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RdF-News
06.01.2012
RdF-News
BGH: Zur Abzugsfähigkeit von Bestandsprovisionen nach Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz ("Phoenix")

BGH, Urteil vom 25.10.2011 - XI ZR 67/11

Leitsatz

Provisionsansprüche des Instituts können nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG (nur) im Wege der Aufrechnung berücksichtigt werden. Dies scheidet aus, wenn das Insti-tut den Anspruch nach dem Rechtsgedanken des § 654 BGB verwirkt hat.

EAEG § 4 Abs. 1

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die beklagte Entschädigungseinrichtung der Wertpa-pierhandelsunternehmen auf Entschädigung nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (im Folgenden: EAEG) in Anspruch.

Die Klägerin beteiligte sich mit Beteiligungsverträgen vom 22. April 1998 und 12. Februar 2002 mit Anlagebeträgen von 18.735,41 € und 8.560 € jeweils einschließlich Agio an dem Phoenix Managed Account (im Folgenden: PMA), einer von der Phoenix Kapitaldienst GmbH (im Folgenden: P. GmbH) im eige-nen Namen und für gemeinsame Rechnung der Anleger verwalteten Kol-lektivanlage, deren Gegenstand nach Nummer 1.4 der in den Geschäftsbesor-gungsvertrag einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgen-den: AGB) die Anlage der Kundengelder in "Termingeschäften (Futures und Optionen) für gemeinsame Rechnung zu Spekulationszwecken mit Vorrang von Stillhaltergeschäften" war. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sahen fer-ner in Nummer 10.2 vor, dass der P. GmbH eine Verwaltungsgebühr von 0,5% pro Monat von dem jeweiligen Vermögensstand des PMA zustehen sollte.

Die P. GmbH war bis Ende 1997 auf dem sogenannten Grauen Kapital-markt tätig. Ab dem 1. Januar 1998 wurde sie als Wertpapierhandelsbank ein-gestuft und der Aufsicht des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel unterstellt. Spätestens seit jenem Jahr legte die P. GmbH nur noch einen gerin-gen Teil der von ihren Kunden vereinnahmten Gelder vertragsgemäß in Ter-mingeschäften an. Ein Großteil der Gelder wurde im Wege eines "Schneeball-systems" für Zahlungen an Altanleger und für die laufenden Geschäfts- und Be-triebskosten verwendet.

Im März 2005 untersagte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-aufsicht der P. GmbH den weiteren Geschäftsbetrieb und stellte am 15. März 2005 den Entschädigungsfall fest. Am 1. Juli 2005 wurde über das Vermögen der P. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Klägerin meldete ihren Entschädigungsanspruch bei der Beklagten im April 2005 an. Im Juni 2009 erhob sie gegen die Beklagte vor dem Verwal-tungsgericht B. Untätigkeitsklage mit dem Antrag, die Beklagte zur Beschei-dung ihres Entschädigungsantrags, hilfsweise zur Zahlung von 20.000 € zu verpflichten. Das Verwaltungsgericht hat den Verwaltungsrechtsweg für unzu-lässig erklärt und den Rechtsstreit mit Beschluss vom 23. Oktober 2009 an das Landgericht Berlin verwiesen. Bereits mit Schreiben vom 21. September 2009 hatte die Beklagte der Klägerin eine Teilentschädigung von 12.732,75 € ge-währt. Darin stellte sie - nach Abzug von Agio, Handelsverlust und Bestands-provisionen - den "Endstand der Beteiligung" der Klägerin mit 21.618,45 € fest. Ferner machte sie - neben der Berücksichtigung des gesetzlichen Selbstbehalts von 10% - einen Einbehalt in Höhe von 7.470,96 € wegen möglicher Aussonde-rungsrechte der Klägerin an den auf den (Treuhand-)Konten noch vorhandenen Geldern geltend. Insoweit berief sie sich darauf, dass der Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. GmbH zur Frage des Bestehens von Aussonde-rungsrechten Rechtsgutachten eingeholt und Wirtschaftsprüfer beauftragt habe, die in ihren Gutachten zu unterschiedlichen Berechnungsmethoden mit unter-schiedlichen Ergebnissen gekommen seien.

