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RdF-News
02.03.2012
RdF-News
BFH: "Voraussichtlich dauernde Wertminderung" von im Anlagevermögen gehaltenen Aktien und Aktienfonds

 












BFH, Urteil  vom 21.09.2011- Aktenzeichen I R 89/10
(Vorinstanz: FG Münster vom
31.08.2010 - Aktenzeichen 9 K 3466/09 K,G (EFG 2011, 124);
)


Amtliche Leitsätze:
Von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung gemäß §
6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 i.d.F. des StEntlG
1999/2000/ 2002 ist bei börsennotierten Aktien grundsätzlich dann auszugehen,
wenn der Börsenwert zum Bilanzstichtag unter denjenigen im Zeitpunkt des
Aktienerwerbs gesunken ist und der Kursverlust die Bagatellgrenze von 5 % der
Notierung bei Erwerb überschreitet. Auf die Kursentwicklung nach dem
Bilanzstichtag kommt es hierbei nicht an (Bestätigung und Präzisierung der
Rechtsprechung).

Amtliche Normenkette: HGB
§ 253;
EStG
1997 i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2;
Redaktionelle Normenkette: EStG
1997 § 6
Abs. 1
Nr. 2
S. 2;








Gründe
 






I.
 






Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin
(Klägerin), eine AG, erwarb von März bis Mai 2001 (Streitjahr) Aktien dreier
börsennotierter Gesellschaften (AG I bis III).
Die Anteile gehörten zu ihrem Anlagevermögen; deren Werte entwickelten sich wie
folgt:
RN 1





  RN 2































































AG I(...)  AG II(X Corp.)  AG III(Y AG) 
Kaufdatum  29. Mai 2001  30. Mai 2001  01. März 2001 
Kurs bei Erwerb  14,55 €  35,27 €  83,50 € 
Kurswert beim Erwerb  218.250,00 €  705.400,00 €  501.000,00 € 
Anschaffungskosten  219.104,28 €  708.002,97 €  502.706,15 € 
davon Anschaffungsnebenkosten  854,28 €  2.602,97 €  1.706,15 € 
Quote/Anschaffungsnebenkosten  0,39 %  0,37 %  0,34 % 
Kurs am 31. Dezember 2001  9,50 €  28,81 €  74,35 € 
Kursminderung: Erwerb/ 31. Dezember 2001 
./. 34,71 %  ./. 18,32 %  ./. 10,96 % 
Kurswert am 31. Dezember 2001  142.500,00 €  576.200,00 €  446.100,00 € 
Kurs am 14. März 2002  13,35 €  24,96 €  74,10 € 
Kursminderung: Erwerb/14. März 2002 
./. 8,25 %  ./. 29,23 %  ./. 11,26 % 






Der handelsrechtliche Jahresabschluss wurde vom Vorstand und
dem Steuerberater der Klägerin am 14. März 2002 unterzeichnet; die
Steuerklärungen 2001 sind am 16. Juni 2003 dem Beklagten, Revisionskläger und
Anschlussrevisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eingereicht worden. Die auf der
Grundlage der Kurswerte zum 31. Dezember 2001 von der Klägerin vorgenommenen
Teilwertabschreibungen in Höhe von insgesamt 218.190,52 € (= 68.517,15 € [AG I]
+ 114.754,86 € [AG II] + 34.918,51 € [AG III]) erkannte das FA bei der
Festsetzung der Körperschaftsteuer 2001 sowie des Gewerbesteuermessbetrags 2001
nicht an. Das FA änderte mit den Einspruchsentscheidungen beide Bescheide
lediglich insoweit, als es die Teilwertabschreibung auf eine weitere
--vorliegend nicht streitige--
RN 3






Aktienposition anerkannte, weil deren Kurswert zum 31.
Dezember 2001 um 52,66 % unter die Anschaffungskosten gesunken war. Es nahm
hierbei auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 26. März
2009 (BStBl I 2009, 514) Bezug, nach welchem
von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz
2 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999,
402, BStBl I 1999, 304) -- EStG
1997 n.F.-- nur dann auszugehen sei, wenn der Börsenkurs zum jeweiligen
Bilanzstichtag um mehr als 40 % oder an zwei aufeinander folgenden
Bilanzstichtagen um jeweils mehr als 25 % unter die Anschaffungskosten gesunken
sei.
 






Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit Urteil vom 31. August
2010 9 K 3466/09 K,G nur insoweit stattgegeben, als es eine Teilwertabschreibung
auf die Anteile an der AG I in Höhe von
18.073,31 € zugelassen hat. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass nach dem
Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. September 2007 I
R 58/06
(BFHE 219, 100,
BStBl II 2009, 294)
bei börsennotierten Aktien des Finanzanlagevermögens eine voraussichtlich
dauernde Wertminderung vorliege, wenn deren Kurswert zum Bilanzstichtag unter
die Anschaffungskosten gesunken sei und zum Zeitpunkt der Aufstellung der Bilanz
keine Anhaltspunkte für ein alsbaldiges Ansteigen des Kurses vorlägen. Zu
berücksichtigen sei hierbei zum einen, dass Kursverluste innerhalb einer
gewissen Bandbreite aus Gründen der Verwaltungsökonomie als nur vorübergehende
--und damit nicht dauerhafte-- Wertminderungen zu qualifizieren seien. Nur so
könne vermieden werden, dass jede Kursminderung zu einer Teilwertabschreibung
führe und die Regelung des § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F. leer laufe. Zum anderen lasse sich eine dauerhafte Wertminderung nur
dann allein aus der Entwicklung der Börsenkurse ableiten, wenn diese den
Erwerbspreis nicht unerheblich unterschritten. Zur Bestimmung dieser
Schwellenwerte seien allerdings die im BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 514 vertretenen Grenzen nicht geeignet, da es
insbesondere keinen Erfahrungssatz gebe, nach dem Kurseinbrüche um 40 %
üblicherweise kurz- bis mittelfristig aufgeholt würden. Vielmehr sei auf den vom
Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) für die Bilanzierung in
der Versicherungswirtschaft (§ 341b
i.V.m. § 253
des Handelsgesetzbuchs a.F. --
HGB
a.F.--) erarbeiteten Standard IDW RS VFA 2 vom 8. April 2002 (Die
Wirtschaftsprüfung --WPg-- 2002, 475, Rz 19) zurückzugreifen, nach dem dann von
einer voraussichtlich dauernden Wertminderung auszugehen sei, wenn (1) entweder
der Zeitwert des Wertpapiers innerhalb von sechs Monaten vor dem Bilanzstichtag
ständig um mehr als 20 % unter dem Buchwert oder (2) der Zeitwert über einen
längeren Zeitraum als ein Geschäftsjahr unter dem Buchwert und der
Durchschnittswert der täglichen Börsenkurse des Wertpapiers in den letzten 12
Monaten um mehr als 10 % unter dem Buchwert liege. Mit Rücksicht auf die
gebotene Vereinfachung sei die zeitraumbezogene Betrachtung des IDW jedoch
zugunsten der Maßgeblichkeit von Stichtagskursen zu modifizieren mit der Folge,
dass bei im laufenden Geschäftsjahr angeschafften Aktien eine dauernde
Wertminderung voraussetze, dass der Kurs am Bilanzstichtag denjenigen bei Erwerb
um mehr als 20 % unterschreite; zudem werde die Höhe der Teilwertabschreibung
durch eine etwaige Wertaufholung am Tag der Bilanzerstellung sowie die im Falle
einer Wiederbeschaffung der Aktien anfallenden Anschaffungsnebenkosten begrenzt.
Eine Teilwertabschreibung sei nach diesen Maßstäben nur bei den Aktien an der AG
I gerechtfertigt. Zu weiteren Einzelheiten wird
auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 124 abgedruckten
Urteilsgründe verwiesen.
RN 4






