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RdF-News
24.02.2014
RdF-News
Generalanwalt Melchior Wathelet: Schlussanträge vom 21.11.2013(1) Rs. C-326/12, Rita van Caster, Patrick van Caster, gegen FA Essen-Süd

Generalanwalt Melchior Wathelet, Schlussanträge vom 21.11.2013(1) Rs. C-326/12, Rita van Caster, Patrick van Caster, gegen FA Essen-Süd


(Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Düsseldorf [Deutschland])


I - Einleitung


1. Das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Vereinbarkeit nationaler Vorschriften wie der §§ 5 und 6 des deutschen Investmentsteuergesetzes (im Folgenden: InvStG) mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr. Nach den in Rede stehenden nationalen Vorschriften werden die Erträge, die ein Anleger eines Investmentfonds bezieht, pauschal besteuert, wenn die Fondsverwaltungsgesellschaft den in diesem Gesetz vorgesehenen Transparenz- und Bekanntgabepflichten nicht nachgekommen ist.


II - Rechtlicher Rahmen


A - Unionsrecht


2. Art. 63 Abs. 1 AEUV (früher Art. 56 Abs. 1 EG) lautet:


„Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten."


3. Art. 65 Abs. 3 AEUV (früher Art. 58 Abs. 3 EG) bestimmt:


„Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen und Verfahren dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 63 darstellen."


4. Die im streitgegenständlichen Zeitraum anwendbare Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern und der Steuern auf Versicherungsprämien(2) sah in ihrem Art. 1 („Allgemeine Bestimmungen") vor:


„(1) Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erteilen sich nach dieser Richtlinie gegenseitig alle Auskünfte, die für die zutreffende Festsetzung der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen geeignet sein können.


(2) Als Steuern vom Einkommen und vom Vermögen gelten, unabhängig von der Erhebungsform, alle Steuern, die vom Gesamteinkommen, vom Gesamtvermögen oder von Teilen des Einkommens oder des Vermögens erhoben werden, einschließlich der Steuern vom Gewinn aus der Veräußerung beweglichen oder unbeweglichen Vermögens, der Lohnsummensteuern sowie der Steuern vom Vermögenszuwachs.


..."


5. Art. 2 („Auskunft auf Ersuchen") dieser Richtlinie sieht vor:


„(1) Die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats kann die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats um die Erteilung der in Artikel 1 Absatz 1 bezeichneten Auskünfte im Einzelfall ersuchen. Die zuständige Behörde des um Auskunft ersuchten Staates braucht dem Ersuchen nach dieser Bestimmung nicht zu entsprechen, wenn es scheint, dass die zuständige Behörde des ersuchenden Staates ihre eigenen üblichen Auskunftsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, von denen sie nach Lage des Falles ohne Gefährdung des Ermittlungszwecks hätte Gebrauch machen können.


(2) Zur Erteilung der Auskünfte nach Absatz 1 lässt die zuständige Behörde des um Auskunft ersuchten Mitgliedstaats gegebenenfalls die erforderlichen Ermittlungen durchführen."


6. Art. 11 („Verhältnis zu weiter gehenden Beistandspflichten") der Richtlinie bestimmt:


„Weiter gehende Verpflichtungen zum Auskunftsaustausch nach anderen Rechtsvorschriften bleiben von den vorstehenden Bestimmungen unberührt."


B - Deutsches Recht


7. Das Finanzgericht Düsseldorf stützt sich auf folgende Bestimmungen des InvStG.


8. § 5 InvStG in der ab 1. Januar 2004 anwendbaren Fassung vom 15. Dezember 2003 bestimmt:


„Besteuerungsgrundlagen


(1) Die §§ 2 und 4 sind nur anzuwenden, wenn


1. die Investmentgesellschaft den Anlegern bei jeder Ausschüttung bezogen auf einen Investmentanteil in deutscher Sprache bekannt macht:


a) den Betrag der Ausschüttung (mit mindestens vier Nachkommastellen),


b) den Betrag der ausgeschütteten Erträge (mit mindestens vier Nachkommastellen),


c) die in der Ausschüttung enthaltenen


aa) ausschüttungsgleichen Erträge der Vorjahre,


bb) steuerfreien Veräußerungsgewinne im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1,


cc) Erträge im Sinne des § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes,


dd) Erträge im Sinne des § 8b Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes,


ee) Veräußerungsgewinne im Sinne des § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes,


ff) Veräußerungsgewinne im Sinne des § 8b Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes,


gg) Erträge im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2, soweit die Erträge nicht Kapitalerträge im Sinne des § 20 des Einkommensteuergesetzes sind,


hh) steuerfreien Veräußerungsgewinne im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2,


ii) Einkünfte im Sinne des § 4 Abs. 1,


jj) Einkünfte im Sinne des § 4 Abs. 2, für die kein Abzug nach Absatz 4 vorgenommen wurde,


kk) Einkünfte im Sinne des § 4 Abs. 2, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zur Anrechnung einer als gezahlt geltenden Steuer auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer berechtigen,


d) den zur Anrechnung oder Erstattung von Kapitalertragsteuer berechtigenden Teil der Ausschüttung im Sinne von


aa) § 7 Abs. 1 und 2,


bb) § 7 Abs. 3,


e) den Betrag der anzurechnenden oder zu erstattenden Kapitalertragsteuer im Sinne von


aa) § 7 Abs. 1 und 2,


bb) § 7 Abs. 3,


f) den Betrag der ausländischen Steuern, der auf die in den ausgeschütteten Erträgen enthaltenen Einkünfte im Sinne des § 4 Abs. 2 entfällt, und


aa) nach § 34c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes oder einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anrechenbar,


bb) nach § 34c Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes abziehbar ist, wenn kein Abzug nach § 4 Abs. 4 vorgenommen wurde,


cc) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als gezahlt gilt,


g) den Betrag der Absetzungen für Abnutzung oder Substanzverringerung nach § 3 Abs. 3 Satz 1,


h) den von der ausschüttenden Körperschaft nach § 37 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes in Anspruch genommenen Körperschaftsteuerminderungsbetrag,


