BFH: Rechnungsabgrenzungsposten bei Stufenzinsdarlehen
BFH, Urteil vom 27.07.2011 - Aktenzeichen I R 77/10 (Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 21.12.2009 - Aktenzeichen 6 K 1918/07 (EFG 2011, 61);) | ||||||||||||||||||||||
Amtliche Leitsätze: 1. Ob der Darlehensnehmer bei Vereinbarung jährlich fallender Zinssätze zu Beginn der Vertragslaufzeit einen aktiven Rechnungsabgrenzungsposten bilden muss, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Darlehensnehmer im Falle einer vorzeitigen Vertragsbeendigung die anteilige Erstattung der bereits gezahlten Zinsen verlangen könnte. 2. Sollte ein solcher Erstattungsanspruch nicht bestehen, ist gleichwohl ein Rechnungsabgrenzungsposten zu aktivieren, wenn das Darlehensverhältnis nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann und wenn konkrete Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die Vertragsparteien der Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses durch eine solche Kündigung mehr als rein theoretische Bedeutung beigemessen haben. Der Möglichkeit einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung oder -änderung kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. | ||||||||||||||||||||||
Amtliche Normenkette: HGB § 250 Abs. 1; EStG § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1; Redaktionelle Normenkette: EStG § 5 Abs. 5 S. 1 Nr. 1;
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Die Klägerin setzte die im Streitjahr geleisteten Zinszahlungen als laufende Betriebsausgaben an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) war der Auffassung, die Klägerin müsse in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1999 einen RAP im Betrag von 156.186,34 DM aktivieren, weil es sich bei der Überlassung der Darlehensvaluta um eine über die Laufzeit des Darlehens gleichbleibende Leistung handele und deshalb die von der Klägerin zu zahlenden Zinsen gleichmäßig auf die Laufzeit zu verteilen seien. Auf dieser Grundlage hat das FA die Körperschaftsteuer für das Streitjahr festgesetzt. Die deswegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat den Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr dahin abgeändert, dass kein aktiver RAP zu berücksichtigen ist. Sein Urteil vom 21. Dezember 2009 6 K 1918/07 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 61 abgedruckt. | RN 3 |
Gegen das FG-Urteil richtet sich die auf Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des FA. | RN 4 |
Das FA beantragt, | RN 5 |
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. |
Die Klägerin beantragt, | RN 6 |
die Revision zurückzuweisen. |
II. |
Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ( FGO) zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FA hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht für die im Streitjahr gezahlten Darlehenszinsen einen aktiven RAP angesetzt. | RN 7 |
1. Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes i.V.m. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes ( EStG) sind in den Bilanzen der Klägerin für Ausgaben vor dem Abschlussstichtag auf der Aktivseite RAP anzusetzen, soweit sie Ausgaben für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag darstellen. | RN 8 |
2. Zwischen den Beteiligten unstreitig und nicht weiter erläuterungsbedürftig ist, dass die von der Klägerin im Streitjahr gezahlten Darlehenszinsen "Ausgaben" i.S. von § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG sind. | RN 9 |
3. Auf der Grundlage der den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gelten die im Streitjahr gezahlten Zinsen bei wirtschaftlicher Betrachtung teilweise die Überlassung der Darlehensvaluta in den Folgejahren ab und sind deshalb insoweit Aufwand der Klägerin "für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag". | RN 10 |
a) Aufwand für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag liegt vor, wenn einer Vorleistung eine noch nicht erbrachte zeitraumbezogene Gegenleistung gegenübersteht (vgl. Senatsurteile vom 4. Mai 1977 I R 27/74, BFHE 123, 20, BStBl II 1977, 802; vom 19. Mai 2010 I R 65/09, BFHE 230, 25, BStBl II 2010, 967; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. April 1993 VIII R 86/91, BFHE 171, 221, BStBl II 1993, 709; vom 19. Juni 1997 IV R 16/95, BFHE 183, 484, BStBl II 1997, 808, jeweils m.w.N.). § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG betrifft zwar typischerweise Vorleistungen im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags i.S. der §§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs ( BGB); die Vorschrift ist aber nicht auf synallagmatische schuldrechtliche Leistungen beschränkt (vgl. Senatsurteile in BFHE 230, 25, BStBl II 2010, 967; vom 24. Juli 1996 I R 94/95, BFHE 181, 64, BStBl II 1997, 122; vom 29. November 2006 I R 46/05, BFHE 216, 159, BStBl II 2009, 955; Senatsbeschluss vom 7. April 2010 I R 77/08, BFHE 228, 533, BStBl II 2010, 739; Senatsurteil vom 22. Juni 2011 I R 7/10, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; Buciek in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 5 EStG Rz 678; Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 5 EStG Rz 1927; zur passiven Rechnungsabgrenzung: BFH-Urteil vom 24. Juni 2009 IV R 26/06, BFHE 225, 144, BStBl II 2009, 781). Vielmehr reicht es für eine Rechnungsabgrenzung aus, wenn mit der Vorleistung ein zeitraumbezogenes Verhalten erwartet wird, das wirtschaftlich als Gegenleistung für die Vorleistung aufgefasst werden kann (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 228, 533, BStBl II 2010, 739; Senatsurteile in BFHE 230, 25, BStBl II 2010, 967; vom 22. Juni 2011 I R 7/10). | RN 11 |
