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RdF-News
19.02.2013
RdF-News
FG Baden-Württemberg: Vorrang der Altverlust-Verrechnung innerhalb der Einkunftsart

FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.2012 - 1 K 4484/11


Sachverhalt


Streitig sind Fragen der Verlustverrechnung von sog. Altverlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften nach Einführung der sog. Abgeltungssteuer.


Die Kläger sind Ehegatten, die zur Einkommensteuer des Streitjahrs (2009) zusammenveranlagt werden. Zum 31. Dezember 2007 war zu ihren Gunsten ein verbleibender Verlustvortrag bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 85.379 € betreffend den Kläger und von 85.380 € betreffend die Klägerin (insgesamt mithin 170.759 €) gesondert festgestellt worden. Dieser Verlustvortrag hatte sich in dem dem Streitjahr vorangehenden Veranlagungszeitraum 2008 um 148.390 € betreffend den Kläger und um 148.389 € betreffend die Klägerin (in Summe mithin 296.779 €) erhöht, weil die Kläger im Laufe des Jahres 2008 ausweislich einer Jahressteuerbescheinigung der X-Bank in entsprechender Höhe - nach Anwendung des sog. Halbeinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j des Einkommensteuergesetzes, hier in der bis zum Inkrafttreten des Unternehmensteuerreformgesetzes vom 14. August 2007, BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630, geltenden Fassung - a. F. -) nur einen gegenüber den Anschaffungs- und den Werbungskosten geringeren Veräußerungserlös aus dem Wiederverkauf von zuvor innerhalb der Jahresfrist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. erworbenen Wertpapieren hatten erzielen können. Der dadurch entstehende verbleibende Verlustvortrag bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften auf den 31. Dezember 2008 in Höhe von jeweils 233.769 € (insgesamt also 467.538 €) wurde vom beklagten Finanzamt (dem Beklagten) mit Bescheid vom 23. Oktober 2009 gegenüber den Klägern gesondert festgestellt.


Im Streitjahr erzielten die Kläger zum einen Einkünfte aus Gewerbebetrieb (jeweils in Gestalt eines Verlustes von je 529 €), aus Vermietung und Verpachtung (in Höhe von 6.088 € beim Kläger und 5.525 € bei der Klägerin) und aus dem Bezug von Renten (mit einem steuerpflichtigen Anteil nach Abzug von Werbungskosten von 5.973 € beim Kläger und 2.510 € bei der Klägerin). Daneben erwirtschafteten sie im September des Streitjahres in Bezug auf mehrere im Dezember des Vorjahres 2008 privat erworbene Wertpapiertranchen der Y-AG einen Gewinn (Überschuss des Veräußerungserlöses über die Anschaffungs- und Werbungskosten) in Höhe von 13.389 € beim Kläger und 13.391 € bei der Klägerin. Außerdem erzielten die Kläger erhebliche Einkünfte aus Kapitalvermögen, für die die sie betreuenden X-Bank und Z-Bank jeweils Kapitalertragsteuer in Höhe von 25% der Bruttoerträge nach § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (hier i. d. F. des Unternehmensteuerreformgesetzes - n. F. -) einbehalten hatten. In diesen Kapitaleinkünften waren ausweislich der entsprechenden Bankbescheinigungen unter anderem auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien in Höhe von 472.053 € und 79.701 € (insgesamt 551.754 €) enthalten, die jeweils zur Hälfte (mithin zu je 275.877 €) auf den Kläger und auf die Klägerin entfielen. Die übrigen Kapitaleinkünfte der Kläger beliefen sich auf 107.324 € beim Kläger und auf 107.228 € bei der Klägerin.