Mit der Klage hat die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von 90% des einbehaltenen Betrages, d.h. von 6.723,86 €, verlangt. Sie ist der Ansicht, der Einbehalt wegen etwaiger Aussonderungsrechte und - hilfsweise - die Ab-züge der Bestandsprovisionen über 3.759,82 € seien nicht gerechtfertigt.

Das Landgericht hat der Klage nach dem Hauptantrag der Klägerin statt-gegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht der Klage nur in Höhe von 3.384,17 € stattgegeben; im Übrigen hat es die Klage abge-wiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Beru-fungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabwei-sungsantrag weiter, während die Klägerin mit ihrer Anschlussrevision zunächst die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrt hat. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 18. Juli 2011 eine weitere Teilentschädigung in Höhe von 6.723,86 € gewährt und anschließend gezahlt hat, hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Sie begehrt nunmehr - da die Beklagte der Erledigung widersprochen hat - die Feststellung, dass die Hauptsache erledigt ist.

Aus den Gründen

8          Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Dagegen ist auf die An-schlussrevision der Klägerin unter Aufhebung des Berufungsurteils und Abän-derung des Urteils des Landgerichts festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, weil die Klage zum Zeitpunkt des erledigenden Ereig-nisses zulässig und begründet war.

9          I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (Kam-mergericht, Urteil vom 25. Januar 2011 - 9 U 117/10, juris) im Wesentlichen ausgeführt:

10        Der Klägerin stehe zwar gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Ent-schädigungsanspruch aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EAEG zu; bei dem PMA han-dele es sich um ein Finanzkommissionsgeschäft. Die Beklagte habe aber zu Recht wegen möglicher Aussonderungsrechte der Klägerin einen Einbehalt vornehmen dürfen. Durch Aussonderungsrechte gesicherte Verbindlichkeiten seien nach §§ 3, 4 EAEG nicht entschädigungsfähig. Da der Beklagten nicht die Prüfung und Klärung der offenen insolvenzrechtlichen Fragen im Verhältnis zwischen den Anlegern und dem Insolvenzverwalter obliege, dürfe sie die höchstrichterliche Klärung dieser Fragen abwarten.

11        Die Klägerin habe aber gegen die Beklagte einen weiteren - hilfsweise geltend gemachten - Teilentschädigungsanspruch in Höhe von 90% der abge-zogenen Bestandsprovisionen, mithin in Höhe von 3.384,17 € (rechnerisch rich-tig: 3.383,84 €). Dieser Abzug sei zu Unrecht erfolgt. Die Klägerin sei so zu stel-len, wie wenn sie die Beteiligungsverträge nach Aufnahme des Schneeballsys-tems gekündigt bzw. nicht abgeschlossen hätte. Die Provisionen müsse sie sich nicht anrechnen lassen, weil die P. GmbH ihren Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung mit Aufnahme des fortgesetzt betrügerischen und ver-tragswidrigen Verhaltens verwirkt habe.

12        II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nur teilweise stand.

13        A. Revision der Beklagten

14        Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat den von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten Entschädigungsanspruch aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EAEG in Höhe von 90% der von der Beklagten ab-gezogenen Bestandsprovisionen, nach seiner von der Revision nicht angegrif-fenen Berechnung 3.384,17 €, zu Recht bejaht.

15        1. Die P. GmbH, ein unter anderem mit Finanzkommissionsgeschäften befasstes Kreditinstitut (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG), war nach den Feststel-lungen des Berufungsgerichts ein der beklagten Entschädigungseinrichtung zugeordnetes Institut (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EAEG). Den Ein-tritt des Entschädigungsfalles hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-aufsicht gemäß § 1 Abs. 5, § 5 Abs. 1 EAEG festgestellt.

16        2. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei eine Verbindlichkeit der P. GmbH gegenüber der Klägerin aus Wertpapiergeschäften bejaht.

17        a) Zwischen der Klägerin und der P. GmbH ist ein Geschäftsbesor-gungsvertrag über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumen-ten (hier: Derivate, § 1 Abs. 11 Sätze 1 und 4 KWG) im eigenen Namen für fremde Rechnung geschlossen worden. Dabei handelt es sich - wie der Senat mit Urteil vom 20. September 2011 (XI ZR 434/10, Rn. 15 ff., für BGHZ be-stimmt) im Einzelnen begründet hat - um Finanzkommissionsgeschäfte im Sin-ne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG und somit um Wertpapiergeschäfte nach § 1 Abs. 3 EAEG.