2. die Investmentgesellschaft den Anlegern bei ausschüttungsgleichen Erträgen spätestens vier Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres, in dem sie als zugeflossen gelten, die Angaben entsprechend der Nummer 1 bezogen auf einen Investmentanteil in deutscher Sprache bekannt macht;


3. die Investmentgesellschaft die in den Nummern 1 und 2 genannten Angaben in Verbindung mit dem Jahresbericht im Sinne von § 45 Abs. 1, § 122 Abs. 1 oder 2 des Investmentgesetzes im elektronischen Bundesanzeiger bekannt macht; die Angaben sind mit der Bescheinigung eines zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung befugten Berufsträgers im Sinne des § 3 des Steuerberatungsgesetzes, einer behördlich anerkannten Wirtschaftsprüfungsstelle oder einer vergleichbaren Stelle zu versehen, dass die Angaben nach den Regeln des deutschen Steuerrechts ermittelt wurden; § 323 des Handelsgesetzbuchs ist sinngemäß anzuwenden. Wird der Jahresbericht nach den Bestimmungen des Investmentgesetzes nicht im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht, ist auch die Fundstelle bekannt zu machen, in der der Rechenschaftsbericht in deutscher Sprache bekannt gemacht ist;


4. die ausländische Investmentgesellschaft die Summe der nach dem 31. Dezember 1993 dem Inhaber der ausländischen Investmentanteile als zugeflossen geltenden, noch nicht dem Steuerabzug unterworfenen Erträge ermittelt und mit dem Rücknahmepreis bekannt macht;


5. die ausländische Investmentgesellschaft auf Anforderung gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern innerhalb von drei Monaten die Richtigkeit der in den Nummern 1, 2 und 4 genannten Angaben vollständig nachweist. Sind die Urkunden in einer fremden Sprache abgefasst, so kann eine beglaubigte Übersetzung in die deutsche Sprache verlangt werden. Hat die ausländische Investmentgesellschaft Angaben in unzutreffender Höhe bekannt gemacht, so hat sie die Unterschiedsbeträge eigenverantwortlich oder auf Verlangen des Bundeszentralamtes für Steuern in der Bekanntmachung für das laufende Geschäftsjahr zu berücksichtigen.


Liegen die in Nummer 1 Buchstabe c oder f genannten Angaben nicht vor, werden die Erträge insoweit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 besteuert und § 4 findet insoweit keine Anwendung"(3).


9. § 6 InvStG in der ab 1. Januar 2004 anwendbaren Fassung vom 15. Dezember 2003 bestimmt:


„Besteuerung bei fehlender Bekanntmachung


Sind die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 nicht erfüllt, sind beim Anleger die Ausschüttungen auf Investmentanteile, der Zwischengewinn sowie 70 Prozent des Mehrbetrags anzusetzen, der sich zwischen dem ersten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis und dem letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis eines Investmentanteils ergibt; mindestens sind 6 Prozent des letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreises anzusetzen. Wird ein Rücknahmepreis nicht festgesetzt, so tritt an seine Stelle der Börsen- oder Marktpreis. ..."


10. Art. 26 des am 11. April 1967 unterzeichneten Abkommens zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern (im Folgenden: Doppelbesteuerungsabkommen) sieht vor:


„Austausch von Informationen


(1) Die zuständigen Behörden der Vertragstaaten tauschen die Informationen aus, die erforderlich sind zur Durchführung des Abkommens und des innerstaatlichen Rechts der Vertragstaaten betreffend die unter das Abkommen fallenden Steuern, soweit die diesem Recht entsprechende Besteuerung mit dem Abkommen in Einklang steht.


..."


III - Ausgangsverfahren und Vorlagefrage


11. Frau van Caster und ihr Sohn, Herr van Caster, die belgische Staatsangehörige sind und in der Bundesrepublik Deutschland wohnen, halten Anteile an thesaurierenden Investmentfonds mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland. Die Anteile befanden sich in einem Depot bei der BBL/ING-Bank Belgien.


12. Frau und Herr van Caster erklärten ihre Erträge aus den Investmentanteilen im Schätzungswege oder auf der Grundlage von beigefügten Listen bzw. der Börsenzeitung, und zwar 8 435,43 Euro für das Jahr 2003, 10 500,94 Euro für das Jahr 2004, 12 318,18 Euro für das Jahr 2005, 13 263,04 Euro für das Jahr 2006, 12 672,46 Euro für das Jahr 2007 und 14 272,88 Euro für das Jahr 2008, d. h. insgesamt 71 462,93 Euro.


13. Das Finanzamt Essen-Süd setzte dagegen, da seiner Ansicht nach die Voraussetzungen des § 5 InvStG nicht erfüllt waren, die Erträge gemäß § 6 InvStG fest, wonach bei der Besteuerung pauschal mindestens 6 % des letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreises anzusetzen sind. Diese Besteuerungsmethode führte zu folgenden Beträgen: 38 503,53 Euro für das Jahr 2003, 32 691,41 Euro für das Jahr 2004, 63 603,62 Euro für das Jahr 2005, 49 463,21 Euro für das Jahr 2006, 37 045,03 Euro für das Jahr 2007 und 25 139,27 Euro für das Jahr 2008, d. h. insgesamt 246 446,07 Euro.