Mit seiner Revision rügt das FA u.a., dass angesichts der
erheblichen Schwankungen der Börsenwerte die vom FG vertretene 20 %-Grenze nicht
geeignet sei, auf eine voraussichtlich dauernde Wertminderung (§ 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F.) zu schließen. Die Klägerin macht mit ihrer Anschlussrevision geltend,
das FG hätte der begehrten Teilwertabschreibung in vollem Umfang entsprechen
müssen. Die Vorinstanz habe die ihr zustehenden Befugnisse zur Gesetzesauslegung
durch die Bestimmung letztlich willkürlicher Schwellenwerte für die
Teilwertabschreibung überschritten. Maßgeblich im Sinne der Rechtsprechung des
BFH sei nur der Börsenkurs am Bilanzstichtag.
RN 5






Das FA beantragt,
RN 6






das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen
sowie die Anschlussrevision der Klägerin zurückzuweisen.
 






Die Klägerin beantragt sinngemäß,
RN 7





  






das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die angefochtenen
Steuerbescheide dahin zu ändern, dass weitere Teilwertabschreibungen auf die
Aktien des Anlagevermögens in Höhe von 218.190,52 € zugelassen werden, sowie die
Revision des FA zurückzuweisen.
 






II.
 






Die Revision des FA ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen
126
Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung
--
FGO
--). Die Anschlussrevision der Klägerin führt zur Aufhebung des
vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache nach § 126
Abs. 3
Satz 1 Nr. 2
FGO,
da der Senat aufgrund der Feststellungen des FG nicht beurteilen kann, in
welchem Umfang die von der Klägerin insgesamt begehrten Teilwertabschreibungen
(218.190,52 €) --über den von der Vorinstanz zugesprochenen Betrag (18.073,31 €)
hinaus-- anzuerkennen sind.
RN 8






1. Nach § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 1 EStG
1997 n.F. sind nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens mit ihren
Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bilanzieren. Jedoch kann gemäß § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F. der Teilwert angesetzt werden, wenn dieser aufgrund einer
voraussichtlich dauernden Wertminderung niedriger ist.
RN 9






2. Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung liegt vor, wenn
der Teilwert nachhaltig unter den maßgeblichen Buchwert gesunken ist (BTDrucks
14/443, S. 22; BFH-Urteil vom 9. September 1986 VIII R 20/85, BFH/NV 1987, 442) und deshalb aus Sicht des
Bilanzstichtags aufgrund objektiver Anzeichen ernstlich mit einem langfristigen
Anhalten der Wertminderung gerechnet werden muss (Senatsurteil vom 27. November
1974 I
R 123/73
, BFHE 114, 415,
BStBl II 1975, 294).
Hierfür bedarf es einer an der Eigenart des Wirtschaftsgutes ausgerichteten
Prognose (Senatsurteil vom 14. März 2006 I
R 22/05
, BFHE 212, 526,
BStBl II 2006, 680).
Der Senat hat diese --soweit ersichtlich-- nicht umstrittenen allgemeinen
Grundsätze mit seinem Urteil in BFHE 219, 100,
BStBl II 2009, 294
dahin konkretisiert, dass allein die Möglichkeit einer Wertsteigerung in der
Zukunft einer Teilwertabschreibung nicht entgegensteht; abzustellen ist deshalb
darauf, ob aus Sicht des Bilanzstichtages mehr Gründe für ein Andauern der
Wertminderung sprechen als dagegen. Hiernach ist bei börsennotierten und im
Anlagevermögen gehaltenen Aktien dann von einer voraussichtlich dauernden
Wertminderung auszugehen, wenn der Börsenkurs der Aktie (zuzüglich der im Falle
eines Erwerbs anfallenden Nebenkosten) zum Bilanzstichtag unter ihren Buchwert
gesunken ist und keine konkreten Anhaltspunkte für eine baldige Wertsteigerung
vorliegen.
RN 10






3. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest und präzisiert
sie mit Rücksicht auf die im Urteil in BFHE 219, 100,
BStBl II 2009, 294
offengebliebene Frage, ob Kursverluste innerhalb einer gewissen Bandbreite als
nur vorübergehende Wertschwankungen zu beurteilen sind, dahin, dass
grundsätzlich jede Minderung des Kurswerts die Annahme einer --gegenüber dem
Kurswert im Zeitpunkt des Aktienerwerbs-- voraussichtlich dauernden
Wertminderung i.S. von § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F. rechtfertigt und damit weder die im BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 514 vertretenen noch die von der Vorinstanz
in Anlehnung an die Auffassung des IDW befürworteten Schwellenwerte (WPg 2002,
475, s. zu I.4.) unterschritten sein müssen. Zum anderen ist die im Senatsurteil
in BFHE 219, 100,
BStBl II 2009, 294
--mangels Entscheidungserheblichkeit-- gleichfalls offengebliebene Frage, ob die
bis zum Tag der Bilanzaufstellung eingetretenen Kursänderungen als für die
Verhältnisse am Bilanzstichtag werterhellend anzusehen sind, dahin zu
beantworten, dass es sich hierbei um wertbeeinflussende (wertbegründende)
Umstände handelt, die grundsätzlich die Bewertung der Aktien zum Bilanzstichtag
nicht berühren.
RN 11






a) Das Senatsurteil in BFHE 219, 100,
BStBl II 2009, 294,
nach welchem das Merkmal der voraussichtlich dauernden Wertminderung (§ 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F.) am Kurswert auszurichten ist, beruht auf einer typisierenden
Gesetzesauslegung. Hierzu ist auch die Rechtsprechung jedenfalls dann befugt,
wenn eine Einzelfallprüfung der steuergesetzlichen Tatbestandsmerkmale
angesichts der Vielzahl der hiervon betroffenen Sachverhalte nicht unerhebliche
Schwierigkeiten bereiten würde. Bei Fällen dieser Art gestattet deshalb das
berechtigte Interesse sowohl der Steuerpflichtigen als auch der Finanzbehörden
nach einem raschen und praktikablen Gesetzesvollzug eine typisierende Bestimmung
der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, vorausgesetzt, die Typisierung führt weder
zu einem Verstoß gegen das Verbot willkürlicher Rechtsanwendung noch zur
Verletzung von Grundrechten (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG--
vom 31. Mai 1988 1
BvR 520/83
, BVerfGE 78, 214,
227, 228 f.; vom 4. Februar 2005 2
BvR 1572/01
, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2005,
352).
RN 12






aa) Der Senat hat hierzu erläutert, dass die verschiedenen im
Handelsrecht sowohl zu § 253
Abs. 2
Satz 3 HGB
a.F. (heute: Abs. 3
Satz 4 HGB
n.F.) als auch zu § 341b
Abs. 1
Satz 3 HGB
a.F. (heute Abs. 1
Satz 3 i.V.m. § 253
Abs. 3
Satz 4 HGB
n.F.) vertretenen Auffassungen, denen zufolge eine voraussichtlich dauernde
Wertminderung an die --unterschiedlich bestimmte--
RN 13






Höhe der Differenz zwischen den historischen und den aktuellen
Börsenkursen sowie der --gleichfalls nicht einheitlich bestimmten-- Dauer
solcher Kursabweichungen gebunden ist, sowohl die Finanzbehörden als auch die
steuerlichen Berater überfordern würden und es deshalb für das durch die
Bewältigung einer Vielzahl von Fällen gekennzeichnete Steuerverfahren
(Massenverfahren) einfacher und leicht überprüfbarer Kriterien bedürfe (vgl.
--einschließlich der Darstellung der handelsrechtlichen Stellungnahmen--
Senatsurteil in BFHE 219, 100,
BStBl II 2009, 294,
zu II.1.e und II.1.c).
 