18        b) Es bestand auch eine Verbindlichkeit der P. GmbH gegenüber der Klägerin aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag.

19        Gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2010; vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. November 2010 - XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 15) sind Verbindlichkei-ten aus Wertpapiergeschäften Verpflichtungen eines Instituts zur Rückzahlung von Geldern, die Anlegern aus Wertpapiergeschäften geschuldet werden oder gehören und die für deren Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapierge-schäften gehalten werden. Wie der Senat mit Urteil vom 23. November 2010 (XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 14 ff.) entschieden und im Einzelnen begrün-det hat, wird von dieser Vorschrift auch der von der Klägerin gegen die P. GmbH geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der von ihr eingezahlten Gelder, der seine Grundlage in § 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB hat, erfasst. Denn bei den vertragswidrig verwendeten Anlagegeldern handelt es sich um Gelder, die dem Anleger gehören und für dessen Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten werden. Das Einlagensicherungs- und An-legerentschädigungsgesetz bezweckt gerade auch den Schutz des Anlegers vor solchen Vertragsverletzungen eines Instituts, die den Anspruch des Kunden auf Rückzahlung der eingezahlten, aber vertragswidrig verwendeten Gelder vereiteln (Senatsurteil vom 23. November 2010, aaO, Rn. 28).

20        3. Wie das Berufungsgericht weiter zutreffend ausgeführt hat, umfasst der Entschädigungsanspruch auch die von der Beklagten in ihrem Schreiben vom 21. September 2009 - zu Unrecht - abgezogene Bestandsprovision.

21        a) Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG richtet sich der Entschädigungsan-spruch des Anlegers nach Höhe und Umfang der ihm gegenüber bestehenden Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften unter Berücksichtigung etwaiger Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte des Instituts.

22        aa) Die Bemessung des Entschädigungsanspruchs erfolgt danach in zwei Schritten. Zunächst sind Höhe und Umfang der Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften festzustellen. Diese umfassen nach § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG die Verpflichtungen des Instituts auf Rückzahlung von Geldern, die Anle-gern aus Wertpapiergeschäften geschuldet werden oder gehören und die für deren Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten wer-den. Sodann sind etwaige Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte des In-stituts zu klären und gegebenenfalls nach allgemeinen Grundsätzen dem Ent-schädigungsanspruch gegenüberzustellen; die Darlegungs- und Beweislast trifft insoweit die Entschädigungseinrichtung (vgl. Senatsurteil vom 23. November 2010 - XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 32). Der so bemessene Entschädi-gungsanspruch ist gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EAEG auf 90% der Verbind-lichkeiten aus Wertpapiergeschäften und einen Gegenwert von 20.000 € be-grenzt.

23        bb) Entgegen der Auffassung der Revision sind die Bestandsprovisionen bei der Feststellung der Höhe und des Umfangs der Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG nicht zu berücksichtigen.

24        (1) Bereits der Wortlaut des § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG spricht dafür, dass unter den Begriff der Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften sämtliche Gelder fallen, die der Anleger dem Institut zur Anlage in Wertpapiergeschäften übergeben hat. Die Vorschrift stellt auf die Verbindlichkeiten des Instituts ge-genüber dem Anleger auf Rückzahlung von Geldern oder Herausgabe von In-strumenten ab. Diese Ansprüche haben ihre Grundlage in § 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB.

25            Gegenansprüche des Instituts auf Provisionszahlung werden dagegen von dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG nicht erfasst. Dies wäre nur dann anders, wenn es sich dabei um unselbständige Rechnungsposten der in dieser Vorschrift genannten Ansprüche handeln würde. Dies ist indes nicht der Fall. Die Provisionsansprüche sind eigenständige Ansprüche des Instituts, die ihre Grundlage in § 396 HGB bzw. hier in Nr. 10.2 AGB finden. Gegen die Ein-ordnung als bloßer Rechnungsposten spricht im Übrigen auch, dass ein solcher nur im Rahmen eines Rückzahlungsanspruchs berücksichtigt, nicht dagegen dem Anspruch auf Herausgabe von Instrumenten entgegengesetzt werden könnte und für eine solche unterschiedliche Behandlung kein sachlicher Grund besteht.