14. Frau und Herr van Caster erhoben gegen diese Entscheidung des Finanzamts Essen-Süd Klage beim Finanzgericht Düsseldorf und machten geltend, dass die seit dem Jahr 2004 geltende Regelung des § 6 InvStG gegen das Recht der Europäischen Union, insbesondere die Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr, verstoße.


15. In der mündlichen Verhandlung vor dem vorlegenden Gericht verständigten sich die Parteien des Ausgangsverfahrens für das Jahr 2003 in tatsächlicher Hinsicht dahin gehend, dass die Erträge dieses Jahres auf 4 % des Rücknahmepreises zum 31. Dezember 2003 zu schätzen seien, d. h. auf 19 848,07 Euro.


16. Hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2008 beantragten Frau und Herr van Caster beim vorlegenden Gericht, die betreffenden Feststellungsbescheide dahin abzuändern, dass die Bemessungsgrundlage für die in Rede stehenden Erträge auf der Grundlage der erklärten Einkünfte bestimmt wird. Das Finanzamt Essen-Süd beantragte, die Klage abzuweisen, da § 6 InvStG mit dem Unionsrecht vereinbar sei.


17. Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Düsseldorf das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:


Verstößt die pauschale Besteuerung von Erträgen aus sogenannten „intransparenten" (inländischen und) ausländischen Investmentfonds gemäß § 6 InvStG gegen europäisches Gemeinschaftsrecht (Art. 56 EG), weil sie eine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs (Art. 58 Abs. 3 EG) darstellt?


IV - Verfahren vor dem Gerichtshof


18. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 10. Juli 2012 beim Gerichtshof eingegangen. Frau und Herr van Caster, das Finanzamt Essen-Süd, die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben und, mit Ausnahme der Regierung des Vereinigten Königreichs, in der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2013 Stellung genommen.


V - Würdigung


A - Vorbemerkungen zu den §§ 5 und 6 InvStG


19. Gemäß § 5 InvStG unterliegen die Erträge aus Investmentanteilen, wenn die Investmentgesellschaft ihrer Verpflichtung nachkommt, den Anlegern und den deutschen Behörden bestimmte Informationen in deutscher Sprache form- und fristgerecht bekannt zu machen, der allgemeinen Regelung der transparenten Besteuerung (§§ 2 und 4 InvStG), d. h., die Besteuerung beruht, wie die Kommission hervorhebt, auf tatsächlichen oder zumindest nach § 162 der deutschen Abgabenordnung geschätzten und nicht auf pauschalen Werten - wie wenn der Steuerpflichtige eine unmittelbare Anlage getätigt hätte, ohne sich eines Investmentfonds zu bedienen.


20. Wenn eine Investmentgesellschaft die in § 5 Abs. 1 InvStG vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt, hat der Anleger die Steuer auf einen pauschalen Betrag zu entrichten, der gemäß § 6 InvStG mindestens 6 % des letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreises beträgt. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts gibt es von dieser pauschalen Berechnung keine Ausnahme, aufgrund deren der Steuerpflichtige in den Genuss einer Besteuerung des tatsächlichen oder zumindest geschätzten Wertes der bezogenen Erträge kommen könnte.


21. Der Steuerpflichtige hat demnach die Folgen zu tragen, die sich daraus ergeben, dass die Fondsverwaltungsgesellschaft den Bestimmungen des InvStG nicht nachkommt.


22. Generell gelten die §§ 5 und 6 InvStG unterschiedslos für deutsche und ausländische Investmentgesellschaften, mit Ausnahme der Verpflichtung, die Summe der nach dem 31. Dezember 1993 dem Inhaber der ausländischen Investmentanteile als zugeflossen geltenden Erträge zu ermitteln und mit dem Rücknahmepreis bekannt zu machen (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 InvStG), und der Verpflichtung, dem Bundeszentralamt für Steuern die Richtigkeit bestimmter Angaben vollständig nachzuweisen (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 InvStG). Diese beiden Verpflichtungen gelten nur für ausländische Investmentgesellschaften.


23. Die letztgenannte Verpflichtung besteht darin, dem Bundeszentralamt für Steuern auf dessen Anforderung die Richtigkeit der den Anlegern bekannt gemachten Angaben nachzuweisen, ohne dass diese Anforderung in irgendeiner Weise begründet werden müsste. In den Akten wird nicht erläutert, weshalb diese Nachweispflicht nicht auch für deutsche Investmentgesellschaften gilt.


24. Zur Anwendung des InvStG auf den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht nicht angibt, welche Voraussetzung(en) des § 5 InvStG die betreffende ausländische Investmentgesellschaft nicht eingehalten haben soll. Dies wirkt sich nicht auf meine Würdigung aus, da, wie die Kommission ausgeführt hat und vom Finanzamt Essen-Süd in der mündlichen Verhandlung bestätigt worden ist, die Nichtbeachtung nur eines Bestandteils von § 5 Abs. 1 InvStG zu der in § 6 InvStG vorgesehenen Pauschalbesteuerung führt.


B - Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs


25. Das vorlegende Gericht nimmt in seiner Frage auf die zum Zeitpunkt des Sachverhalts geltenden Art. 56 EG und Art. 58 Abs. 3 EG Bezug, aus denen ohne Änderung Art. 63 AEUV und Art. 65 Abs. 3 AEUV wurden.


