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RdF-News
03.06.2015
RdF-News
EuGH: Bestandsschutz für die pauschale Besteuerung von Erträgen aus "schwarzen" Fonds nach dem AusllnvG

EuGH, Urteil vom 21.5.2015 – C-560/13; FA Ulm gegen Ingeborg Wagner-Raith, beigetreten: BMF

Tenor

Art. 64 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine pauschale Besteuerung der Erträge von Anteilsinhabern eines ausländischen Investmentfonds vorsieht, wenn dieser Fonds bestimmten gesetzlichen Verpflichtungen nicht genügt, eine Maßnahme darstellt, die den Kapitalverkehr im Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne dieses Artikels betrifft.


Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 64 Abs. 1 AEUV.

2          Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Wagner-Raith, Erbin von Frau Maria Schweier, und dem Finanzamt Ulm (Deutschland) wegen der Besteuerung von Kapitalerträgen aus Beteiligungen an Investmentfonds mit Sitz auf den Kaimaninseln (überseeisches Gebiet des Königreichs Großbritannien und Nordirland).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [durch den Vertrag von Amsterdam aufgehobener Artikel] (ABl. L 178, S. 5) bestimmt, dass die Mitgliedstaaten „[u]nbeschadet der nachstehenden Bestimmungen … die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten [beseitigen]. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.“

4          Zu den in Rubrik I („Direktinvestitionen“) in Anhang I der Richtlinie 88/361 angeführten Kapitalbewegungen gehört die Beteiligung an neuen oder bereits bestehenden Unternehmen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen.

5          Rubrik IV („Geschäfte mit Anteilscheinen von Organismen für gemeinsame Anlagen“) des Anhangs schließt in Teil A betreffend „Transaktionen mit Anteilscheinen von Organismen für gemeinsame Anlagen“ u. a. den Erwerb an der Börse gehandelter Anteilscheine von ausländischen Organismen durch Gebietsansässige und den Erwerb nicht an der Börse gehandelter Anteilscheine von ausländischen Organismen durch Gebietsansässige ein.

6          In den in dem Anhang enthaltenen „Begriffsbestimmungen“ heißt es:

„Im Sinne dieser Nomenklatur und ausschließlich zur Anwendung der Richtlinie gelten als:

Direktinvestitionen

Investitionen jeder Art durch natürliche Personen, Handels-, Industrie- oder Finanzunternehmen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmern oder Unternehmen, für die die Mittel zum Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind. Der Begriff der Direktinvestitionen ist also im weitesten Sinne gemeint.

Bei den unter I 2 der Nomenklatur genannten Unternehmen, die als Aktiengesellschaften betrieben werden, ist eine Beteiligung im Sinne einer Direktinvestition dann vorhanden, wenn das im Besitz einer natürlichen Person oder eines anderen Unternehmens oder sonstigen Inhabers befindliche Aktienpaket entweder nach den bestehenden nationalen Rechtsvorschriften für Aktiengesellschaften oder aus anderen Gründen den Aktieninhabern die Möglichkeit gibt, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft oder an deren Kontrolle zu beteiligen.

…“

Deutsches Recht

7          § 17 des Gesetzes über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen vom 28. Juli 1969 (BGBl. 1969 I, S. 986) sah in seiner vom 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2003 gültigen Fassung (im Folgenden: AuslInvestmG) vor:

„(1)  Die Ausschüttungen auf ausländische Investmentanteile … gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes …

(3)  Die Absätze 1 bis 2a sind nur anzuwenden,

1. a) wenn die ausländische Investmentgesellschaft ihre Absicht, ausländische Investmentanteile im Geltungsbereich dieses Gesetzes im Wege des öffentlichen Anbietens, der öffentlichen Werbung oder in ähnlicher Weise zu vertreiben, der Behörde angezeigt hat … oder

b) wenn ausländische Investmentanteile, die an einer deutschen Börse zum amtlichen Handel oder zum geregelten Markt zugelassen sind, mit Ausnahme der von der Börse vorgeschriebenen Bekanntmachungen, nicht im Wege des öffentlichen Anbietens, der öffentlichen Werbung oder in ähnlicher Weise vertrieben werden (§ 1 Abs. 2), und wenn die ausländische Investmentgesellschaft einen Vertreter mit Sitz oder Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes bestellt hat, der sie gegenüber den Finanzbehörden und vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit vertreten kann, und