26        (2) Diese Auslegung wird durch die Systematik der § 1 Abs. 4 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG bestätigt. Danach sind die Ansprüche des Anlegers gegen das Institut einerseits und die Gegenansprüche des Instituts gegen den Anleger ("Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte") andererseits voneinan-der zu trennen. Provisionsansprüche des Instituts sind Gegenansprüche.

27        (3) Davon ist auch nach dem Willen des Gesetzgebers auszugehen. Nach der Gesetzesbegründung zur bis zum 30. Juni 2002 geltenden Fassung des § 1 Abs. 4 EAEG sollten in den Schutzbereich der Norm nur solche Ver-pflichtungen aus Wertpapiergeschäften fallen, die zu den vertraglichen Haupt-leistungspflichten gehören, nicht dagegen beispielsweise Schadensersatzan-sprüche aus Beratungsfehlern (BT-Drucks. 13/10188, S. 16). Mit der Neufas-sung des § 1 Abs. 4 EAEG durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2010) sollten nach dem Willen des Gesetzgebers im Wesentlichen redaktionelle Unklarheiten des Normtextes beseitigt werden (vgl. BT-Drucks. 14/8017, S. 69 f.), die den Schutzbereich der Vorschrift unberührt gelassen haben. Wenngleich die Unterscheidung zwischen Hauptleistungs-pflichten und Schadensersatzansprüchen aus Beratungsfehlern im Hinblick da-rauf zweifelhaft ist, dass auch die Beratungsleistung eine vertragliche Hauptleis-tungspflicht darstellen kann, ist das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel klar. Ge-schützt werden (nur) solche Ansprüche des Anlegers, die sich unmittelbar auf die Verschaffung von Rechten, Besitz oder Eigentum an Geldern oder Wertpa-pieren richten. Dazu gehören auch Ansprüche wegen der Verletzung vertragli-cher Pflichten, durch die - wie etwa im Falle der Unterschlagung oder Untreue die Ansprüche des Kunden auf die Verschaffung von Rechten, Besitz oder Ei-gentum an Geldern oder Wertpapieren vereitelt werden (vgl. Senatsurteil vom 23. November 2010 - XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 24 mwN). Maßgebend für die Bemessung des Entschädigungsanspruchs sind daher im Ausgangs-punkt die Gelder, die der Anleger dem Institut zur Anlage in Wertpapieren über-lassen hat. Dies ist der Nettobetrag seiner "Beteiligung".

28        (4) Diese Bestimmung des Schutzbereichs ist auch europarechtskon-form. § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG beruht auf Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger (ABl. EG 1997 Nr. L 84 S. 22). Dieser be-stimmt, dass dem Anleger Gelder zurückzuzahlen sind, die ihm geschuldet werden oder gehören und für seine Rechnung im Zusammenhang mit Wertpa-piergeschäften gehalten werden. Weiterhin gewährleistet diese Norm, dass dem Anleger die Finanzinstrumente zurückgegeben werden, die diesem gehö-ren und für seine Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften ge-halten, verwahrt oder verwaltet werden. Auch danach sind Ausgangspunkt für die Berechnung des Entschädigungsanspruchs die Gelder, die der Anleger dem Institut zur Anlage in Wertpapiergeschäften überlassen hat. Etwaige gesetzliche oder vertragliche Gegenansprüche des Instituts werden erst in Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie erwähnt. Beides ist daher zu trennen.

29        (5) Aus dem Senatsurteil vom 23. November 2010 (XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327) ergibt sich nichts anderes. Darin hat der Senat entschieden, dass neben den Scheingewinnen (aaO, Rn. 22 ff.) - auch das auf die Beteiligungs-summe gezahlte Agio (aaO, Rn. 30) und tatsächlich erzielte Handelsverluste (aaO, Rn. 31) nicht entschädigungspflichtig sind. Dies ist indes die Konsequenz aus dem vorstehend umrissenen Schutzumfang der Anlegerentschädigung. Das Agio ist nach den vertraglichen Vereinbarungen nicht zur Wertpapieranlage bestimmt, sondern soll den Verwaltungsaufwand des Instituts abdecken. Auf-grund dessen kann der Anleger das Agio allenfalls als Schadensersatz wegen von vornherein beabsichtigter Nichtdurchführung der Vermögensanlage her-ausverlangen. Dieser Anspruch wird vom Einlagensicherungs- und Anlegerent-schädigungsgesetz indes - wie oben dargelegt - nicht geschützt. Entsprechen-des gilt für den Ausgleich von Handels- oder Kursverlusten, die aufgrund einer fehlerhaften Anlagestrategie entstanden sind; auch diese kann der Anleger ge-gebenenfalls nur im Wege des Schadensersatzes von seinem Vertragspartner, nicht dagegen von der Entschädigungseinrichtung ersetzt verlangen, weil Bera-tungs- oder Anlagefehler nicht dem Schutz des Einlagensicherungs- und Anle-gerentschädigungsgesetzes unterfallen.