bb) Dass der Senat hiernach zur Bestimmung der voraussichtlich
dauernden Wertminderung i.S. von § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F. auf das typisierende Kriterium des gesunkenen Börsenkurses
zurückgreift, verstößt erkennbar weder gegen das Verbot willkürlicher
Rechtsanwendung noch gegen Grundrechte.
RN 14






aaa) Nur diese Einschätzung entspricht der gebotenen
Objektivierung der Bewertung (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1990 I R 116/86, BFHE
162, 552,
BStBl II 1991, 342:
betreffend Teilwertbestimmung) und sichert damit einen gleichmäßigen
Gesetzesvollzug (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 78, 214,
229), da --worauf der Senat bereits im Urteil in BFHE 219, 100,
BStBl II 2009, 294
(zu II.1.d) hingewiesen hat-- der aktuelle Börsenkurs die informationsgestützte
Einschätzung einer großen Zahl von Marktteilnehmern über die künftigen Risiken
und Erfolgsaussichten des jeweiligen Unternehmens widerspiegelt und zugleich
deren Erwartung ausdrückt, dass der jetzt gefundene Kurs voraussichtlich
dauerhaften Charakter besitzt. Tragend hierfür ist, dass der aktuelle Börsenwert
--im Vergleich zum Kurswert bei Erwerb der Anteile-- eine höhere
Wahrscheinlichkeit aufweist, die künftige Kursentwicklung zu
prognostizieren.
RN 15






bbb) Soweit das FA hiergegen einwendet, die These eines
informationseffizienten Kapitalmarkts sei im finanzwissenschaftlichen Schrifttum
zunehmend umstritten (z.B. Fey/Mujkanovic, Wpg 2003, 212, 213), vermag dies
keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Der Einwand lässt nicht nur außer
Acht, dass
RN 16






--wie nachfolgend auszuführen sein wird (s. zu cc)--
beispielsweise Marktanomalien, die geeignet sind, den Börsenkurs zu verfälschen,
auch im Rahmen der Entscheidung über die Wertminderung nach § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F. zu berücksichtigen sind. Hinzu kommt vor allem, dass selbst dann, wenn
man allgemein von teilweise ineffizienten Kapitalmärkten ausgeht, angesichts der
Vielzahl der in Frage stehenden Bewertungen (Steuerfälle) sowie der begrenzten
personellen Ressourcen regelmäßig weder die Gerichte noch die Finanzbehörden
noch die Steuerpflichtigen oder deren Berater in der Lage wären, eine
hinreichend sichere und objektiv nachprüfbare Aussage darüber zu treffen, dass
die für die einzelnen Aktienwerte vorliegenden Kursnotierungen nicht alle am
Bilanzstichtag verfügbaren Informationen verarbeitet hätten. Demgemäß kann es
auch nicht in Betracht kommen, bei der Prognose über die zukünftige
Wertentwicklung einer Aktie deren Börsennotierung durch einen vermeintlich
besseren oder jedenfalls nicht hinlänglich verifizierbaren Schätzwert zu
ersetzen (ähnlich Schön in Kirchhof/Schmidt/Schön/Vogel [Hrsg.], Steuer- und
Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl, Festschrift für
Raupach 2006, S. 299, 314). Vielmehr entspricht nur die typisierende --und zudem
durch das Wertaufholungsgebot des § 6
Abs. 1
Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG
1997 n.F. legitimierte-- Annahme, dass sich im Regelfall der Kurswert einer
Aktie unter den Bedingungen eines informationseffizienten Kapitalmarkts gebildet
habe, dem Erfordernis eines gleichheitsgerechten Gesetzesvollzugs.
 