2. wenn die ausländische Investmentgesellschaft den Inhabern der ausländischen Investmentanteile bei jeder Ausschüttung … in deutscher Sprache [den Betrag der Ausschüttung pro Anteil und bestimmte darin enthaltene Beträge] bekanntmacht

und die Richtigkeit dieser Angaben auf Anforderung nachweist.“

8          § 18 AuslInvestmG sah in seiner vom 30. Dezember 1993 bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung vor:

„(1) Sind die Voraussetzungen des § 17 nicht erfüllt, so gehören Ausschüttungen auf ausländische Investmentanteile … zu den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes …

(2) Die in Absatz 1 genannten Besteuerungsgrundlagen sind nachzuweisen. Dem Nachweis dienende Unterlagen sind in deutscher Sprache abzufassen oder mit einer deutschen Übersetzung zu versehen. Die ausländische Investmentgesellschaft hat einen Vertreter mit Sitz oder Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu bestellen, der sie gegenüber den Finanzbehörden und vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit vertreten kann.

(3) Wird der Nachweis nicht einwandfrei erbracht oder kein Vertreter bestellt, sind beim Empfänger die Ausschüttungen auf ausländische Investmentanteile sowie 90 vom Hundert des Mehrbetrags anzusetzen, der sich zwischen dem ersten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis und dem letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis eines ausländischen Investmentanteils ergibt; mindestens sind 10 vom Hundert des letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreises anzusetzen …“

9          Das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften in seiner während des für das Ausgangsverfahren relevanten Zeitraums auf inländische Investmentfonds anwendbaren Fassung sah im Wesentlichen vor, dass die Anteilsinhaber nach dem Transparenzprinzip besteuert, d. h. so behandelt wurden, als hätten sie die Erträge aus der Beteiligung an dem Sondervermögen unmittelbar selbst erzielt.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10        In den Jahren 1997 bis 2003 unterhielt Frau Schweier ein Depot bei der LGT Bank AG (im Folgenden: LGT) in Liechtenstein, das u. a. Beteiligungen an Investmentfonds umfasste, die ihren Sitz auf den Kaimaninseln hatten. Diese Investmentfonds wurden, weil sie den Anzeige-, Zulassungs- und Nachweispflichten nach § 17 Abs. 3 AuslInvestmG nicht genügten und keinen Vertreter gemäß § 18 Abs. 2 Satz 3 AuslInvestmG bestellt hatten, in Deutschland als sogenannte „schwarze“ Fonds angesehen, auf die die Bestimmungen von § 18 Abs. 3 AuslInvestmG anwendbar waren.

11        Im Jahr 2008 informierte Frau Schweier erstmals das Finanzamt Ulm darüber, dass sie in den in Rede stehenden Jahren u. a. aus ihrem Depot bei der LGT Kapitalerträge erwirtschaftet hatte. Sie erklärte somit im Wege berichtigter Steuererklärungen dem Finanzamt gegenüber diese Erträge, nachdem sie auf der Grundlage von Unterlagen, die ihr von der LGT zur Verfügung gestellt worden waren, deren Höhe ermittelt hatte, und bestimmte dann unter Anwendung von § 18 Abs. 3 AuslInvestmG einen Pauschalbetrag für jedes der in Rede stehenden Steuerjahre.

12        Das betreffende Finanzamt änderte die Einkommensteuerbescheide von Frau Schweier für diese Steuerjahre ab und setzte den Betrag der Kapitalerträge aus den fraglichen Beteiligungen auf 44 970,69 Euro für das Jahr 1997, 63 779,07 Euro für das Jahr 1998, 106 826,16 Euro für das Jahr 1999, 94 999,24 Euro für das Jahr 2000, 96 055,10 Euro für das Jahr 2001, 100 157,99 Euro für das Jahr 2002 und 116 823,07 Euro für das Jahr 2003, also auf insgesamt 623 611,32 Euro fest.