Der Beklagte veranlagte die Kläger mit Bescheid vom 29. Oktober 2010 zur Einkommensteuer des Streitjahres. Dabei verrechnete er den zum 31. Dezember des Vorjahres 2008 festgestellten Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften zunächst in Höhe von 6.694 € und 6.695 € (insgesamt mithin 13.389 €) mit den - jeweils nur zur Hälfte angesetzten - Überschüssen der Kläger aus der Veräußerung der Wertpapiere der Y-AG, so dass sich dadurch Einkünfte der Kläger aus privaten Veräußerungsgeschäften von je null € ergaben. Damit gelangte der Beklagte nach Ansatz der übrigen Einkünfte - mit Ausnahme der Einkünfte aus Kapitalvermögen - zu einem zu versteuernden Einkommen der Kläger von 9.498 €, auf das er nach dem sog. Splittingtarif eine tarifliche Einkommensteuer von null € errechnete. Auf Antrag der Kläger führte der Beklagte zudem eine Überprüfung des Steuereinbehalts für deren Einkünfte aus Kapitalvermögen durch. Dabei verrechnete er den nach Abzug der bereits verbrauchten Beträge von 6.694 € und 6.695 € (insgesamt 13.389 €) noch verbleibenden Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 227.074 € und 227.075 € (in Summe also 454.149 €) mit den von den Bankhäusern bescheinigten Gewinnen der Kläger aus der Veräußerung von Aktien. Anschließend brachte er bei den Klägern noch einen Sparerpauschbetrag von je 801 € in Abzug. Daraus ergaben sich zu versteuernde Kapitalerträge in Höhe von 155.326 € beim Kläger und 155.229 € bei der Klägerin, auf die der Beklagte eine Einkommensteuer von 77.638 € erhob. In dieser Höhe setzte der Beklagte auch die Einkommensteuer des Streitjahrs gegenüber den Klägern fest. In den Erläuterungen zum Bescheid merkte er an, dass die - von den Klägern ebenfalls beantragte - Günstigerprüfung für sämtliche Kapitalerträge zu dem Ergebnis geführt habe, dass die Besteuerung nach dem allgemeinen Tarif nicht günstiger sei. - Daneben erließ der Beklagte unter dem 29. Oktober 2010 noch einen weiteren Bescheid, durch den er den verbleibenden Verlustvortrag bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften auf den 31. Dezember 2009 mit jeweils null € beim Kläger und bei der Klägerin gesondert feststellte.


Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 29. Oktober 2010 legten die Kläger fristgerecht Einspruch ein und beantragten „eine Verlustberechnung nach § 22 (3) EStG" (sic). Dem Schreiben fügten sie eine Steuerberechnung bei, aus der sich eine niedrigere Einkommensteuer als jene ergab, die der Beklagte ihnen gegenüber festgesetzt hatte. Dazu waren die Kläger gelangt, indem sie einerseits die mit der tariflichen Einkommensteuer zu besteuernden Einkünfte um die Hälfte ihrer Überschüsse aus der Wertpapierveräußerung betreffend die Y-AG (mithin um 6.694 € + 6.695 € = 13.389 €) erhöht und andererseits die mit der Einkommensteuer auf Kapitalerträge zu besteuernden Einkünfte aus Kapitalvermögen um den gleichen Betrag vermindert hatten.


Der Beklagte lehnte die von den Klägern begehrte Form der Verlustverrechnung unter Hinweis darauf ab, dass die aus dem Veranlagungszeitraum 2008 vorgetragenen Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften - wie geschehen - zuerst mit positiven Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften des Streitjahrs und erst anschließend mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden müssten. Diese Reihenfolge ergebe sich aus Rz. 118 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22. Dezember 2009 - IV C 1 - S 2252/08/10004 (BStBl I 2010, 94). Ein Wahlrecht zur Verlustverrechnung existiere nicht. Mit dieser Begründung wies er den Einspruch der Kläger mit Einspruchsentscheidung vom 25. November 2011 als unbegründet zurück.


