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RdF-News
13.09.2021
RdF-News
FG München: Missbräuchlichkeit einer rechtlichen Gestaltung im Zusammenhang mit Bondstripping

FG München, Urteil vom 20.10.2020 – 12 K 3102/17

Volltext des Urteils: RdFL2021-235-1

Leitsatz

Missbräuchlichkeit einer rechtlichen Gestaltung im Zusammenhang mit Bondstripping.

AO § 42 Abs. 1 S. 2; EStG § 32d Abs. 2 Nr. 1b, § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7

Sachverhalt

I.

Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2014 beim Finanzamt [… N-Stadt] zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb, nichtselbständiger Arbeit, aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen, die Klägerin aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen.

Am [XX.] September 2014 gründete der Kläger die […] X-GmbH. Diese wurde [6 Tage später] am [YY.] September 2014 ins Handelsregister des Amtsgerichts […] N-Stadt […] eingetragen. Gesellschaftszweck ist die Verwaltung eigenen Vermögens. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ist der Kläger. Die X-GmbH finanziert ihren gesamten Geschäftsbetrieb durch Darlehen des Klägers. Auch die unten aufgeführten streitgegenständlichen Anlagen wurden durch Darlehen finanziert. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zur X-GmbH wird auf die Jahresabschlüsse [… 2016, 2017, 2018] verwiesen.

Am YY. September 2014 erwarb der Kläger die Bundesanleihe mit der ISIN […] mit einer Laufzeit bis zum […] 2040 (Geschäft 1) zu einem Kaufpreis von 4.098.945,84 €. Die Bundesanleihen wurden auf Anweisung des Klägers von der […] (Bank) sofort in den Bundesanleihemantel (Stammrecht) und Zinsscheine getrennt. Am [ … 4 Tage später] September 2014 veräußerte der Kläger die Zinsscheine für 2.536.201,65 €. Am [… 10 Tage später] Oktober 2014 veräußerte er das Stammrecht für 1.580.100 € an die X-GmbH, die dieses [… am nächsten Tag] für 1.569.146,10 € veräußerte.

Am [YY. September + 20 Tage] Oktober 2014 erwarb der Kläger die Bundesanleihe mit der ISIN […] mit einer Laufzeit bis zum […] 2039 (Geschäft 2) zu einem Kaufpreis von 4.098.826,66 €. Die Bundesanleihen wurden auf Anweisung des Klägers von der Bank sofort in den Bundesanleihemantel (Stammrecht) und Zinsscheine getrennt. Am [… 6 Tage später] Oktober 2014 veräußerte der Kläger die Zinsscheine für 2.366.270,14 €. Am [… 25 Tage später] November 2014 veräußerte er das Stammrecht für 1.731.560 € an die X-GmbH, die es am [… nächsten Tag] November 2014 für 1.722.214,27 € weiterveräußerte.

Am [YY. September + 60 Tage] November 2014 erwarb der Kläger die Bundesanleihe mit der ISIN […] mit einer Laufzeit bis zum […] 2040 (Geschäft 3) zu einem Kaufpreis von 4.519.993,24 €. Die Bundesanleihen wurden auf Anweisung des Klägers sofort in den Bundesanleihemantel (Stammrecht) und Zinsscheine getrennt. Am [ … 5 Tage später] November 2014 veräußerte der Kläger die Zinsscheine für 2.741.902 €. Am [ … 14 Tage später] Dezember 2014 veräußerte er das Stammrecht für 1.780.605 € an die X-GmbH, die es am [ … nächsten Tag] Dezember 2014 für 1.801.617,05 € weiterveräußerte.

In der Einkommensteuererklärung der Kläger für 2014 erklärte der Kläger einen Verlust aus der Veräußerung der Stammrechte i.H.v. - 7.515.671 €, den er den dem progressiven Einkommensteuertarif unterliegenden Einkünften aus Kapitalvermögen zuordnete (Zeile 22 Anlage KAP). Der Verlust ergab sich, weil der Kläger die aufgewendeten Anschaffungskosten abzüglich der Stückzinsen nur den Stammrechten und nicht den Zinsscheinen zurechnete. Aus dem Geschäft 1 errechnete der Kläger folgenden Verlust (vgl. Berechnung Bl. 14 […]):

Kaufpreis 4.098.945,84 €

./. darin enthaltene Stückzinsen 27.510,44 €

= Anschaffungskosten 4.071.435,40 €

Veräußerungspreis 1.580.100,00 €

./. Anschaffungskosten 4.071.435,40 €

Veräußerungsergebnis -2.491.335,40 €

Aus dem Geschäft 2 errechnete der Kläger folgenden Verlust (vgl. Berechnung Bl. 14 […]):

Kaufpreis 4.098.826,66 €

./. darin enthaltene Stückzinsen 31.776,26 €

= Anschaffungskosten 4.067.050,40 €

Veräußerungspreis 1.731.560,00 €

./. Anschaffungskosten 4.067.050,40 €

Veräußerungsergebnis -2.335.490,40 €

Aus dem Geschäft 3 errechnete der Kläger folgenden Verlust (vgl. Berechnung Bl. 15 […]):

Kaufpreis 4.519.993,24 €

./. darin enthaltene Stückzinsen 50.543,64 €

= Anschaffungskosten 4.469.449,60 €

Veräußerungspreis 1.780.605,00 €

./. Anschaffungskosten 4.469.449,60 €

Veräußerungsergebnis -2.688.844,60 €

Die Einkünfte aus der Veräußerung der Zinsscheine erklärte er i.H.v. 7.459.241 € bei den Kapitalerträgen, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben laut Zeile 14 Anlage KAP ([…]).