cc) Die Rechtsprechung des Senats ist auch insofern
verfassungsrechtlich unbedenklich, als die vorgenannte Typisierung --wie bereits
angedeutet-- nicht dazu führt, den zukünftigen Wert der Aktie im Sinne einer
unwiderlegbaren Vermutung aus dem Börsenkurs am Bilanzstichtag abzuleiten (vgl.
BVerfG-Beschluss in HFR 2005, 352). Der Senat hat hierzu im Urteil in BFHE 219,
100,
BStBl II 2009, 294
dargelegt, dass ein --gegenüber den Anschaffungskosten der Aktie-- gesunkener
Börsenkurs dann nicht auf eine voraussichtlich dauernde Wertminderung schließen
lasse, wenn (spätestens) im Zeitpunkt der Bilanzerstellung konkrete
Anhaltspunkte für eine baldige Werterholung vorliegen. Letzteres ist dahin zu
präzisieren, dass der Teilwert einer Aktie und damit auch deren voraussichtlich
dauernde Wertminderung i.S. von § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F. nicht nach dem Kurswert bestimmt werden können, wenn aufgrund
konkreter und objektiv überprüfbarer Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass
der Börsenpreis den tatsächlichen Anteilswert nicht widerspiegelt. Dies kann
--ohne dass der Senat vorliegend die hierfür maßgeblichen Umstände abschließend
zu benennen hätte-- dann der Fall sein, wenn der Kurs am Bilanzstichtag durch
Insidergeschäfte beeinflusst (manipuliert) war (Gosch, BFH/PR 2008, 138) oder
wenn über einen längeren Zeitraum hinweg mit den zu bewertenden Aktien praktisch
kein Handel stattgefunden hat (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12.
März 2001 II
ZB 15/00
, BGHZ 147, 108; Senatsurteil vom 25. August 2009 I R 88, 89/07, BFHE
226, 296).
RN 17






b) Aus der typisierenden Annahme, dass der Börsenkurs sich
RN 18






--vorbehaltlich der dargelegten Ausnahmen-- auf der Grundlage
eines informationseffizienten Kapitalmarkts gebildet hat, sind mit Rücksicht auf
das anhängige Verfahren Folgerungen zweierlei Art abzuleiten.
 






aa) Zum einen ergibt sich hieraus, dass die (typisierende)
Prämisse der Informationseffizienz nicht nur der Kursbildung am Bilanzstichtag,
sondern auch den anschließenden Notierungen bis zum Tag der Bilanzaufstellung
zugrunde zu legen ist. Demgemäß ist es --entgegen der Einschätzung der
Vorinstanz-- ausgeschlossen, Kursänderungen in der Zeit bis zur Aufstellung der
Bilanz bei der Entscheidung über die Teilwertminderung am Bilanzstichtag als
sog. werterhellende Umstände zu berücksichtigen (gl.A. Heger, Die
Unternehmensbesteuerung --Ubg--
RN 19






2008, 68, 71; Gosch, BFH/PR 2008, 138; Schlotter,
Betriebs-Berater --BB-- 2008, 546, 548; Korn/Strahl in Korn, EStG,
§ 6
Rz 204.1; Schneider, Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft 2000, 121,
128). Soweit sich das handelsrechtliche Schrifttum mit Rücksicht auf das
Vorsichtsprinzip (§ 252
Abs. 1
Nr. 4
HGB)
dafür ausspricht, die Geschehensabläufe bis zur Aufstellung der Bilanz als
werterhellend zu würdigen (z.B. Kessler, Der Betrieb 1999, 2577, 2580), kann
dies schon mit Rücksicht darauf, dass das Tatbestandsmerkmal der dauernden
Wertminderung i.S. von § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F. einer steuerrechtlich eigenständigen und durch die
Informationseffizienzprämisse gekennzeichneten Auslegung unterworfen ist, keine
andere Beurteilung rechtfertigen. Unberührt hiervon bleibt allerdings, dass
werterhellende Erkenntnisse darüber, dass bereits am Bilanzstichtag objektive
Anhaltspunkte für Kursverfälschungen vorgelegen haben (vgl. vorstehend zu II.3.a
cc), auch in der Zeit bis zur Aufstellung der Bilanz mit der Folge gewonnen
werden können, dass der tatsächliche Wert der betroffenen Aktien --ohne Bindung
an den Börsenkurs zum Bilanzstichtag-- zu schätzen ist (Gosch, BFH/PR 2008,
138).
 






bb) Mit der typisierenden Annahme eines
informationseffizienten Kapitalmarkts ist zum anderen auch verbunden, dass eine
objektiv nachvollziehbare Unterscheidung zwischen nur vorübergehenden üblichen
Kursschwankungen einerseits und Kursveränderungen aufgrund längerfristig
wirkender Faktoren andererseits nur schwer zu treffen sein wird (Schön in
Festschrift Raupach, a.a.O., S. 319; Heger, Ubg 2008, 68, 71). Deshalb kann es
RN 20