Hiergegen richtet sich die Klage vom 28. Dezember 2011. Mit ihr verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter, den auf den 31. Dezember 2008 festgestellten Verlustvortrag in voller Höhe auf „die Veräußerungsgewinne nach neuem Recht" anzurechnen und „die Veräußerungsgewinne, welche dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen", entsprechend dem allgemeinen Einkommensteuertarif zu versteuern. Sie sind der Auffassung, es sei aus § 23 EStG n. F. nicht ersichtlich, inwieweit bei der Verlustverrechnung eine bestimmte Reihenfolge einzuhalten sei. Daher stehe es ihnen frei, die für sie günstigste Variante zu wählen.


Die Kläger beantragen (sinngemäß), den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 29. Oktober 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. November 2011 zu ändern und die Einkommensteuer um 2.120 € auf 75.518 € herabzusetzen.


Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, und verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung.


Aus den Gründen


Die Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), ist nicht begründet.


Die Festsetzung der Einkommensteuer ist in der sich aus dem Bescheid vom 29. Oktober 2010 ergebenden Höhe rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die aus dem Vorjahr vorgetragenen Verluste der Kläger aus privaten Veräußerungsgeschäften vorrangig mit deren positiven Einkünften aus der gleichen Einkunftsart und erst nachrangig mit deren Einkünften aus Kapitalvermögen in Form von Veräußerungsgewinnen mit Aktien zu verrechnen sind.


1. Nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG a. F. durften Verluste aus sog. privaten Veräußerungsgeschäften wie diejenigen, die die Kläger in den Vorjahren bis zum Veranlagungszeitraum 2008 erwirtschaftet hatten, regelmäßig nicht mit anderen positiven Einkünften ausgeglichen werden. Ersatzweise war in § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG a. F. vorgesehen, dass diese Verluste nach Maßgabe des § 10d EStG die Einkünfte „mindern", die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 EStG a. F. erzielt hat oder erzielt; dabei war der in die folgenden Veranlagungszeiträume vorzutragende Verlust in entsprechender Anwendung des § 10d Abs. 4  EStG gesondert festzustellen. Unter Berufung auf diese Vorschriften hatte der Beklagte den verbleibenden Verlustabzug der Kläger auf den 31. Dezember 2008 mit Bescheid vom 23. Oktober 2009 in Höhe von jeweils 233.769 € (insgesamt also 467.538 €) förmlich festgestellt.


2. Durch das Unternehmensteuerreformgesetz hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum hier streitigen Veranlagungszeitraum 2009 zahlreiche Vorschriften im Zusammenhang mit der Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte i. S. des § 23 Abs. 1 EStG a. F. geändert.


a) So gehört der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an bestimmten Körperschaften (also vor allem von Aktien und ähnlichen Wertpapieren), die nach dem 31. Dezember 2008 erworben werden (§ 52a Abs. 10 Satz 1 EStG n. F.), nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG n. F. seither zu den Einkünften aus Kapitalvermögen.


Dazu rechnen im Streitfall die von den Klägern erzielten Veräußerungsgewinne aus Aktienverkäufen, die ihnen mit insgesamt 551.754 € von der X-Bank und Z-Bank bescheinigt worden sind. Denn die Kläger hatten diese Aktien - anders als jene der Y-AG (dazu nachfolgend unter 2. b. aa.) - augenscheinlich erst im Streitjahr erworben.


Bei derartigen Kapitaleinkünften wird die Einkommensteuer gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EStG n. F. als Kapitalertragsteuer durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben. Die Kapitalertragsteuer beträgt insoweit 25% des Kapitalertrags (§ 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Mit dem Steuerabzug ist zugleich auch die Einkommensteuer auf diese Kapitalerträge abgegolten (sog. Abgeltungssteuer; § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG n. F.), so dass sie vom Steuerpflichtigen für Zwecke der Einkommensteuerveranlagung nicht in der Einkommensteuererklärung angegeben werden müssen (§ 32d Abs. 3 Satz 1 EStG n. F.). Indessen kann der Steuerpflichtige mit der Einkommensteuererklärung für derartige Kapitalerträge eine Steuerfestsetzung beantragen (§ 32d Abs. 4 EStG n. F.), wobei sich die tarifliche Einkommensteuer dann gemäß § 32d Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 EStG n. F. um einen Betrag von 25% der Einkünfte aus Kapitalvermögen erhöht.