Das Finanzamt folgte dem im Einkommensteuerbescheid für 2014 vom […], der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abgabenordnung (AO) erging und setzte die Einkommensteuer auf 1.837.734 € fest. Es ließ erklärungsgemäß negative Einkünfte aus Kapitalvermögen i.H.v. - 7.515.671 € zur Verrechnung mit positiven Einkünften zu. Der Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers wurde daher mit 318.992 € errechnet. Der Einkommensteuerbescheid wurde in der Folge mehrfach aus hier nicht streitigen Gründen geändert, der Vorbehalt der Nachprüfung blieb jeweils bestehen.

Im Jahr 2016 fand eine Außenprüfung für die Jahre 2012 bis 2014 statt. Im Prüfungsbericht vom […] vertrat der Prüfer die Auffassung, ein Ausgleich des Verlusts aus der Veräußerung der Stammrechte sei nur mit den Gewinnen aus der Veräußerung der Zinsscheine und weiterer positiver Einkünfte aus Kapitalvermögen zulässig.

Aufgrund der Feststellungen des Außenprüfers, erließ das Finanzamt am […] einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid, in dem es (u.a.) die bisherige Verrechnung des durch die Veräußerung der Bundesanleihemäntel an die X-GmbH entstandenen Verlustes i.H.v. - 7.515.671 € mit anderen tariflich besteuerten Einkünften nicht mehr zuließ, sondern diesen Verlust lediglich mit positiven Einkünften des Klägers, die dem gesonderten Steuertarif des § 32d Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) unterliegen i.H.v. 7.562.175 € und 492 € verrechnete und diese daher mit 0 € ansetzte. Die Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen, die dem progressiven Einkommensteuertarif unterliegen, wurden mit 0 € berücksichtigt, der Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers mit 7.817.419 € angesetzt und die Einkommensteuer 2014 auf 3.354.324 € festgesetzt. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Einspruchs verwiesen die Kläger auf § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG und beantragten den erklärten Verlust bei den tariflichen Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen.

Das Finanzamt vertrat im Einspruchsverfahren die Auffassung, die Anschaffungskosten der ungetrennten Anleihen seien auf die neu entstandenen Wirtschaftsgüter Zinsscheine und Stammrecht aufzuteilen.

Aus hier nicht streitigen Gründen erging am […] ein nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderter Einkommensteuerbescheid für 2014. Die Einkommensteuerfestsetzung blieb unverändert bei 3.354.324 €.

Mit Einspruchsentscheidung vom […] wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Es führte aus, die Verrechnung des Verlustes aus der Veräußerung der Stammrechte an die X-GmbH mit anderen tariflich besteuerten Einkünften sei unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 Abs. 2 AO. Durch die Zwischenschaltung einer GmbH entstehe ein gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil in Form der ansonsten ausgeschlossenen Verlustverrechnung mit anderen tariflich zu besteuernden Einkünften. Die Vorschrift des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG diene nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich zur Vermeidung von Steuergestaltungen, in denen aufgrund der Steuersatzspreizung betriebliche Gewinne abgesaugt würden und so die Steuerbelastung auf den Abgeltungssteuersatz reduziert werde. Die Gestaltung sei unangemessen, da sie - unter Berücksichtigung der angefallenen Nebenkosten - regelmäßig auf einen wirtschaftlichen Totalverlust hinauslaufe. Außersteuerliche Gründe für die Gestaltung seien nicht nachgewiesen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Haltedauer in der Regel nur wenige Tage betragen habe und das beteiligte Kreditinstitut ausdrücklich auf die wirtschaftlichen Risiken hingewiesen habe, die bewusst in Kauf genommen worden seien. Bei Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs entstehe der Steueranspruch nach § 42 Abs. 1 AO so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstehe. Daher sei hier § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht anzuwenden. Dies habe zur Folge, dass ein Ausgleich des Verlusts aus der Veräußerung der Stammrechte lediglich mit den Gewinnen aus der Veräußerung der Zinskupons sowie der weiteren verbleibenden positiven Einkünfte aus Kapitalvermögen erfolgen könne. § 42 AO sei anwendbar, wenn wie hier die Anwendung einer eigentlichen Missbrauchsverhinderungsregelung (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG) paradoxerweise zu einer Steuerumgehung führe, anstatt sie zu verhindern. Dies sei nicht im Sinne des Gesetzgebers. Nach der Gesetzesbegründung sollte die Vorschrift des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG die Verlagerung von Gewinnen aus der betrieblichen Sphäre in die private Sphäre verhindern. Eine Verlagerung von Verlusten aus der privaten in die betriebliche Sphäre und die damit einhergehende Verschiebung von Verlusten in den Bereich der tariflichen Besteuerung widerspreche der Intention des Gesetzgebers.