--entgegen der Ansicht der Vorinstanz sowie der Ansicht der
Finanzverwaltung (s. zu I.2.)-- auch nicht in Betracht kommen, eine
Teilwertabschreibung wegen voraussichtlich dauernder Wertminderung im Grundsatz
davon abhängig zu machen, dass der aktuelle Börsenkurs denjenigen im Zeitpunkt
des Aktienerwerbs um einen bestimmten Schwellenwert (Signifikanzwert)
unterschreitet.
 






aaa) Der Senat kann sich auch nicht dem Vorschlag anschließen,
entsprechend der allgemein im Steuerrecht vertretenen Erheblichkeitsschwelle
(vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 7. April 2011 IV
B 157/09
, BFH/NV 2011, 1392) nur Kursrückgänge von mehr als 10 % der
Erwerbsnotierung als Ausdruck einer voraussichtlich dauernden Wertminderung zu
qualifizieren (z.B. Schlotter, BB 2009, 892). Vielmehr muss --annahmegemäß--
auch bei geringeren Kursminderungen davon ausgegangen werden, dass der Markt
auch die Dauerhaftigkeit einer solchen Wertminderung verarbeitet hat. Abweichend
von der Einschätzung der Vorinstanz führt diese Beurteilung auch nicht dazu,
dass dem Tatbestandmerkmal der voraussichtlich dauernden Wertminderung kein
relevanter Regelungsbereich mehr verbleibt (vgl. hierzu allgemein BFH-Beschluss
vom 1. Februar 2006 X
B 166/05
, BFHE 212, 242,
BStBl II 2006, 420,
425, m.w.N.). Der Einwand lässt nicht nur außer Acht, dass der typisierende
Rückgriff auf die Börsenkurse am Bilanzstichtag insbesondere durch den Aspekt
des gleichheitsgerechten Gesetzesvollzugs legitimiert ist und --wie erläutert--
unter dem Vorbehalt steht, dass die Annahme einer im wesentlichen
informationseffizienten Kursbildung nicht durch konkrete (objektive)
Anhaltspunkte widerlegt wird. Hinzu kommt, dass die Ansicht des erkennenden
Senats nur börsennotierte Werte und damit keinesfalls die Gesamtheit aller von
den Bewertungsregeln des § 6
Abs. 1
Nr. 2
oder Nr. 1
EStG
1997 n.F. erfassten Wirtschaftsgüter betrifft (vgl. z.B. zu Gebäuden sowie
Fremdwährungsverbindlichkeiten BFH-Urteile in BFHE 212, 526,
BStBl II 2006, 680;
vom 29. April 2009 I
R 74/08
, BFHE 225, 357, BStBl II 2009, 899; vom 23. April 2009 IV
R 62/06
, BFHE 224, 564, BStBl II 2009, 778; Senatsurteil vom 8. Juni 2011 I
R 98/10
, BFH/NV 2011, 1758). Auch insofern verbietet sich die Annahme, dass
den Tatbestandsmerkmalen des § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 oder Nr. 1 Satz 2 EStG
1997 n.F. kein relevanter Anwendungsbereich mehr zukomme.
RN 21






bbb) Unberührt bleibt hiervon andererseits jedoch, dass es mit
Rücksicht auf die gebotene Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens und damit im
Einklang mit der für börsennotierte Aktien geltenden typisierenden Auslegung des
§ 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F. sachgerecht erscheint, Kursverluste innerhalb einer Bandbreite
minimaler und in ihrer Höhe zu vernachlässigender Wertschwankungen außer Ansatz
zu lassen (Bagatellgrenze). In Anlehnung an den bilanzrechtlichen
Wesentlichkeitsgrundsatz (vgl. Schön in Festschrift Raupach, a.a.O., S. 320;
Marx, Finanz-Rundschau 2011, 267) ist diese Schwelle geringfügiger Kursverluste
auf 5 % der Notierung im Erwerbszeitpunkt zu begrenzen (Heger, Ubg 2008, 68, 71;
vgl. auch Blümich/Ehmcke, a.a.O., § 6
EStG
Rz 560c).
RN 22