b) Demgegenüber zählen Einkünfte aus sog. privaten Veräußerungsgeschäften i. S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG n. F. gemäß § 22 Nr. 2 EStG weiterhin zu den sonstigen Einkünften, die über die Ermittlung der Summe und des Gesamtbetrags der Einkünfte (§ 2 Abs. 3, Abs. 4 EStG) Eingang in die Bemessungsgrundlage für die tarifliche Einkommensteuer finden (§ 2 Abs. 5 Satz 1 EStG).


aa) Dazu rechnen hier - und zwar in Höhe von 13.389 € - die Überschüsse, die die Kläger aus dem Verkauf jener Aktien an der Y-AG erzielt haben, welche sie noch im Vorjahr (im Dezember 2008) erworben hatten.


Dies ergibt sich aus § 52a Abs. 11 Satz 4 EStG n. F. Danach ist auf Veräußerungsgeschäfte, bei denen die Wirtschaftsgüter vor dem 1. Januar 2009 erworben wurden, letztmals § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. anzuwenden. Private Veräußerungsgeschäfte i. S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. betreffen Wirtschaftsgüter insbesondere in Gestalt von Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr betragen hat. Als Gewinn ist bei ihnen der Unterschied zwischen dem Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungskosten und den Werbungskosten andererseits anzusetzen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 EStG). Eine ergänzende Regelung hierzu findet sich in § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG a. F., der nach § 52a Abs. 3 Satz 2 EStG n. F. bei solchen Veräußerungsgeschäften weiterhin anzuwenden ist, bei denen § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. Anwendung findet; danach ist bei der Veräußerung von Anteilen an bestimmten Körperschaften (insbesondere also von Aktien und ähnlichen Wertpapieren) die Hälfte des Veräußerungspreises i. S. des § 23 Abs. 3 EStG steuerfrei (sog. Halbeinkünfteverfahren).


Zwar sind die Einkünfte aus solchen privaten Veräußerungsgeschäften den Einkünften aus anderen Einkunftsarten zuzurechnen, soweit sie zu diesen gehören (§ 23 Abs. 2 EStG). Eine solche abdrängende Zuweisung zur Einkunftsart der Kapitalerträge besteht für die vor dem Veranlagungszeitraum 2009 erworbenen Aktien indessen nicht, weil § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG n. F. - wie bereits dargelegt - auf derartige Wertpapiere noch keine Anwendung findet (§ 52a Abs. 10 Satz 1 EStG n. F.).


bb) Die auf diese Einkünfte anzuwendende tarifliche Einkommensteuer setzt nach § 32a Abs. 1 EStG erst jenseits des sog. Grundfreibetrags ein und nimmt sodann zunächst einen progressiven und später einen linearen Verlauf. Dabei belief sich der Eingangssteuersatz in der unteren Progressionszone im Streitjahr 2009 auf 15%; der für die Festsetzung der konkreten Steuerlast entscheidende Durchschnittssteuersatz stieg seinerzeit bei zusammenveranlagten Ehegatten von null € bei einem gemeinsamen zu versteuernden Einkommen von 15.330 € linear-progressiv auf maximal 7,75% bei einem gemeinsamen zu versteuernden Einkommen von 25.478 € an (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 28. Aufl. 2009, § 32a Rz. 8).


c) Für die Verrechnung von sog. Altverlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften hat der Gesetzgeber im Zuge des Unternehmensteuerreformgesetzes zudem eine ergänzende Regelung in § 23 Abs. 3 Sätze 7 ff. EStG n. F. geschaffen.