Zur Begründung der dagegen erhobenen Klage wird im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger habe zur Absicherung des Risikos einer Kursänderung der Zinsscheine zwischen […] 27 Kontrakte des Bund-Futures verkauft und […] 27 Kontrakte des Bund-Futures gekauft. Hierdurch sei ein Verlust i.H.v. -25.055,80 € entstanden. Außerdem habe er zur Absicherung des Risikos einer Kursänderung der Zinsscheine zwischen dem […] 23 Kontrakte des Bund-Futures veräußert und am […] 23 Kontrakte des Bund-Futures gekauft. Hierdurch sei ein Verlust i.H.v. -29.174,20 € entstanden. Zur Absicherung des Risikos einer Kursänderung der Zinsscheine zwischen dem […] habe er 29 Kontrakte des Bund-Futures verkauft und […] 29 Kontrakte des Bund-Futures gekauft. Hierdurch sei ein Verlust i.H.v. -22.266,60 € entstanden. Das Risiko eines Kursverfalls der Stammrechte habe der Kläger erst ab einem deutlichen Kursrückgang absichern wollen. Er habe deshalb am […] 31 Kontrakte des Bund-Futures, am […] 34 Kontrakte des Bund-Futures und am […] 33 Kontrakte des Bund-Future jeweils aufschiebend bedingt für den Fall, dass der Wert der Anleihemäntel um 6 Prozent falle, verkauft. Da der Kurs gestiegen sei, sei kein Verkauf erfolgt.

Die Zwischenschaltung der X-GmbH bei der Veräußerung der Wertpapiere stelle keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts dar. Die spezialgesetzliche Missbrauchsregelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG verdränge die Generalklausel des § 42 Abs. 2 AO. § 42 AO schließe durch § 42 Abs. 1 Satz 2 AO seine Anwendung selbst aus. Da § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG eine typisierende Sondervorschrift sei, müsse sie auch anwendbar sein, wenn sie zu steuerlichen Vorteilen führe. Lücken einer typisierenden Sondervorschrift seien nur durch Ergänzungen durch den Gesetzgeber zu schließen, nicht durch Rückgriff auf § 42 AO. Im Übrigen seien die Tatbestandsmerkmale des § 42 Abs. 2 AO nicht erfüllt. Es läge keine unangemessene rechtliche Gestaltung vor. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) werte die auf Dauer angelegte Zwischenschaltung einer GmbH nicht als Rechtsmissbrauch, wenn der Steuerpflichtige alle sich daraus ergebenden Konsequenzen ziehe. Das Motiv, Steuern zu sparen, mache eine Gestaltung nicht missbräuchlich. Die Zwischenschaltung einer GmbH könne allenfalls dann missbräuchlich sein, wenn sie lediglich vorübergehend - also für einen geschäftsfallbezogenen Zeitraum - erfolge. Die X-GmbH sei jedoch eine dauerhaft geschäftlich aktive Kapitalgesellschaft, die Einkünfte erzielt habe und weiterhin erziele. Außerdem habe der Kläger keinen vom Gesetz nicht vorgesehenen Steuervorteil in Anspruch genommen. Der Steuervorteil des Klägers verstoße gegen keine gesetzliche Wertung. Mit der Veräußerung von Stammrechten an die X-GmbH habe der Kläger gegen keine durch das Gesetz vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm gesetzlich eingeräumten Verlustverrechnungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Die Ausschöpfung von Verlusten entspreche dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Deshalb stehe dem Steuerpflichtigen nach der Rechtsprechung des BFH die Entscheidung wann und an wen er Wertpapiere veräußere auch dann frei, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führe. Die Nichtanwendung der Verlustausgleichsbeschränkung sei kein gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil, sondern ergebe sich aus der folgerichtigen Ausgestaltung des § 32 d EStG. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG sei bewusst generalisierend und pauschalierend ausgestaltet. Der Steuervorteil des Klägers sei systemimmanent und damit vom Gesetz vorgesehen. Der Steuervorteil bestehe darin, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Zinsscheine nur dem Abgeltungssteuersatz unterliege, während der Verlust aus der Veräußerung der Anleihemäntel wegen der Zwischenschaltung der X-GmbH bei den dem progressiven Steuertarif unterliegenden Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen sei. Die Ursache des Steuervorteils sei die Entscheidung des Gesetzgebers, für die Einkünfte aus Kapitalvermögen zwei unterschiedliche Steuertarife vorzusehen. Dem liege die mit dem Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 getroffene Systementscheidung zugrunde, den einheitlich belastenden Einkommensteuertarif aufzugeben und stattdessen eine Schedulensteuer einzuführen, dem Verwerfungen bei der Steuerbelastung zwischen den Schedulen immanent seien. Dass der Kläger das Steuergefälle in § 32d EStG genutzt habe, sei keine missbräuchliche Gestaltung zur Nutzung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils. Die Möglichkeit der Erzielung eines Totalgewinns sei gegeben. Der Kläger habe mit den [ …] erworbenen Bundesanleihen [ … in den Geschäften 1 und 3] Gewinne erzielt. Entgegen der Ansicht des Finanzamts seien nämlich die Gründungskosten der GmbH den Kapitalanlagen in Bundesanleihen nicht zuzuordnen. Für die [ …] erworbene Anleihe [ … im Geschäft 2] sei nach der Kursentwicklung der Anleihemäntel in der Vergangenheit ein Überschuss ebenfalls realistisch gewesen, da während der Haltedauer von 22 Börsentagen nur eine Kurssteigerung von 3,7 Prozent habe eintreten müssen. Dass nur eine Steigerung von 1,7 Prozent erreicht worden sei, habe der Kläger nicht vorhersehen können. Nur durch Übernahme eines Risikos lasse sich am Markt eine höhere Rendite erwirtschaften. Da somit für den Kläger trotz der kurzen Haltedauer die Möglichkeit bestand, mit seinen Kapitalanlagen in Bundesanleihen trotz der kurzen Haltezeit einen Totalgewinn zu erzielen, könne auch unter diesem Gesichtspunkt kein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne von § 42 AO vorliegen. Auf die Frage nach außersteuerlichen Gründen für die Gestaltung käme es daher nicht an. Es werde auf die Entscheidung des 5. Senats des Finanzgerichts München 5 K 2870/19 vom 29. September 2020 verwiesen, in der der 5. Senat das Konstrukt eines „Missbrauchs einer Missbrauchsvermeidungsvorschrift“ zurückgewiesen habe.