1. Vorbringen der Verfahrensbeteiligten


26. Nach Ansicht des Finanzamts Essen-Süd sowie der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs liegt keine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs vor. Ein nationales Gesetz wie das hier in Rede stehende, das unterschiedslos für deutsche und ausländische Investmentgesellschaften gelte, könne keine Beschränkung dieser Freiheit darstellen.


27. Ihrer Ansicht nach handelt es sich vorliegend auch nicht um eine verschleierte Beschränkung. Das Finanzamt Essen-Süd und die deutsche Regierung führen aus, die deutschen Behörden seien berechtigt, von den Steuerpflichtigen sämtliche Nachweise zu verlangen, die ihnen für eine zutreffende Berechnung der geschuldeten Einkommensteuer erforderlich erschienen.


28. Die betreffende Regelung werfe für die ausländischen Investmentgesellschaften in Wirklichkeit keine besonderen Schwierigkeiten auf. Dies gelte auch für die beiden Anforderungen, die nur für ausländische Investmentgesellschaften gälten, nämlich die Verpflichtung, den Rücknahmepreis und die Summe der nach dem 31. Dezember 1993 dem Inhaber der ausländischen Investmentanteile als zugeflossen geltenden Erträge bekannt zu machen (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 InvStG), und die Verpflichtung, dem Bundeszentralamt für Steuern die Richtigkeit bestimmter Angaben vollständig nachzuweisen (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 InvStG).


29. Zur Stützung ihrer These weisen das Finanzamt Essen-Süd und die deutsche Regierung darauf hin, dass das Bundeszentralamt für Steuern im Jahr 2011 ca. 31 800 Bekanntgaben ausländischer Investmentgesellschaften geprüft habe. Die deutsche Regierung fügt hinzu, lediglich bei 25 ausländischen Investmentgesellschaften sei ein Verstoß gegen die Ermittlungs- und Bekanntgabepflichten des § 5 InvStG festgestellt worden.


30. Die Kommission stellt fest, dass das vorlegende Gericht nicht auf die nach § 5 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 InvStG nur für ausländische Investmentgesellschaften geltenden Anforderungen eingehe, und konzentriert deshalb ihre Analyse auf die beiden vom vorlegenden Gericht als Beispiele genannten Verpflichtungen, die ausländische Investmentgesellschaften „häufig" nicht erfüllten; dabei handelt es sich um die Verpflichtung, die Investmenterträge in deutscher Sprache mitzuteilen, und die Verpflichtung, die nach dem InvStG erforderlichen Angaben im elektronischen Bundesanzeiger zu veröffentlichen.


31. Zur ersten dieser Verpflichtungen führt die Kommission aus, dass die in den Streitjahren geltenden Regelungen für die Aufsicht über Investmentfonds, insbesondere Art. 47 der Richtlinie 85/611/EWG(4), Sprachanforderungen nur in Bezug auf Angaben aufstellten, die für die Aufsicht von Bedeutung und aus diesem Grund zu veröffentlichen seien.


32. Hinsichtlich der zweiten Verpflichtung führt die Kommission aus, dass eher kommerzielle Interessen als die Vorschriften des InvStG die ausländischen Fonds dazu bewegten, den deutschen Anlegern derartige Angaben in deutscher Sprache zu machen und in dieser Sprache im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.


33. In Bezug auf die in § 6 InvStG vorgesehene Pauschalbesteuerung hält die Kommission, vorbehaltlich der Feststellungen des vorlegenden Gerichts, das Vorliegen einer verschleierten Beschränkung für plausibel, da die Steuerbegünstigung in Form der Besteuerung auf der Grundlage tatsächlicher oder geschätzter Werte von Formalitäten abhänge, die inländische Gesellschaften, deren Hauptzielgruppe die inländische Kundschaft sei, mit der sie in dieser gemeinsamen Sprache verkehrten, im Gegensatz zu ausländischen Gesellschaften naturgemäß erfüllten.


34. Dagegen werde eine ausländische Investmentgesellschaft diese Voraussetzungen nicht erfüllen, wenn sie ihre Anteile in Deutschland nur passiv vermarkte, da der einzige Grund, ihnen nachzukommen, in der Besteuerung der in diesem Land ansässigen Anleger bestehe und nicht in den kommerziellen Erfordernissen der Investmentgesellschaft.


35. Frau und Herr van Caster schließen sich der Auffassung des vorlegenden Gerichts an, dass trotz der unterschiedslosen Geltung von § 5 InvStG für inländische und ausländische Investmentgesellschaften eine verdeckte bzw. faktische Diskriminierung der Letztgenannten vorliege, da die deutschen Investmentgesellschaften nahezu ausnahmslos die Anforderungen des § 5 InvStG erfüllten, während ausländische Investmentgesellschaften oft keine Veranlassung hätten, ihnen nachzukommen.


2. Würdigung


36. Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts ausüben(5).


37. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung gehören zu den durch Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbotenen Maßnahmen solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Mitgliedstaaten abzuhalten(6).