Dabei führen § 23 Abs. 3 Sätze 7 und 8 EStG n. F. zunächst die früher in den Sätzen 8 und 9 der Vorschrift  enthaltene Anordnung fort, wonach Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden dürfen, sondern nach Maßgabe des § 10d EStG nur die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus privaten Veräußerungsgeschäften im vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den nachfolgenden Veranlagungszeiträumen „mindern". Außerdem findet sich nunmehr in § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG n. F. aber noch die Anweisung, dass Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. des § 23 EStG a. F. (Altverluste) abweichend von Satz 7 der Vorschrift auch mit Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. des § 20 Abs. 2 EStG n. F. ausgeglichen werden „können". Schließlich bestimmt jetzt § 23 Abs. 3 Satz 10 EStG n. F., dass derartige Altverluste abweichend von Satz 8 der Vorschrift nach Maßgabe des § 10d EStG auch die Einkünfte „mindern", die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus § 20 Abs. 2 EStG n. F. erzielt. Bei dem damit ermöglichten erweiterten Ausgleich von Altverlusten handelt es sich um eine Übergangsregelung, denn § 23 Abs. 3 Sätze 9 und 10 EStG n. F. sind gemäß § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG n. F. letztmals für den Veranlagungszeitraum 2013 anzuwenden.


3. Eine ausdrückliche Regelung, ob die in Höhe von insgesamt 467.538 € aus dem Vorjahr 2008 vorgetragenen Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften vorrangig mit den mit 13.389 € steuerpflichtigen Gewinnen der Kläger aus dem Verkauf ihrer im Dezember 2008 erworbenen Aktien an der Y-AG zu verrechnen sind und erst nachrangig mit ihren Kapitalerträgen aus der Veräußerung von erst im Jahre 2009 angeschafften Wertpapieren ausgeglichen werden können (wie der Beklagte meint), oder ob derartige Altverluste nach Wahl des Steuerpflichtigen auch unmittelbar und in vollem Umfang auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. des § 20 Abs. 2 EStG n. F. angerechnet werden können (wie dies die Kläger für sich in Anspruch nehmen), findet sich im Gesetz nicht.


a) Die Finanzverwaltung hat in Rz. 118 des BMF-Schreibens in BStBl I 2010, 94 eine Reihenfolge von sog. Verlustverrechnungskreisen festgelegt, innerhalb derer die Verlustverrechnung auch nicht auf Teilbeträge beschränkt werden kann. Sie hat zudem (in Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 der Verwaltungsvorschrift) bestimmt, dass die Altverluste zunächst innerhalb der Einkunftsart mit den Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften zu verrechnen sind, wenn der Steuerpflichtige - wie hier die Kläger - im gleichen Veranlagungszeitraum zugleich Gewinne aus Kapitalvermögen und private Veräußerungsgewinne hat.


b) Im Schrifttum ist die Frage - soweit sie überhaupt angesprochen wird - umstritten. Einerseits wird davon ausgegangen, dass bei der Verrechnung der Altverluste die auch vom BMF vorgegebene Reihenfolge eingehalten werden müsse (so Lappas, Verrechnung von Verlusten aus Kapitalvermögen und Verrechnung von so genannten Altverlusten, Steuerberatung - Stbg - 2009, 446, 451, und Seitz, Verrechnung von Verlusten im Rahmen der Abgeltungssteuer, Steuerberater - StB - 2009, 426, 429). Von anderer Seite wird demgegenüber unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien (BTDrucks 16/4841, 59) und den Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG n. F. („auch") geltend gemacht, dass der Steuerpflichtige in den genannten Fällen über die vorrangige Verlustverrechnung frei bestimmen könne (so Glenk in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 23 EStG Rz. 241).


c) Nach Ansicht des erkennenden Senats ist bei den festgestellten Altverlusten der in § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG n. F. (früher: § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG a. F.) geregelte Verlustvortrag innerhalb derselben Einkunftsart (also die Verrechnung mit künftigen Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften) gegenüber dem durch § 23 Abs. 3 Satz 10 EStG n. F. eröffneten erweiterten Verlustausgleich (also mit den Einkünften aus Kapitalvermögen) vorrangig durchzuführen.


aa) Dafür spricht zunächst, dass ein solcher Verlustvortrag innerhalb der Einkunftsart bereits durch die Gesetzesfassung desjenigen Veranlagungszeitraums, in dessen Verlauf die Verluste entstanden oder auf deren Ablauf hin sie festgestellt worden sind (hier: zum 31. Dezember 2008), verbindlich angeordnet worden ist. Denn in § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG a. F. war zwingend bestimmt, dass die festgestellten Verluste die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 EStG a. F. zu „mindern" hatten.