c) Im Ansatz zu Recht hat sich die Vorinstanz an dem BFH-Urteil vom 12. August 1982 IV R 184/79 (BFHE 136, 280, BStBl II 1982, 696) orientiert, welches sich mit der bilanzsteuerrechtlichen Beurteilung eines Immobilien-Leasingvertrags mit degressiven Leasingraten befasst hat. Danach ist zunächst maßgeblich, ob der Empfänger die Leistung im Falle einer Beendigung des Vertragsverhältnisses vor Ablauf der Vertragslaufzeit behalten dürfte oder ob er sie zurückerstatten müsste. Der Vorleistungscharakter ist zu bejahen, wenn der Empfänger die Leistung bei vorzeitiger Vertragsbeendigung zeitanteilig zurückzuzahlen hat (vgl. auch Senatsbeschluss in BFHE 228, 533, BStBl II 2010, 739; Senatsurteil in BFHE 230, 25, BStBl II 2010, 967; Buciek in Blümich, a.a.O., § 5 EStG Rz 678). Darf der Empfänger die Leistung hingegen im Falle der vorzeitigen Vertragsbeendigung behalten, ist das jedenfalls ein gewichtiges Indiz gegen die Zeitraumbezogenheit der Gegenleistung (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2011 I R 7/10; BFH-Urteil in BFHE 171, 221, BStBl II 1993, 709; Buciek in Blümich, a.a.O., § 5 EStG Rz 678a). | RN 13 |
e) Die Vorinstanz hat jedoch nicht beachtet, dass nach dem von ihr in Bezug genommenen BFH-Urteil in BFHE 136, 280, BStBl II 1982, 696 (ebenso Senatsbeschluss in BFHE 228, 533, BStBl II 2010, 739; Senatsurteil vom 22. Juni 2011 I R 7/10) die fehlende Rückforderbarkeit der Leistung im Falle einer (gedachten) Beendigung des Vertragsverhältnisses vor Ablauf der Vertragslaufzeit dann kein Kriterium für die Verneinung eines Bezugs zu einer erst in künftigen Zeiträumen zu erbringenden Gegenleistung sein kann, wenn das Vertragsverhältnis auf mehrere Jahre zu festen Bedingungen abgeschlossen ist und während dieser Zeit nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann und wenn konkrete Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die Vertragsparteien der Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Kündigung aus wichtigem Grund und dem Fehlen eines Anspruchs auf teilweise Rückforderung bisher gezahlter Zinsen in diesem Falle eine mehr als rein theoretische Bedeutung beigemessen haben. Denn unter diesen Umständen kann der Vereinbarung über das für das einzelne Jahr zu entrichtende Entgelt keine "Richtigkeitsgewähr" in dem Sinne zuerkannt werden, dass das jeweilige Jahresentgelt Ausdruck einer sachgerechten, im Ausgleich widerstreitender Interessen gefundenen Bewertung des Jahreswerts der empfangenen Gegenleistung ist. | RN 16 |
f) Vom Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls muss hier auf der Basis der tatsächlichen Feststellungen des FG ausgegangen werden: Der Darlehensvertrag zwischen der Klägerin und der X-Bank wurde danach für zehn Jahre fest vereinbart und ist auf eine in jedem Jahr seiner Laufzeit gleichbleibende Leistung der Darlehensgeberin gerichtet. Die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung wurde für beide Vertragsseiten ausgeschlossen. Eine Möglichkeit der Kündigung aus wichtigem Grund wurde vertraglich nicht festgelegt. Zwar mag eine Möglichkeit zur Kündigung des Darlehensvertrags aus wichtigem Grund gemäß § 242 BGB auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung bestanden haben (vgl. z.B. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. September 1985 III ZR 213/83, BGHZ 95, 362). Ein Anhaltspunkt dafür, dass diese Möglichkeit bei Vertragsschluss in den Augen der Vertragsparteien eine mehr als theoretische Rolle gespielt haben könnte, ist den tatrichterlichen Feststellungen jedoch nicht zu entnehmen. | RN 17 |
h) Der Senat weicht mit dieser Beurteilung nicht von dem Senatsurteil vom 20. Januar 1993 I R 115/91 (BFHE 170, 234, BStBl II 1993, 373) ab, nach dem die Klägerin beim Zuwachssparen in der Anfangszeit keinen Erfüllungsrückstand für den künftig von ihr zu zahlenden höheren Vertragszinssatz passivieren darf. Das folgt schon daraus, dass im Unterschied zum streitbefangenen Darlehen die im Urteilsfall zu beurteilenden Zuwachssparverträge vom Kunden nach Ablauf einer Mindestlaufzeit von neun Monaten jederzeit ordentlich gekündigt werden konnten. Des Weiteren war die Steigerung des Zinssatzes im Urteilsfall so berechnet, dass sich für jede mögliche Laufzeit aus den tatsächlich gutgeschriebenen Zinsen die der Laufzeit angemessene durchschnittliche Gesamtverzinsung ergab, die Gesamtverzinsung jeweils am Jahresende mithin der für die bis dahin erreichte Laufzeit marktüblichen Verzinsung entsprochen hatte. Bei den streitgegenständlichen Stepdown-Geldern ist das anders. Denn es ist gerade nicht marktüblich, dass bei kürzerer Darlehenslaufzeit ein höherer Zins entsteht als bei längerer Laufzeit. | RN 20 |
4. Das FG ist von einer anderen rechtlichen Beurteilung ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben; die Klage ist abzuweisen. |