38. Wie der Gerichtshof bereits im Urteil vom 27. Januar 2009, Persche, hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von Spenden an als gemeinnützig anerkannte Einrichtungen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten entschieden hat, „ist die in Deutschland fehlende Abzugsfähigkeit von Spenden an als gemeinnützig anerkannte Einrichtungen, wenn sie in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, geeignet, sich negativ auf die Bereitschaft deutscher Steuerpflichtiger auszuwirken, an solche Einrichtungen zu spenden, da die Möglichkeit des Spendenabzugs das Verhalten des Spenders erheblich beeinflussen kann. Eine solche Regelung stellt daher eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die gemäß Art. [63 AEUV] grundsätzlich verboten ist."(7)


39. Darüber hinaus hat der Gerichtshof erst kürzlich hinsichtlich einer Bestimmung des polnischen Rechts, die Auslandsinvestitionen polnischer offener Pensionsfonds auf 5 % des Vermögens des betreffenden Fonds beschränkte, ausgeführt: „Außerdem wirkt sich diese Bestimmung gegenüber den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften beschränkend aus, weil sie diese dadurch, dass der Erwerb insbesondere von Aktien oder Anteilen von Organismen für gemeinsame Anlagen begrenzt ist, darin behindert, in Polen Kapital zu sammeln ..."(8)


40. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht somit klar hervor, dass eine nationale Bestimmung, die bewirkt, dass Personen mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat davon abgehalten werden, in ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen zu investieren, und dass die in den anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen daran gehindert werden, in diesem Mitgliedstaat niedergelassene oder wohnhafte Anleger zu gewinnen, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.


41. Daher stellt sich die Frage, ob den §§ 5 und 6 InvStG eine solche abschreckende Wirkung zukommt.


42. Zwar gelten die Anforderungen des § 5 InvStG (mit Ausnahme der in Abs. 1, Nrn. 4 und 5, vorgesehenen Verpflichtungen) unterschiedslos für inländische und ausländische Investmentgesellschaften und ihre Erfüllung dürfte, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs ausführt, für eine große internationale Bank nicht unmöglich sein, doch ist ebenfalls unbestreitbar, dass eine ausländische Investmentgesellschaft, die am deutschen Markt kein oder wenig Interesse hat, unabhängig von den technischen Schwierigkeiten dieser Anforderungen keinen Anreiz hat, sie zu erfüllen. Dies gilt umso mehr, als die Folgen der Entscheidung der Fondsverwaltungsgesellschaft, diesen Pflichten nicht nachzukommen, den Anleger treffen.


43. Die Folgen für den Anleger können schwerwiegend sein. Im Gegensatz zur deutschen Regierung, die die Pauschalbesteuerung gemäß § 6 InvStG für moderat hält, teile ich die Ansicht der Kommission, dass ein pauschal mit 6 % angesetzter Ertrag als solcher hoch ist, insbesondere wenn die Zinssätze über einen längeren Zeitraum niedrig sind. Die deutsche Regierung hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass dieser Wert im Jahr 2004 beim Inkrafttreten der aktuellen Fassung des InvStG festgesetzt und seitdem nicht geändert worden sei.


44. Im vorliegenden Fall hat die Anwendung von § 6 InvStG zur Folge, dass die steuerpflichtigen Einkünfte von Frau und Herrn van Caster anstelle eines tatsächlichen oder geschätzten Wertes von 71 462,93 Euro einen pauschal festgesetzten Wert von 246 446,07 Euro erreichen.


45. Ich bin daher, wie im Übrigen auch das vorlegende Gericht, der Ansicht, dass das Zusammenspiel der §§ 5 und 6 InvStG, nämlich die große Gefahr einer höheren Besteuerung (infolge der pauschalen Festsetzung der steuerpflichtigen Einkünfte) in Verbindung mit der hohen Wahrscheinlichkeit, dass die ausländischen Investmentgesellschaften die Anforderungen der §§ 5 und 6 InvStG nicht erfüllen, dazu führt, dass deutsche Anleger davon abgehalten werden, in ausländische Investmentfonds zu investieren.


46. Diese Schlussfolgerung zum Vorliegen einer verschleierten Beschränkung des freien Kapitalverkehrs wird dadurch bestätigt, dass § 6 InvStG jede abweichende Festsetzung oder Schätzung, insbesondere auf der Grundlage von Angaben des steuerpflichtigen Anlegers selbst, ausschließt.


47. Der Gerichtshof hat nämlich - auch wenn er diesen Umstand häufig im Rahmen der Rechtfertigung geprüft hat(9), wie auch ich es nachstehend tun werde - im Urteil Meilicke u. a. ausgeführt, dass „nationale Rechtsvorschriften ..., wonach die Steuergutschrift nur bei Vorlage einer dem nationalen System des betreffenden Mitgliedstaats entsprechenden Bescheinigung gewährt wird, ohne jede Möglichkeit für den Anteilseigner, die Höhe der von der Dividenden ausschüttenden Gesellschaft tatsächlich gezahlten Steuer mit anderen einschlägigen Umständen und Informationen nachzuweisen, eine nach Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotene verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs [darstellen] ..."(10)


48. Nach alledem komme ich zu dem Ergebnis, dass das Zusammenspiel der §§ 5 und 6 InvStG zu einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs führt.


C - Zur Rechtfertigung


49. Zu prüfen bleibt, ob diese Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nach den Bestimmungen des AEU-Vertrags gerechtfertigt sein kann.


50. Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass der freie Kapitalverkehr durch eine nationale Regelung nur beschränkt werden darf, wenn diese aus einem der in Art. 65 AEUV genannten Gründe oder aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs gerechtfertigt ist(11).


51. Das Finanzamt Essen-Süd und die deutsche Regierung machen keinen der in Art. 65 AEUV genannten Gründe geltend, wohl aber zwei zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die der Gerichtshof bereits als mögliche Rechtfertigung einer Beschränkung der Verkehrsfreiheiten anerkannt hat, nämlich die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten(12) und die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung(13).


52. Zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten, die in der mündlichen Verhandlung nicht angesprochen wurde, führen das Finanzamt Essen-Süd und die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass die Bestimmungen des InvStG das Ziel verfolgten, zum einen Fondsanlagen und Direktanlagen und zum anderen Anlagen in ausländischen Fonds und Anlagen in inländischen Fonds steuerlich gleichzubehandeln. Das Finanzamt Essen-Süd weist darauf hin, dass die Bundesrepublik Deutschland das Welteinkommen der Gebietsansässigen besteure, so dass diese unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien.


53. Meines Erachtens geht aus den Akten klar hervor, dass sich im vorliegenden Fall nicht die Frage nach der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten stellt. Dieser zwingende Grund des Allgemeininteresses betrifft nämlich eine Regelung, „mit der ... Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden"(14), und insbesondere den Fall, dass Steuerpflichtige die Steuerhoheit eines Mitgliedstaats zugunsten der für sie vorteilhafteren Steuerhoheit eines anderen Mitgliedstaats in Frage zu stellen suchen. Darum geht es hier nicht, da die Steuerhoheit der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der von ihren Gebietsansässigen erzielten Einkünfte unangetastet bleibt, auch in Bezug auf ihre Anlagen in ausländischen Fonds. Folglich steht die Aufteilung einer Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nicht in Rede.


54. Die Ausführungen des Finanzamts Essen-Süd und der deutschen Regierung zu diesem Punkt betreffen jedenfalls gar nicht den Schutz der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten, sondern die steuerliche Gleichbehandlung der deutschen Gebietsansässigen, unabhängig von der Art oder dem Ort ihrer Anlagen.


55. Was die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung anbelangt, besteht nach Ansicht des Finanzamts Essen-Süd und der deutschen Regierung die Gefahr, dass der deutsche Fiskus die Einkünfte aus ausländischen Investmentfonds nicht wirksam besteuern könnte, und zwar insbesondere dann, wenn die Erträge des ausländischen Investmentfonds thesauriert würden - im vorliegenden Fall handle es sich um thesaurierende Fonds - und es daher in dem Land, in dem die Kapitalertragsteuer zu erheben sei, nicht zu einer Ausschüttung komme.


56. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung zu gewährleisten, einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung der Ausübung der vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten zu rechtfertigen vermag(15).


57. Wie die deutsche Regierung ausführt, dürfen die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats von den Steuerpflichtigen alle Belege verlangen, die ihnen für die Beurteilung der Frage notwendig erscheinen, ob die Voraussetzungen für einen Steuervorteil vorliegen(16).


58. Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 28. Oktober 2010, Établissements Rimbaud (C‑72/09, Slg. 2010, I‑10659, Randnr. 35), fügt die Regierung des Vereinigten Königreichs hinzu, dass „[e]in Mitgliedstaat ... die Maßnahmen ergreifen [kann], die die klare und eindeutige Feststellung der Höhe des von den Steuerpflichtigen geschuldeten Betrags ermöglichen"; deshalb sei es auch nicht übertrieben, wenn ein Mitgliedstaat bestimmte Sachverhalte von einem Steuervorteil ausschließe, „bei denen er nicht in der Lage ist, eine wirkliche und wirksame Kontrolle der Einhaltung der Voraussetzungen auszuüben, von denen sein Recht diesen Vorteil abhängig macht" (Nr. 134 der Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache, in der das Urteil A ergangen ist).


59. Eine beschränkende Maßnahme kann jedoch nur dann durch die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung zu gewährleisten, gerechtfertigt sein, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in dem Sinne genügt, dass sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das dazu Erforderliche hinausgeht(17).


60. Vermutlich dürften die Informationen sowie die nach § 5 InvStG erforderliche Überprüfung der Richtigkeit bestimmter Angaben es den deutschen Steuerbehörden ermöglichen, die auf Erträge aus Investmentfonds zu erhebende Steuer zutreffend festzusetzen, und zwar auf der Grundlage ihres tatsächlichen oder geschätzten Wertes. Ernstliche Gründe lassen mich jedoch annehmen, dass die deutsche Regelung über das für die Erreichung des Ziels einer zutreffenden Festsetzung der geschuldeten Steuer Erforderliche hinausgeht.


61. Wie ich bereits ausgeführt habe, teilt das vorlegende Gericht nicht mit, welche Verpflichtungen des § 5 InvStG im Fall von Frau und Herrn van Caster nicht eingehalten worden sein sollen. Die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kategorien der in § 5 InvStG aufgestellten Anforderungen ermöglichen es aber, folgende Kriterien herauszuarbeiten.


62. Zunächst legt § 5 InvStG nur den Investmentgesellschaften Verpflichtungen auf und nicht den Steuerpflichtigen, deren Einkünfte in Deutschland steuerpflichtig sind. Handelt es sich bei diesen Gesellschaften, die Investmentfonds verwalten, um ausländische Gesellschaften, sind sie nicht nur in diesem Mitgliedstaat nicht steuerpflichtig, sondern unterliegen auch nicht dem deutschen Recht.


63. Zumindest für eine ganze Reihe der nach § 5 InvStG erforderlichen Informationen hätten die deutschen Steuerbehörden aber die Steuerbehörden des Mitgliedstaats, in dem die Investmentgesellschaft ihren Sitz hat - im vorliegenden Fall des Königreichs Belgien -, auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 77/799 um Amtshilfe ersuchen können, oder sie hätten auf Art. 26 des zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens zurückgreifen können, was, vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, nicht geschehen ist.