Demgegenüber trifft § 23 Abs. 3 Satz 10 EStG n. F. lediglich eine ergänzende Regelung für den Fall, dass ein solcher vorrangiger Verlustausgleich im Wege des Vortrags innerhalb derselben Einkunftsart nicht zum vollständigen Aufbrauchen der verbleibenden Altverluste führen würde. Anders ist auch der Wortlaut der Vorschrift („Sie mindern abweichend von Satz 8 [...] auch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige [...] aus § 20 Abs. 2 [EStG n. F.] erzielt.") nicht zu verstehen.


bb) Ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen in dem von Glenk (in Blümich, a. a. O., § 23 EStG Rz. 241) angenommenen Sinne ergibt sich daraus nicht.


Dagegen wäre nämlich anzuführen, dass die Besteuerung des Einkommens im Grundsatz zwingend ausgestaltet sein muss und die Höhe der Bemessungsgrundlage und des Steuersatzes nicht zur Disposition des Steuerpflichtigen gestellt werden darf (vgl. Ruppe in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, EStG, KStG, Einf. EStG Anm. 722 m. w. N.). Hätte der Gesetzgeber - entgegen dem Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung - ein solches Wahlrecht anordnen wollen, so hätte er dies im Gesetzestext ausdrücklich formulieren müssen.


Auch aus der Begründung zum Gesetzentwurf der seinerzeitigen Koalitionsfraktionen (BTDrucks 16/4841, 59) lässt sich der von Glenk (a. a. O.) angeführte Gedanke, der Normgeber des § 23 Abs. 3 EStG n. F. sei von einer freien Bestimmbarkeit der Verrechnungsreihenfolge ausgegangen, nicht entnehmen. Dort wird lediglich ausgeführt, „Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften könn[t]en übergangsweise - für fünf Jahre - sowohl mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften als auch mit Erträgen aus Kapitalanlagen im Sinne des § 20 Abs. 2 [EStG] verrechnet werden. Damit w[e]rd[e] gewährleistet, dass Steuerpflichtige insbesondere Verluste aus Wertpapierveräußerungsgeschäften nach den bisher geltenden Regelungen für die Übergangszeit auch mit Gewinnen aus Veräußerungsgeschäften mit Kapitalanlagen verrechnen können, obwohl diese zukünftig nicht mehr von § 23 [EStG] erfasst werden". Gemeint ist damit nach Auffassung des Senats lediglich die Möglichkeit einer nachrangigen erweiterten Verlustverrechnung, der allein die Funktion zukommt, einer weitgehenden wirtschaftlichen Entwertung der Altverluste entgegenzuwirken.


Gegen ein solches Wahlrecht - und generell gegen eine vorrangige Verrechnung der Altverluste mit den neu anfallenden Gewinnen aus Kapitalerträgen - spricht außerdem, dass es sich bei § 23 Abs. 3 Satz 10 EStG um eine Ausnahmevorschrift handelt, die dem Steuerpflichtigen eine Minderung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ermöglicht, obwohl diese eigentlich insgesamt zur Bemessungsgrundlage für den gesonderten Steuertarif von 25% nach § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG n. F. gehören. Derartige Ausnahmevorschriften aber sind nach allgemeinen Grundsätzen eng auszulegen.


4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


5. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO. Da die zu entscheidende Rechtsfrage im Schrifttum umstritten ist, bedarf es zur Fortbildung des Rechts einer höchstrichterlichen Entscheidung.

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