Die Anschaffungskosten der Bundesanleihen seien nach dem Bond-Stripping nicht auf Anleihemantel und Zinsscheine aufzuteilen, sondern allein dem Anleihemantel zuzuordnen. So habe auch das Finanzgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2018 2 K 3874/15 entschieden. Die Veräußerung von Zinsansprüchen aus nicht verbrieften Wertpapieren wie Bundesanleihen würde unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2, 3 EStG fallen, der weiterhin an den Begriff der Einnahmen anknüpfe. Der Gesetzeswortlaut von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG sei auslegungsbedürftig. Die Auslegung führe zu dem Ergebnis, dass im Privatvermögen aufgrund steuerkonzeptioneller Wertungen, der Gesetzessystematik und der Absicht des Gesetzgebers weiterhin keine Aufteilung der Anschaffungskosten vorzunehmen sei. Nur die Nichtaufteilung der Anschaffungskosten führe aus steuerkonzeptionellen Gründen zu sachgerechten Ergebnissen. Denn eine Umverteilung von Anschaffungskosten vom Anleihemantel auf die Zinsscheine würde zu einer vorgezogenen Geltendmachung der Anschaffungskosten und damit zu einer systemwidrigen Asymmetrie gegenüber der Situation ohne Bond-Stripping führen. Auch die Gesetzessystematik spreche gegen eine Aufteilung der Anschaffungskosten. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG sei eine Spezialvorschrift, die zu einer zeitlichen Vorverlagerung der Besteuerung der Zinsen führe, weil ansonsten der Veräußerer nach dem Grundtatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG die Zinszahlungen zu versteuern hätte, obwohl sie dem Erwerber zufließen würden. Vor diesem Hintergrund sei es nicht sachgerecht, im Privatvermögen eine anteilige Zuordnung der Anschaffungskosten zu den Zinsscheinen vorzunehmen. Auch bei einem Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG sei es unbestritten, dass die steuerbaren Einnahmen brutto zu versteuern seien. Außerdem verbliebe für die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG kein Anwendungsbereich, wenn sie nur den Unterschiedsbetrag zwischen dem durch die Veräußerung des Zinsscheins erzielten Preis und anteilig dem Zinsschein zugeordneten Anschaffungskosten erfassen würde, weil dies bereits durch den allgemeinen Veräußerungstatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG erfasst werde. Mit der Regelung in § 3 Abs. 1a InvStG für nach dem 28. November 2013 erfolgte Bond-Stripping-Vorgänge stufe der Gesetzgeber den Trennungsvorgang als fiktiven Tausch ein, der zur Realisierung von stillen Reserven in der Bundesanleihe führe. Der Gesetzgeber habe sich damit gegen eine Aufteilung der historischen Anschaffungskosten entschieden. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass er auch für die Zeit vor der Gesetzesänderung eine Aufteilung der historischen Anschaffungskosten abgelehnt habe. Für den Bereich des Privatvermögens sei eine Aufteilung der Anschaffungskosten bewusst unterblieben. Auch das BMF und die Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen würden davon ausgehen, dass die Anschaffungskosten nicht aufzuteilen sind. Außerdem werde beim Bond-Stripping entgegen der Ansicht des Finanzamts nicht die Substanz gespalten, sondern diese nur von den Früchten getrennt. Daher komme es zu keiner Substanzminderung, sondern lediglich zu einer Wertminderung der Substanz. So habe auch das Finanzgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2018 entschieden. Die Abtrennung der Früchte führe auch im Betriebsvermögen nicht zur Abspaltung von Anschaffungskosten im Sinne des § 255 Handelsgesetzbuch. Die grammatikalische, historische, systematische und teleologische Auslegung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG ergebe, dass die Veräußerung der Anleihemäntel von dieser Vorschrift erfasst werde. Eine Abweichung vom Wortsinn sei weder erforderlich noch zulässig, denn Veräußerungsgeschäfte in Dreieckskonstellationen seien bekannt gewesen. Der Verweis auf § 20 Abs. 6 EStG sei in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG bewusst nicht gestrichen worden und § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG sei bis heute nicht enger gefasst worden.

Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid für 2014 […] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom […] dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen, die dem progressiven Steuertarif unterliegen i.H.v. -7.515.671 € angesetzt werden und bei den Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG unterfallen, die Verluste aus der Veräußerung von Kapitalanlagen (ohne Aktien) um 7.515.671 € gemindert werden und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt er vor, er gehe weiterhin davon aus, dass es sich bei der vorliegenden Konstellation um einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 Abs. 2 AO handle. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG schließe die Anwendung des § 42 AO nicht aus. Mit der Neuregelung des § 42 AO durch das Jahressteuergesetz 2008 sei in § 42 Abs. 1 Satz 2 AO ausdrücklich nur die positive Konkurrenz zwischen spezialgesetzlicher Norm und Generalklausel geregelt. Ist der Tatbestand der Regelung in einem Einzelsteuergesetz, dass der Verhinderung einer Steuerumgehung diene erfüllt, so würden sich die Rechtsfolgen nach dieser Vorschrift bestimmen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass § 42 AO nicht in seinem Anwendungsbereich eingeschränkt sei, wenn die Spezialvorschrift aus welchen Gründen auch immer nicht greife. Bei Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO sei zunächst zu prüfen, ob das im Einzelfall anzuwendende Einzelsteuergesetz für den vorliegenden Sachverhalt eine Regelung enthalte, die der Verhinderung der Steuerumgehung diene. Dies sei nach dem Wortlaut der Regelung, dem Sinnzusammenhang, der systematischen Stellung im Gesetz sowie nach der Entstehungsgeschichte zu beurteilen. Der vorliegende Sachverhalt falle nicht unter § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG, da der Anwendungsbereich der Norm unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens teleologisch zu reduzieren sei. Das sei geboten, da missbrauchsverhütende Spezialvorschriften durch eine methodengerechte Anwendung gegen eine Umgehung geschützt werden müssten. Die vorliegende Gestaltung habe nichts mit dem Lenkungsziel und dem Willen des Gesetzgebers zu tun. Dieser habe mit § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG Gestaltungen verhindern wollen, bei denen aufgrund der Steuersatzspreizung betriebliche Gewinne abgesaugt würden, um die Steuerbelastung auf den Abgeltungssteuersatz zu reduzieren. Der Gesetzgeber habe in diesen Fällen grundsätzlich die Gefahr gesehen, dass die Steuersatzspreizung zwischen Abgeltungssteuersatz und dem progressiven Steuersatz ausgenutzt werde, ohne dass dies dem Sinn und Zweck der Einführung des abgeltenden Steuersatzes entspreche. Die vorliegende Gestaltung führe gerade dazu, dass durch das Strippen der Anleihe und die spätere Veräußerung des Mantels an eine GmbH, deren 100 prozentiger Gesellschafter der Steuerpflichtige ist und die genau zu diesem Zweck gegründet worden sei, die Anschaffungskosten aus dem betrieblichen in den privaten Bereich verlagert würden. Dies widerspreche klar der Intention des Gesetzgebers. Dafür spreche auch, dass der Gesetzgeber mit dem Investmentsteuerreformgesetz (InvStRefG) vom 19. Juli 2016 diesen Gestaltungen durch eine klarstellende Änderung von § 20 Abs. 2 und 4 EStG entgegengetreten sei. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die Kläger bereits gegenüber dem Finanzamt bekundet hätten, es gäbe für die vorliegende Gestaltung keine außersteuerlichen Gründe. Auch die zeitliche Nähe der Gründung der GmbH und der Anschaffung der Anleihen müsse berücksichtigt werden. Im Streitjahr habe der Kläger - im Gegensatz zu den Jahren davor und danach - Einkünfte nach § 19 EStG von ca. 7,8 Mio. € erzielt. Die Verluste aus dem Bond-Stripping hätten sich auf 7,515 Mio. € belaufen. Es habe den Anschein, die Kläger hätten die Gestaltung gezielt gewählt, um durch das Bond-Stripping einen Verlust zu generieren und die hohen Einkünfte nach § 19 EStG zu neutralisieren.

Außerdem sei die vorliegende Gestaltung schon nicht vom Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG erfasst. Dieser setzte die Zahlung von Erträgen voraus. Bei einem Veräußerungsgeschäft sei der Ertrag die Differenz zwischen Verkaufspreis und Anschaffungskosten (hier - 7.515.671 €). Es stelle sich die Frage, ob die Entrichtung eines Betrags von 5.092.265 € durch die GmbH dazu führen könne, die Zahlung eines Ertrags an den Kläger anzunehmen. Die GmbH habe nur eine Komponente des Veräußerungsgeschäfts übernommen, den Verkaufspreis, nicht jedoch die Anschaffungskosten. Der bloße Kauf einer Anleihe zum Verkehrswert sei bei der GmbH erfolgsneutral und bewirke folglich nicht, dass ein Gewinn aus dem betrieblichen Bereich abgesaugt werde. Es sei daher auch nicht geboten, derartige Gestaltungen in den Anwendungsbereich des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG einzubeziehen.

24

Hilfsweise werde für den Fall, dass das Gericht § 42 AO für nicht anwendbar halte, beantragt, bei der Berechnung der Einkünfte die Anschaffungskosten auf die Zinsscheine und das Stammrecht aufzuteilen. Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und Nr. 7 EStG sei jeweils der Gewinn aus der Veräußerung der Zinsscheine bzw. des Anleihemantels der Besteuerung zu unterwerfen. Die Gewinnermittlung richte sich nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG. Demnach sei der Gewinn der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die in unmittelbarem sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stünden und den Anschaffungskosten. Die Anschaffungskosten müssten aufgeteilt werden, da die einzelnen Bestandteile wirtschaftlich an die Stelle der ungetrennten Anleihe getreten seien. Die Verwaltungsanweisungen der OFD Düsseldorf vom 11. September 1998 und der OFD Frankfurt vom 20. Januar 2017, nach denen die Anschaffungskosten voll dem Stammrecht zuzurechnen seien, seien zur alten Rechtslage vor Einführung der Abgeltungssteuer ergangen und auf die neue Rechtslage nicht mehr anzuwenden. Da das EStG für die Aufteilung der Anschaffungskosten beim Bond-Stripping keine Regelung vorsehe, werde vorgeschlagen, entsprechend der Behandlung im betrieblichen Bereich nach der Gesamtwertmethode vorzugehen. Durch die Aufteilung der Anschaffungskosten auf die Zinsscheine und den Mantel würde sich der Verlust verringern, der über § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG mit den anderen progressiv versteuerten Einkünften verrechnet werden könne.