4. Die Sache ist nicht spruchreif.
RN 23






a) Nach den bis zum Bilanzstichtag erlittenen Kursverlusten
sind die von der Klägerin begehrten Teilwertabschreibungen bezüglich der Anteile
an der X Corp. und der Y AG zu gewähren. Da der Teilwert der Aktien nicht nur
den Börsenkurs zum 31. Dezember 2001, sondern zudem auch die im Falle eines
Erwerbs anteilig anfallenden Erwerbsnebenkosten umfasst (vgl. § 6
Abs. 1
Nr. 2 Satz 2 i.V.m. Nr. 1 Satz 3 EStG
1997 n.F.; BFH-Urteile vom 15. Juli 1966 VI 226/64, BFHE 86, 699, BStBl III
1966, 643; vom 29. April 1999 IV
R 63/97
, BFHE 188, 386,
BStBl II 2004, 639), ergibt sich hieraus --vor der gegenläufigen
Berücksichtigung der (geminderten) Gewerbesteuer-- eine Teilwertabschreibung auf
die Anteile an der X Corp. in Höhe von 129.671,03 € (= 708.002,97 € [bisheriger
Buchwert] abzüglich 578.331,94 € [100,37% des Börsenkurses zum Bilanzstichtag])
sowie bezüglich der Y-Aktie eine Abschreibung in Höhe von 55.089,41 € (=
502.706,15 € [bisheriger Buchwert] abzüglich 447.616,74 € [100,34 % des
Börsenkurses zum Bilanzstichtag]), zusammen somit eine Gewinnminderung in Höhe
von 184.760,44 €. Die Revision des FA ist demnach nicht begründet.
RN 24






b) Ob und in welcher Höhe hingegen auch der Bilanzausweis für
die Anteile an der AG I nach § 6
Abs. 1
Nr. 2
Satz 2 EStG
1997 n.F. zu mindern und in welchem Umfang damit dem Begehren der Klägerin
(Teilwertabschreibungen in Höhe von 218.190,52 €) insgesamt zu entsprechen ist,
kann der Senat nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht
beurteilen. Das FG wird insoweit Feststellungen dazu zu treffen haben, ob zum
Bilanzstichtag (31. Dezember 2001) objektive Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass
der Börsenkurs der Aktie I nicht den
tatsächlichen Anteilswert abgebildet hat. Anlass für eine solche Überprüfung
besteht bezüglich der Anteile I deshalb, weil
die relativen Wertverluste dieser Aktie zum Bilanzstichtag in signifikanter
Weise diejenigen der anderen Aktienpositionen (X Corp., Y AG) übertreffen und
zudem die Aktie I nach den Notierungen bis zum
Tag der Aufstellung der Bilanz 2001 --entgegen dem Trend der beiden anderen
Anteilsrechte-- einen großen Teil ihres zuvor erlittenen Verlusts wieder
ausgeglichen hat. Sollte sich deshalb im zweiten Rechtsgang ergeben, dass dieser
schwankende Kursverlauf beispielsweise auf (äußerst) geringe Handelsumsätze oder
auf andere wesentliche Störungen (Informationsineffizienzen) im
Preisbildungsprozess zurückzuführen ist, so wird das FG unter Berücksichtigung
dieser Umstände --und damit ohne Bindung an den Börsenkurs am Bilanzstichtag--
darüber zu entscheiden haben, in welcher Höhe zum 31. Dezember 2001 von einer
voraussichtlich dauernden Wertminderung der Anteilsrechte I auszugehen war.
RN 25






5. Die Übertragung der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 143
Abs. 2
FGO.
Letztere Bestimmung ist nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der
Kostenentscheidung auch dann zu beachten, wenn die Revision ohne Erfolg bleibt,
über die Anschlussrevision jedoch nicht abschließend entschieden werden kann
(BFH-Urteile vom 24. September 1985 IX R 39/80,
BFH/NV 1986, 337; vom 29. Juli 1981 I R 119/77, [...]).
RN 26

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