64. Wie der Gerichtshof nämlich bereits in der Rechtssache Persche entschieden hat, „können sich die betroffenen Finanzbehörden aufgrund der Richtlinie 77/799 an die Behörden eines anderen Mitgliedstaats wenden, um alle Auskünfte zu erhalten, die sich als notwendig für die ordnungsgemäße Bemessung der Steuer eines Steuerpflichtigen erweisen ... Die Auskünfte, deren Einholung die Richtlinie 77/799 den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats erlaubt, sind nämlich gerade jene, die ihnen notwendig erscheinen, um den korrekten Betrag der Steuer gemäß den von ihnen selbst anzuwendenden Rechtsvorschriften ordnungsgemäß festzusetzen"(18). Die deutschen Behörden hatten daher die Möglichkeit, die belgischen Behörden um Mitteilung der in § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 InvStG genannten Informationen zu ersuchen.


65. Außerdem kann nach ständiger Rechtsprechung(19) - unabhängig von der Anwendung dieser beiden Instrumente für den Austausch von Informationen, um die es sich bei der Richtlinie 77/799 und dem zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen handelt - ein absolutes Verbot, das die Steuerpflichtigen daran hindert, den Steuerbehörden die erforderlichen Informationen vorzulegen - im vorliegenden Fall Frau und Herrn van Caster an dem Nachweis, dass der tatsächliche oder geschätzte Wert ihrer Beteiligung an dem ausländischen Investmentfonds niedriger ist als der in Anwendung von § 6 InvStG unterstellte Wert -, bei einem unionsinternen Sachverhalt im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr nicht gerechtfertigt sein.


66. Hierzu hat sich der Gerichtshof in seinem Urteil Meilicke u. a. ganz klar geäußert:


„43 Eine Regelung eines Mitgliedstaats, durch die in dem entsprechenden Mitgliedstaat unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Personen, die in Kapitalgesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat investiert haben, absolut daran gehindert werden, Nachweise vorzulegen, die - insbesondere hinsichtlich der Präsentation - anderen Kriterien entsprechen als den in den Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats für Investitionen im Inland vorgesehenen, stünde nicht nur im Widerspruch zum Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung, sondern ginge vor allem über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels der Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle erforderlich ist.


44 Es lässt sich nämlich nicht von vornherein ausschließen, dass die entsprechenden Anteilseigner einschlägige Belege vorlegen können, anhand deren die Steuerbehörden des Besteuerungsmitgliedstaats klar und genau prüfen können, welche Steuerabzüge in anderen Mitgliedstaaten tatsächlich vorgenommen worden sind ..."(20)


67. In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung vorgetragen, es sei unnötig, einem steuerpflichtigen Anleger zu gestatten, die in § 5 Abs. 1 InvStG genannten Informationen selbst beizubringen, da es sich nicht um Informationen handele, über die er normalerweise verfüge. Für mich ist nicht ersichtlich, weshalb diese Möglichkeit von vornherein ausgeschlossen werden sollte, vor allem im Hinblick auf die immer bestehende Möglichkeit für einen steuerpflichtigen Anleger, diese Informationen von der Fondsverwaltungsgesellschaft zu verlangen und zu erhalten. In diesem Fall wäre die Weigerung der deutschen Steuerbehörden, diese Informationen zu berücksichtigen, durch nichts gerechtfertigt.


68. Aus all diesen Gründen bin ich der Ansicht, dass die restriktive Maßnahme, die sich aus dem Zusammenspiel der §§ 5 und 6 InvStG ergibt, nicht durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein kann, die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung zu gewährleisten.


VI - Ergebnis


69. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Finanzgericht Düsseldorf vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:


Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die hier in Rede stehenden §§ 5 und 6 des deutschen Investmentsteuergesetzes, die im Zusammenspiel dazu führen, dass die Erträge von Gebietsansässigen dieses Mitgliedstaats aus ausländischen Investmentfonds einer Pauschalbesteuerung unterliegen, wenn die in diesem Gesetz vorgesehenen Transparenz- und Bekanntgabepflichten nicht erfüllt werden, und nicht einer Besteuerung auf der Grundlage tatsächlicher oder geschätzter Werte, stellen eine nach Art. 63 AEUV verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die weder mit der Notwendigkeit, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, noch mit der Notwendigkeit, die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung zu gewährleisten, gerechtfertigt werden kann.






1 - Originalsprache: Französisch.






2 - ABl. L 336, S. 15. Diese Richtlinie wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2013 durch die Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799 (ABl. L 64, S. 1) aufgehoben. Die neue Richtlinie enthält zwar wichtige Änderungen der Regelung des Informationsaustauschs zwischen den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten, doch wirken sich diese nicht auf die vorliegende Analyse aus.






3 - Wie die deutsche Regierung angibt, wurde § 5 InvStG in der Folge mehrfach geändert, jedoch waren diese Änderungen immer marginal und ohne Auswirkung auf den vorliegenden Rechtsstreit.






4 - Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. L 375, S. 3).






5 - Vgl. Urteile vom 4. März 2004, Kommission/Frankreich (C‑334/02, Slg. 2004, I‑2229, Randnr. 21), vom 20. Januar 2011, Kommission/Griechenland (C‑155/09, Slg. 2011, I‑65, Randnr. 39), vom 16. Juni 2011, Kommission/Österreich (C‑10/10, Slg. 2011, I‑5389, Randnr. 23), und vom 10. Mai 2012, Santander Asset Management SGIIC u. a. (C‑338/11 bis C‑347/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 14).






6 - Vgl. Urteil vom 25. Januar 2007, Festersen (C‑370/05, Slg. 2007, I‑1129, Randnr. 24), vom 18. Dezember 2007, A (C‑101/05, Slg. 2007, I‑11531, Randnr. 40), vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen (C‑436/08 und C‑437/08, Slg. 2011, I‑305, Randnr. 50), sowie Santander Asset Management SGIIC u. a. (Randnr. 15).