Die Kläger haben ein Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des BFH über die Streitsache VIII R 15/19 abgelehnt.

Am 20. Oktober 2020 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen.

Aus den Gründen

II.

Die Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO-).

1. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von Zinsscheinen und Zinsforderungen durch den Inhaber oder ehemaligen Inhaber der Schuldverschreibung, wenn die dazugehörigen Schuldverschreibungen nicht mitveräußert werden. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art im Sinne des Abs. 1 Nr. 7 dieser Norm. Hierzu gehören sonstige Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn - ein Veräußerungsverlust - erfasst. Danach führen sowohl die isolierte Veräußerung der Zinsscheine (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) als auch die Veräußerung der Anleihemäntel (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG) beim Kläger zu Einkünften aus Kapitalvermögen (ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 29. März 2019 1 K 2163/16 E,F, EFG 2019, 1389; Rev. VIII R 15/19).

Die Einkommensteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen beträgt grundsätzlich 25 Prozent (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG). Gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG gilt der gesonderte Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG jedoch nicht, wenn Kapitalerträge nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 Prozent an der Gesellschaft oder Genossenschaft beteiligt ist. Gemäß § 32d Abs. 2 Satz 2 EStG findet in diesem Fall § 20 Abs. 6 und 9 EStG keine Anwendung.

Hieraus leiten die Kläger ab, dass der Überschuss, den der Kläger aus der Veräußerung der Zinsscheine errechnet hat, dem Abgeltungssteuersatz des § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegen müsse, während der errechnete Verlust aus der Veräußerung der Anleihemäntel an die X-GmbH dem allgemeinen Steuertarif unterliege.

2. Im Streitfall liegt jedoch ein Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts vor.

a) Gemäß § 42 Abs. 1 AO (i.d.F. des JStG 2008, für das Streitjahr maßgeblich; in der Folge nur AO) kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Nach § 42 Abs. 2 AO liegt ein Missbrauch vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.

Als Generalklausel zur Verhinderung der Umgehung von Steuergesetzen ist § 42 AO erst anwendbar, wenn nicht bereits die Auslegung des Steuergesetzes ergibt, dass der zu beurteilende Sachverhalt den Steuertatbestand erfüllt, den der Steuerpflichtige umgehen will, bzw. den Tatbestand nicht erfüllt, dessen Anwendung er erreichen will (Madle in Leopold/ Madle/Rader, AO, § 42 AO Rz. 1, Stand 08/2020).

Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (Madle in Leopold/Madle/ Rader, AO, § 42 AO Rz. 3, Stand 08/2020 m.w.N.).

Wann eine den Gestaltungsmissbrauch kennzeichnende unangemessene rechtliche Gestaltung vorliegt, entzieht sich einer allgemeinen Definition und lässt sich nur durch Würdigung der gesamten Umstände im Einzelfall feststellen. Eine Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden (vgl. BFH-Urteile vom 8. März 2017 IX R 5/16, BStBl II 2017, 930; vom 12. Juni 2018 VIII R 32/16, BFH/NV 2018, 1184 jeweils m.w.N.). Die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft ist regelmäßig kein Gestaltungsmissbrauch, wenn ein Steuerpflichtiger - aus welchen Gründen auch immer - auf Dauer zwischen sich und eine Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft schaltet und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht. Die Steuerpflichtigen sind grundsätzlich frei, ihre rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine geringe Steuerbelastung ergibt. Die gewählte Gestaltung ist auch der Besteuerung zugrunde zu legen, es sei denn, sie dient nur der Steuerminderung und ist durch keine wirtschaftlichen oder sonstigen außersteuerlichen Gründe gerechtfertigt (BFH-Urteil vom 23. Oktober 1996 I R 55/95, BStBl II 1998, 90). Die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft zur Vermeidung der Besteuerung als gewerblicher Grundstückshandel hat der BFH als rechtsmissbräuchlich angesehen (BFH-Urteil vom 18. März 2004 III R 25/02, BStBl II 2004, 787). Soweit die Zwischenschaltung einer Gesellschaft nicht anerkannt wird, erfolgt ein Durchgriff auf die Gesellschafter. Ein Erwerb durch die zwischengeschaltete Gesellschaft bleibt steuerrechtlich außer Betracht (Schmieszek in Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 93, Stand 05/2020).

Nach der Rechtsprechung des BFH zu § 42 i.d.F. vor dem JStG 2001 ist der Maßstab für die Beurteilung der Unangemessenheit dem „umgangenen“ Gesetz und den flankierenden speziellen Missbrauchsvorschriften zu entnehmen. Hat danach der Gesetzgeber ein missbrauchsverdächtiges Feld durch eine Spezialvorschrift abgedeckt, legt er für diesen Bereich die Maßstäbe fest. Auch wenn im konkreten Einzelfall die Voraussetzungen der speziellen Missbrauchsnorm nicht erfüllt sind, darf die Wertung des Gesetzgebers nicht durch eine extensive Anwendung des § 42 AO unterlaufen werden. Ob dies auch im Anwendungsbereich des - im Streitfall anzuwendenden - § 42 AO gilt ist strittig und noch nicht durch die Rechtsprechung geklärt. In der Literatur wird u.a. die Auffassung vertreten, dass eine Gestaltung nicht unangemessen ist, wenn sie nach der Wertung der spezialgesetzlichen Norm nicht zu missbilligen ist. Ein Gestaltungsmissbrauch läge daher nur vor, wenn die Gestaltung Elemente enthält, die von der Wertung der spezialgesetzlichen Missbrauchsregelung nicht erfasst werden und i.S. von § 42 Abs. 2 AO unangemessen sind (Madle in Leopold/Madle/ Rader, AO, § 42 AO, Rz. 3, Stand 08/2020 m.w.N.).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die vom Kläger gewählte Gestaltung unangemessen, da sie dem Kläger einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil verschaffen würde und beachtliche außersteuerliche Gründe nicht vorliegen.