30        cc) Provisionsansprüche des Instituts können nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG (nur) im Wege der Aufrechnung berücksichtigt werden. Diese Vorschrift verweist insoweit - was auch im Einklang mit Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 97/9/EG steht - auf die allgemeinen Vorschriften, hier der §§ 387 ff. BGB. Da-nach muss die Gegenforderung insbesondere gleichartig und wirksam sein. Lediglich das Merkmal der Gegenseitigkeit wird durch § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG modifiziert. Die zur Aufrechnung gestellte Forderung muss somit vollwirksam und fällig sein, d.h. es muss sich um eine Forderung handeln, deren Erfüllung erzwungen werden kann und die frei von Einwendungen oder Einreden ist (§ 390 BGB; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Juli 2005 - IX ZR 142/02, WM 2005, 1855, 1856).

31        b) Nach diesen Maßgaben kann die Beklagte der Klägerin einen An-spruch auf Zahlung von Bestandsprovisionen nicht entgegenhalten. Für eine hier allein in Betracht kommende Aufrechnung fehlt es an einer Gegenforde-rung.

32        aa) Die P. GmbH hat ihren Anspruch auf die Verwaltungsgebühr, der seine Grundlage in Nr. 10.2 AGB hat, verwirkt.

33        Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Ver-gütungsanspruch nach dem Rechtsgedanken des § 654 BGB verwirkt sein, wenn ein Dienstverhältnis eine besondere Treuepflicht begründet und der Dienstleistende in schwerwiegender Weise diese Treuepflicht verletzt und sich dadurch als seines Lohnes unwürdig erweist. Das ist der Fall, wenn die Treue-pflicht vorsätzlich, wenn nicht gar arglistig, mindestens aber in einer grob leicht-fertigen Weise verletzt wird, die dem Vorsatz nahekommt (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 - IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 131 f.; Urteil vom 19. Mai 2005 - III ZR 322/04, WM 2005, 1480, 1481; Beschluss vom 23. September 2009 - V ZB 90/09, NJW-RR 2009, 1710 Rn. 8 ff. und Urteil vom 9. Dezember 2010 - IX ZR 60/10, WM 2011, 364 Rn. 14; jeweils mwN).

34        Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach den tatbestandlichen Fest-stellungen des Berufungsgerichts hat die P. GmbH schon vor der ersten Ein-zahlung der Klägerin die eingetretenen hohen Verluste zu verschleiern ver-sucht, indem sie zunächst Buchungen manipulierte, später fiktive gewinnbrin-gende Anlagegeschäfte über ein nicht existierendes Konto vortäuschte und die Einzahlungen der Anleger entgegen der vertraglichen Vereinbarung weit über-wiegend nicht mehr für neue Anlagen, sondern für Auszahlungen an Altkunden und für die laufenden Kosten verwendete. Damit hat sie ihre Treuepflicht in be-sonders grobem Maße verletzt und ihren Provisionsanspruch verwirkt (ebenso BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - IX ZR 60/10, WM 2011, 364 Rn. 14).

35        bb) Der Provisionsanspruch der P. GmbH kann auch nicht im Wege der fiktiven Betrachtung einer vertragsgemäßen Abwicklung der Wertpapierge-schäfte Berücksichtigung finden. Dafür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG stellt ausdrücklich auf etwaige Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte ab. Damit sind - wie dargelegt - nur tatsächlich und rechtlich bestehende und durchsetzbare Ansprüche gemeint.