7 - C‑318/07, Slg. 2009, I‑359, Randnrn. 38 und 39.






8 - Urteil vom 21. Dezember 2011, Kommission/Polen (C‑271/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 52). Vgl. auch Urteile vom 6. Juni 2000, Verkooijen (C‑35/98, Slg. 2000, I‑4071, Randnrn. 34 und 35), und vom 15. Juli 2004, Weidert und Paulus (C‑242/03, Slg. 2004, I‑7379, Randnrn. 13 und 14).






9 - Vgl. Urteile vom 8. Juli 1999, Baxter u. a. (C‑254/97, Slg. 1999, I‑4809, Randnrn. 19 und 20), vom 28. Oktober 1999, Vestergaard (C‑55/98, Slg. 1999, I‑7641, Randnr. 26), vom 11. Oktober 2007, ELISA (C‑451/05, Slg. 2007, I‑8251, Randnr. 95), Persche (Randnr. 53), vom 6. Oktober 2011, Kommission/Portugal (C‑493/09, Slg. 2011, I‑9247, Randnr. 46), und vom 28. Februar 2013, Petersen (C‑544/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 51).






10 - Urteil vom 30. Juni 2011 (C‑262/09, Slg. 2011, I‑5669, Randnr. 40). Hervorhebung nur hier.






11 - Vgl. Urteile vom 14. Februar 2008, Kommission/Spanien (C‑274/06, Randnr. 35), und Kommission/Polen (Randnr. 55).






12 - Vgl. Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, Slg. 2005, I‑10837, Randnr. 45), vom 7. September 2006, N (C‑470/04, Slg. 2006, I‑7409, Randnr. 42), vom 18. Juli 2007, Oy AA (C‑231/05, Slg. 2007, I‑6373, Randnr. 51), vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C‑414/06, Slg. 2008, I‑3601, Randnr. 31), vom 25. Februar 2010, X Holding (C‑337/08, Slg. 2010, I‑1215, Randnr. 28), und vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, Slg. 2011, I‑12273, Randnr. 45).






13 - Vgl. Urteile vom 20. Februar 1979, Rewe-Zentral, „Cassis de Dijon" (120/78, Slg. 1979, 649, Randnr. 8), vom 15. Mai 1997, Futura Participations und Singer (C‑250/95, Slg. 1997, I‑2471, Randnr. 31), vom 10. März 2005, Laboratoires Fournier (C‑39/04, Slg. 2005, I‑2057, Randnr. 24), vom 11. Juni 2009, X und Passenheim-van Schoot (C‑155/08 und C‑157/08, Slg. 2009, I‑5093, Randnr. 45), vom 1. Juli 2010, Dijkman und Dijkman-Lavaleije (C‑233/09, Slg. 2010, I‑6649, Randnr. 58), Kommission/Portugal (Randnr. 42), Meilicke u. a. (Randnr. 41), vom 5. Juli 2012, SIAT (C‑318/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 36), und Petersen (Randnr. 50).






14 - Urteil vom 21. Januar 2010, SGI (C‑311/08, Slg. 2010, I‑487, Randnr. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteile Oy AA (Randnr. 54) und vom 18. Juni 2009, Aberdeen Property Fininvest Alpha (C‑303/07, Slg. 2009, I‑5145, Randnr. 66).






15 - Vgl. Urteile Cassis de Dijon (Randnr. 8), Futura Participations und Singer (Randnr. 31), Laboratoires Fournier (Randnr. 24), X und Passenheim-van Schoot (Randnr. 45), Dijkman und Dijkman-Lavaleije (Randnr. 58), Kommission/Portugal (Randnr. 42), Meilicke u. a. (Randnr. 41), SIAT (Randnr. 36) und Petersen (Randnr. 50).






16 - Vgl. Urteile vom 3. Oktober 2002, Danner (C‑136/00, Slg. 2002, I‑8147, Randnr. 50), vom 26. Juni 2003, Skandia und Ramstedt (C‑422/01, Slg. 2003, I‑6817, Randnr. 43), und Persche (Randnr. 54).






17 - Vgl. Urteil Meilicke u. a. (Randnr. 42). Vgl. auch Urteile vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, Slg. 1995, I‑4165, Randnr. 37), A (Randnr. 56), und Persche (Randnr. 52).






18 - Randnrn. 61 und 62 des Urteils Persche; Hervorhebung nur hier. Vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 11. August 1995, Wielockx (C‑80/94, Slg. 1995, I‑2493, Randnr. 26), Futura Participations und Singer (Randnr. 41), Vestergaard (Randnrn. 26 und 28), Danner (Randnr. 49), Skandia und Ramstedt (Randnr. 42), vom 14. September 2006, Centro di Musicologia Walter Stauffer (C‑386/04, Slg. 2006, I‑8203, Randnr. 50), vom 30. Januar 2007, Kommission/Dänemark (C‑150/04, Slg. 2007, I‑1163, Randnr. 52), vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz (C‑347/04, Slg. 2007, I‑2647, Randnr. 56), und vom 27. September 2007, Twoh International (C‑184/05, Slg. 2007, I‑7897, Randnr. 36).






19 - Vgl. Urteil Meilicke u. a. (Randnrn. 43 und 44). Vgl. in diesem Sinne auch Urteile Baxter u. a. (Randnrn. 19 und 20), Laboratoires Fournier (Randnr. 25), ELISA (Randnr. 96), Persche (Randnr. 53) und Kommission/Portugal (Randnr. 46).






20 - Ebd. (Randnrn. 43 und 44).




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