Zwar kann - wie der Kläger zutreffend anführt - aus der Ausnutzung eines Steuersatzgefälles allein nicht auf eine missbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO geschlossen werden, da Vorteile aufgrund unterschiedlicher Steuersätze der Schedulenbesteuerung nach der Rechtsprechung des BFH immanent sind (BFH-Urteil vom 7. Mai 2019 VIII R 29/15, BStBl II 2019, 751 m.w.N.). Im Streitfall ergibt sich die Unangemessenheit jedoch aufgrund der Zwischenschaltung der vom Kläger beherrschten X-GmbH, die keinem anderen Zweck diente, als dem Kläger zu ermöglichen, Verluste zu erzielen, die nicht der Abgeltungssteuer und der Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG unterfallen.

Der Senat ist der Überzeugung, dass die Gründung und Zwischenschaltung der X-GmbH in die Veräußerung der Stammrechte keinen anderen Zweck hatte als den, die durch die Veräußerung der Anleihemäntel nach der Berechnung des Klägers erzielten Verluste - anders als die dem Abgeltungssteuersatz unterliegenden errechneten positiven Einkünfte aus der Veräußerung der Zinsscheine - in den Anwendungsbereich der dem allgemeinen Steuertarif unterliegende Einkünfte zu verlagern und zum Ausgleich seiner erheblichen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu verwenden.

Zu diesem Ergebnis kommt das Gericht aufgrund einer wertenden Gesamtschau der Umstände der Gründung und der Tätigkeit der X-GmbH. Gewichtige Indizien sind die zeitliche Nähe der Gründung der X-GMBH sechs Tage vor dem ersten Erwerb von Bundesanleihen durch den Kläger und der Umstand, dass die X-GmbH vom Kläger beherrscht wird und ausschließlich aus Darlehen des Klägers finanziert wird. Außerdem hat die X-GmbH die Stammrechte jeweils am Tag nach dem Erwerb vom Kläger weiterverkauft, obwohl das zumindest in den ersten beiden Fällen wirtschaftlich nicht sinnvoll war und sie daraus einen Verlust erzielte. Soweit der Kläger ausführt, der X-GmbH hätte es freigestanden, die Stammrechte länger zu behalten, ist erst recht nicht nachvollziehbar, welchen Grund der sofortige Verkauf unter Inkaufnahme von Verlusten gehabt haben könnte, außer, dass er Teil eines der Steuerminderung des Klägers dienenden Gesamtkonzepts war. Zwar hat die X-GmbH, wie der Kläger vorträgt, aus allen drei Veräußerungen zusammen einen geringen Gewinn (- 10.953,90 - 9,345,73 + 21.012,05 = 712,42 €) erzielt. Angesichts der mit der Gründung und dem Unterhalt einer GmbH verbundenen Kosten, ist jedoch nicht erkennbar, welchen Sinn die Zwischenschaltung einer GmbH machen sollte. Zudem ist dieser geringe Gewinn nur dadurch zustande gekommen, dass die X-GMBH im dritten Geschäft einen überraschend hohen Gewinn erzielte, wie die folgende Aufstellung zeigt (vgl. FG-Akte Bl 442):

Geschäft 1

Geschäft 2

Geschäft 3

 

Kaufpreis von X-GmbH an Kläger bezahlt

1.580.100,00

1.731.560,00

1.780.605,00

Verkauf Mantel von GmbH für Kaufpreis

1.569.146,10

1.722.214,27

1.801.617,05

Gewinne bei GmbH

- 10.953,90

- 9.345,73

21.012,05

Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Klägers, dass die X-GmbH eine aktive Kapitalgesellschaft ist. Laut den vorliegenden Jahresabschlüssen jeweils zum […] hat die X-GmbH in den Geschäftsjahren […] keine Wertpapiere ge- oder verkauft. Abgesehen vom unveränderten Halten von im […] angeschafften Wertpapieren im Anlagevermögen ist die X-GmbH inaktiv. Sie erzielte jeweils einen Jahresfehlbetrag in geringer Höhe. Angesichts dieser Umstände ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger die X-GmbH nur gegründet hat, um sie in die Veräußerung der Anleihemäntel zwischenzuschalten und damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG zu erfüllen.

Außersteuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung trägt der Kläger nicht vor und es sind auch keine ersichtlich.

c) Im Streitfall wird § 42 AO nicht durch eine spezialgesetzliche Missbrauchsregelung verdrängt. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO kann nach Auffassung des Senats nach dem Zweck der jeweiligen Spezialvorschrift und des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO nur in 2 Fallgruppen eingreifen, (1.) wenn die Auslegung der Spezialvorschrift ergibt, dass sie den missbrauchsanfälligen Bereich nicht abschließend konkretisieren soll (unechte Spezialvorschrift), sondern nur i.S. exemplifizierender Gesetzgebung der Finanzbehörde die Missbrauchsabwehr erleichtern soll und (2.) wenn die Spezialvorschrift ihrerseits missbraucht wird (sog. Missbrauch der speziellen Missbrauchsvorschrift). Ansonsten verbleibt es trotz des Wortlauts des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO bei der Sperrwirkung bereichsspezifischer Vorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 162. Lieferung 09.2020, § 42 AO, Rn. 20b). Im Streitfall ist nach Auffassung des Senats die Fallgruppe des Missbrauchs der Missbrauchsvorschrift erfüllt.

Grundsätzlich hat § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG den Charakter einer spezialgesetzlichen Umgehungsvorschrift (BFH-Urteil vom 29. April 2014 VIII R 23/13, BStBl II 2014, 884; FG Düsseldorf in EFG 2019, 1389; Günther, Nichtanwendbarkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 EStG, ErbStB 2019, 289); darauf weisen zu Recht auch die Kläger hin. Nach der Gesetzesbegründung dient die in dieser Norm geregelte Ausnahme von der Anwendung des Abgeltungssteuersatzes der Verhinderung von Gestaltungen, bei denen aufgrund der Steuersatzspreizung betriebliche Gewinne z. B. in Form von Darlehenszinsen abgesaugt werden und so die Steuerbelastung auf den Abgeltungssteuersatz reduziert wird (BT-Drs. 16/4841, S. 60).

Gleichwohl führt der Umstand, dass der Kläger mit der Veräußerung der Anleihemäntel an die X-GmbH die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG erfüllt, nicht zur Anwendung der Rechtsfolge, dass die entsprechenden Verluste dem allgemeinen Steuertarif unterliegen und von der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG ausgenommen sind. Denn der Kläger macht von der spezialgesetzlichen Umgehungsvorschrift in einer Weise Gebrauch, die sich als Missbrauch der Missbrauchsvorschrift charakterisieren lässt (ebenso FG Düsseldorf in EFG 2019, 1389, FG Hamburg, Urteil vom 27. Juni 2017 6 K 127/16, Rn. 112, EFG 2017, 1718). Denn nur durch die Zwischenschaltung der X-GmbH und dem Verkauf der Anleihemäntel an die X-GmbH (nach der Trennung der Wertpapiere in Stammrecht und Zinsscheine) erreicht der Kläger einen Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen von -7.515.671 € neben einem Gewinn aus der Veräußerung der Zinsscheine von 7.459.241 € (Summe der Veräußerungspreise: 7.644.373 €). Bei einer reinen Gegenüberstellung der vom Kläger aufgewendeten Anschaffungskosten und der von ihm erzielten Veräußerungspreise für Anleihemäntel und Zinsscheine resultiert ein Gesamtgewinn von 18.873,05 € (plus Stückzinsen: 109.830 €) aus den Geschäften.

 

Geschäft 1

Geschäft 2

Geschäft 3

Summen

 

Veräußerungspreis Anleihemantel

1.580.100,00

1.731.560,00

1.780.605,00

5.092.265,00

Veräußerungspreis Zinsscheine

2.536.201,65

2.366.270,14

2.741.902,00

7.644.373,79

Anschaffungskosten Wertpapier (ohne Stückzinsen)

- 4.098.945,84

- 4.098.826,66

- 4.519.993,24

- 12.717.765,74

Gewinne

17.355,81

- 996,52

2.513,76

18.873,05

Unter Berücksichtigung der kurzen Laufzeiten bei der Abwicklung der einzelnen Geschäfte durch den Kläger (vom Erwerb des Wertpapiers bis zum Verkauf des Stammrechts an X-GmbH), nämlich bei Geschäft 1 vom 22. September 2014 bis 6. Oktober 2014, bei Geschäft 2 vom 9. Oktober 2014 bis 10. November 2014 und bei Geschäft 3 vom 20. November 2014 bis 9. Dezember 2014, kann der Senat bei der Durchführung der drei Geschäfte keinen anderen Zweck erkennen, als die absolut korrekte Erfüllung der Voraussetzungen der Missbrauchsvorschrift § 32d Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Zusätzlich berücksichtigt der Senat hierbei, dass die X-GmbH die Stammrechte jeweils am nächsten Tag sofort weiter veräußerte. Der Senat folgert daraus, dass dieses Vorgehen bei den drei Geschäfte nur den einen Zweck hatte, über die Rechtsfolge des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG die Nichtanwendbarkeit von § 20 Abs. 6 und Abs. 9 EStG zu erreichen. Dadurch, dass der Kläger die Verluste aus der Veräußerung der Stammrechte dem progressiven Einkommensteuertarif unterstellt, wird genau das Ergebnis erreicht, das die Missbrauchsvorschrift verhindern will.

Damit entfaltet § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG im Streitfall keine Sperrwirkung gegenüber § 42 Abs. 2 AO.

d) Nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Ohne die unangemessene Zwischenschaltung der X-GmbH unterfallen die Verluste aus der Veräußerung der Anleihemäntel - genau wie die Erträge aus der Veräußerung der Zinsscheine - der Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 EStG. Die angegriffene Steuerfestsetzung entspricht diesem Ergebnis. Die Frage, ob die Anschaffungskosten zu Recht in voller Höhe dem Stammrecht zugeordnet worden sind, muss im Streitfall nicht entschieden werden, da sich keine steuerliche Auswirkung ergibt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.

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