36        B. Anschlussrevision der Klägerin

37        Die Anschlussrevision der Klägerin hat Erfolg. Auf den geänderten An-trag der Klägerin ist die Erledigung der Hauptsache festzustellen, weil die mit dem Hauptantrag erhobene Zahlungsklage im Zeitpunkt des erledigenden Er-eignisses, d.h. bei Zahlung der Beklagten, zulässig und begründet gewesen ist. Der Klägerin stand gegen die Beklagte aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und 2, § 5 Abs. 1 und 4 EAEG ein weiterer Teilentschädigungsanspruch in Höhe von 6.723,86 € zu, weil die Beklagte insoweit - entgegen der Auffassung des Beru-fungsgerichts - zu Unrecht einen Einbehalt wegen möglicher Aussonderungs-rechte der Klägerin an den auf den (Treuhand-)Konten noch vorhandenen Gel-dern geltend gemacht hat.

38        1. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass - wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung mit Urteil vom 20. September 2011 (XI ZR 434/10, Rn. 41 ff., für BGHZ bestimmt) ent-schieden und im Einzelnen begründet hat - § 4 Abs. 1 EAEG die Berücksichti-gung von Aussonderungsrechten bei der Bemessung des Entschädigungsan-spruchs gebietet. Indes hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, BGHZ 188, 317 Rn. 12 ff.) das Bestehen von Aussonderungs- oder Mitaussonderungsrechten der Anleger nach § 47 Abs. 1 InsO an den von der P. GmbH eingerichteten Einzahlungs- und Broker-konten verneint. Dies wird auch von der Beklagten nicht mehr in Frage gestellt. Aufgrund dessen bestand der Anspruch - unter Abzug des 10%-igen Selbstbe-halts - in der vom Landgericht zuerkannten Höhe.

39        2. Der Entschädigungsanspruch der Klägerin ist - wie der Senat ebenfalls mit Urteil vom 20. September 2011 (XI ZR 434/10, Rn. 50 ff., für BGHZ be-stimmt) entschieden und näher begründet hat - zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses auch fällig gewesen. In diesem Zusammenhang hat der Senat (aaO, Rn. 63) ausgesprochen, dass für die Fälligkeit der Erlass des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, BGHZ 188, 317) keine Rolle spielte. Hierdurch ist zwar entschieden worden, dass den Anlegern an den Einzahlungs- und Brokerkonten der P. GmbH weder ein Aussonderungs- noch ein Mitaussonderungsrecht nach § 47 Abs. 1 InsO zusteht. Dieses von dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. GmbH gegen einen Groß-anleger mit einer Beteiligungssumme von 11.130.000 US-Dollar betriebene Ver-fahren stellt aber keinen (tauglichen) "Musterprozess" dar, dessen Ausgang die Beklagte abwarten durfte. Dies folgt bereits daraus, dass die Beklagte nicht "Herrin" des Verfahrens war und z.B. eine Unterbrechung des Verfahrens im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gegen-partei nicht hätte verhindern können. Aufgrund dessen ist das unter Beweisan-tritt gestellte neue Tatsachenvorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 18. Oktober 2011, sie habe über den Gläubigerausschuss auf dieses Verfahren einwirken können, unerheblich. Darüber hinaus hat die Beklagte auch nicht dargelegt, dass sie auf dieses Verfahren in gleichem Maße Einfluss auf die Prozessführung nehme konnte, wie ihr dies in einem von ihr selbst geführten Rechtsstreit möglich gewesen wäre.

40        Der von der Klägerin geltend gemachte Entschädigungsanspruch war daher bereits bei Klageerhebung und erst recht im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses fällig. Aufgrund dessen kann offenbleiben, ob - würde man entge-gen der hier vertretenen Auffassung mit der Beklagten für den Eintritt der Fällig-keit im Ausgangspunkt erst auf den Erlass des Urteils des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, BGHZ 188, 317) zuzüglich einer weiteren Überlegungsfrist und der Frist des § 5 Abs. 4 Satz 6 EAEG abstellen - auch danach inzwischen Fälligkeit des von der Klägerin gel-tend gemachten Entschädigungsanspruchs eingetreten wäre.

41        III. Das Berufungsurteil ist daher auf die Anschlussrevision der Klägerin aufzuhe-ben, weil das Berufungsgericht zu Unrecht den von der Klägerin mit ihrer Hauptbegründung verfolgten Zahlungsanspruch in Höhe von 6.723,86 € ver-neint hat (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da auch im Hinblick auf den infolge der Erledi-gung der Hauptsache geänderten Antrag der Klägerin keine weiteren Feststel-lungen erforderlich sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt - unter Abände-rung des Urteils des Landgerichts - zur Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.

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