldverschreibung i.H. von 203.413,96 Euro sowie einen Verlust aus der Veräußerung der S&P 500-Zertifikate i.H. von 30.412,35 Euro (insgesamt 233.826,31 Euro) ansetzen möchte. Der vom FA als ungerechtfertigt erachtete Steuervorteil ergibt sich somit nicht aus der Anwendung von § 20 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG, sondern ausschließlich aus einer Berücksichtigung der tariflichen Einkommensteuer auf den Verlust aus der Veräußerung der S&P 500-Zertifikate an die B GmbH, weil für diese Kapitalerträge die Anwendung des gesonderten Tarifs gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ausgeschlossen war (dazu unter dd).

dd) Der Verlust gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG aus der Veräußerung der S&P 500-Zertifikate an die B GmbH i.H. von 8.210.185,39 Euro unterliegt der tariflichen Einkommensteuer, denn die Anwendung des gesonderten Tarifs gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ist ausgeschlossen.

(1) Nach § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegt die Einkommensteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nicht unter § 20 Abs. 8 EStG fallen, dem gesonderten Tarif von 25 %. Dies gilt jedoch nicht für Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 4 und 7 sowie Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und 7 EStG, wenn sie von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). Die B GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger ist, hat an ihn für den Erwerb der S&P 500-Zertfikate einen Veräußerungspreis gezahlt. Nach Abzug der Anschaffungskosten resultiert hieraus der vom Kläger erzielte (negative) Kapitalertrag i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG.

(2) Eine teleologische Reduktion des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG dahingehend, dass die Vorschrift in den Fällen keine Anwendung findet, in denen – wie vorliegend – durch die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht, kommt nicht in Betracht. Dazu hat der BFH in den Urteilen vom 30.11.2022 VIII R 15/19 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz. 33 ff.) und VIII R 30/20 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz. 20 ff.) umfangreiche Ausführungen gemacht. Im Hinblick darauf, dass das FA nie der Meinung war, es sei eine solche teleologische Reduktion des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG vorzunehmen, sieht der Senat von weiteren Ausführungen ab und bezieht sich insoweit auf die beiden genannten BFH-Entscheidungen.

(3) Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vorliegt. Auch dies ist durch die BFH-Urteile vom 30.11.2022 inzwischen höchstrichterlich geklärt. Da das FA bereits in der Einspruchsentscheidung nicht mehr die Auffassung vertrat, es liege ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vor, und dort selbst ausführte, der Verlust i.H. von 47.961,86 Euro (im Schriftsatz vom 27.10.2022 reduziert auf 30.412,35 Euro) unterliege nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG der tariflichen Einkommensteuer, verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen und nimmt auch insoweit auf die genannten BFH-Entscheidungen Bezug.

b) Durch die Zahlung eines Bardifferenzausgleichs am 20.12.2018 i.H. von 7.976.359,08 Euro hat der Kläger nach dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG zu versteuernde Kapitalerträge in dieser Höhe erzielt. Entgegen der Auffassung des FA ist kein Verlust aus einer Rückzahlung der Teilschuldverschreibungen i.H. von 203.413,96 Euro zu erfassen.

aa) Erhält ein Steuerpflichtiger in den Fällen des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zusätzlich zu den Anteilen eine Gegenleistung, gilt diese bei gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 Halbs. 2 EStG entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG als Kapitalertrag i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (Levedag in Schmidt, EStG, 42. Aufl., § 20 Rz. 217; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG Rz. 586; BMF-Schreiben vom 19.05.2022 IV C 1-S 2252/19/10003: 009, BStBl I 2022, 742 Rz. 106).

Der Kläger hat zusätzlich zu den 32.013 S&P 500-Zertifikaten am 20.12.2018 7.976.359,08 Euro vom Emittenten der Anleihe im Fälligkeitszeitpunkt der Teilschuldverschreibungen erhalten. Da es sich bei der Übertragung der S&P 500-Zertifikate anstelle der (Teil-)Rückzahlung des Anleihebetrags durch den Emittenten um eine Anschaffung der Zertifikate beim Kläger handelt, bei der die Anschaffungskosten der Teilschuldverschreibungen gem. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG als Anschaffungskosten der erhaltenen Zertifikate gelten (siehe dazu oben unter 1.a bb), ist die Barzuzahlung nach § 20 Abs. 4a Satz 2 als Kapitalertrag zu versteuern. Dieser Kapitalertrag unterliegt gem. § 32d Abs. 1 EStG dem gesonderten Steuertarif von 25 %, da die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 32d Abs. 2 EStG – unstreitig – nicht vorliegen.

bb) Durch die Rückzahlung der Teilschuldverschreibungen, die gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 EStG als Veräußerung gilt, hat der Kläger – anders als das FA meint – keinen Verlust i.H. von 203.413,96 Euro erzielt. Auf Grund der oben dargelegten Anwendbarkeit des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ist abweichend von § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG das Entgelt für den Erwerb der sonstigen Kapitalforderung (Teilschuldverschreibungen) als Veräußerungspreis dieser Forderung anzusetzen. Da das Entgelt für die Anschaffung der Teilschuldverschreibungen im November 2018 i.H. von 8.926.316,20 Euro zugleich als Veräußerungspreis für diese Schuldverschreibungen am 20.12.2018 anzusetzen ist, beträgt der Gewinn aus der Rückzahlung (Veräußerung) der Teilschuldverschreibungen gegen Übertragung der S&P 500-Zertifikate nach § 20 Abs. 4 EStG 0 Euro. Lediglich soweit der Kläger zusätzlich zu den Zertifikaten eine Barzahlung erhalten hat, sind ihm durch diese Zahlung Kapitalerträge zugeflossen (siehe oben unter 1.b aa).

2. Da das FA in der Einspruchsentscheidung wegen der Rückzahlung der Teilschuldverschreibungen negative Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif nach § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, i.H. von insgesamt 203.413,96 Euro der Besteuerung unterworfen hat, nach den obigen Ausführungen des Senats (unter 1.b) jedoch positive Einkünfte auf Grund der Barzuzahlung i.H. von 7.976.359,08 Euro anzusetzen sind, sind die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, um 8.179.773,04 Euro (7.976.359,08 Euro zzgl. 203.413,96 Euro) zu erhöhen. Ferner hat der Kläger aus der Veräußerung der S&P 500-Zertifikate einen Verlust von 8.210.185,39 Euro erzielt, der der tariflichen Einkommensteuer unterliegt (s. oben unter 1.a), während das FA in der Einspruchsentscheidung nur einen Verlust von 47.962 Euro erfasst hat. Der Verlust ist somit um weitere 8.162.223,39 Euro (8.210.185,39 Euro abzüglich 47.962 Euro) zu erhöhen.

Die Auferlegung der Berechnung der Einkommensteuer beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), denn die Ermittlung des festzusetzenden Betrags erfordert einen nicht unerheblichen Aufwand.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

5. Die Revision wird zugelassen, da die Frage, ob § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG keine Anwendung findet, sondern ein Tauschvorgang gegen Mischentgelt vorliegt, wenn die Barzuzahlung ein Vielfaches des Werts der angedienten Wertpapiere beträgt, grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat.

6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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