13        Frau Schweier legte gegen diese Steuernachzahlungsbescheide Einspruch ein und berief sich auf die Unvereinbarkeit der pauschalen Besteuerung nach § 18 Abs. 3 AuslInvestmG mit dem Grundsatz der Kapitalverkehrsfreiheit. Ihrer Auffassung nach dürften der ergänzenden Besteuerung nur tatsächliche Erträge zugrunde gelegt werden, deren Höhe geschätzt werden müsse. Frau Schweier begehrte den Ansatz ihrer Kapitalerträge gemäß § 18 Abs. 1 AuslInvestmG und stellte dem betreffenden Finanzamt die dafür erforderlichen Unterlagen und Berechnungen zur Verfügung.

14        Nachdem das Finanzamt Ulm diesen Einspruch zurückgewiesen hatte, erhob Frau Schweier Klage vor dem Finanzgericht BadenWürttemberg. Mit Urteil vom 27. Februar 2012 gab dieses der Klage im Wesentlichen statt, indem es entschied, dass § 18 Abs. 3 AuslInvestmG gegen den Grundsatz der Kapitalverkehrsfreiheit verstoße, und stellte folglich fest, dass die tatsächlich von Frau Schweier erzielten Kapitalerträge aus den in Rede stehenden Beteiligungen für jedes der fraglichen Steuerjahre niedriger seien als der gemäß § 18 Abs. 3 AuslInvestmG festgesetzte Betrag und sich auf einen Gesamtbetrag von 260 872,97 Euro beliefen. Das Finanzamt Ulm hat gegen dieses Urteil beim Bundesfinanzhof Revision eingelegt.

15        Im Rahmen dieser Revision hat das Finanzamt Ulm geltend gemacht, dass § 18 Abs. 3 AuslInvestmG auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar sei, da diese Bestimmung unter die „Stillhalteklausel“ gemäß Art. 64 Abs. 1 AEUV falle. Zum einen richte sich nämlich § 18 Abs. 3 AuslInvestmG, da das Verhalten eines Investmentfonds untrennbar mit der Besteuerung der Anleger verbunden sei, die Anteile dieses Fonds hielten, nicht nur gegen den Anleger, sondern auch gegen den Investmentfonds selbst und stehe somit in Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 64 Abs. 1 AEUV. Zum anderen sei die Beteiligung an einem Investmentfonds eine Direktinvestition.

16        Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, die in § 18 Abs. 3 AuslInvestmG vorgesehene pauschale Besteuerung sei geeignet, deutsche Anleger von Investitionen in Fonds, die nicht den Anforderungen gemäß §§ 17 und 18 Abs. 1 AuslInvestmG genügten, abzuhalten, da diese pauschale Besteuerung im Allgemeinen höher sei als die Besteuerung von Anlegern, die Beteiligungen an inländischen Fonds hielten und den Nachweis ihrer Erträge aus diesen Fonds nicht erbrächten. Hinzu komme die Unmöglichkeit für den Inhaber von Beteiligungen an einem sogenannten „schwarzen“ Fonds, den Nachweis über den Betrag der tatsächlich erzielten Erträge zu erbringen und so dieser pauschalen Besteuerung zu entgehen, während das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften keine solche pauschale Besteuerung für den Fall der Investition in einen inländischen Fonds vorsehe.

17        Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die in § 18 Abs. 3 AuslInvestmG enthaltene und vom Finanzamt Ulm für den in Rede stehenden Zeitraum auf Frau Schweier angewandte Norm seit dem 31. Dezember 1993 im Wesentlichen unverändert bestanden habe. Ferner führt es aus, dass die Investmentfonds, an denen sich Frau Schweier beteiligt habe, als aus einem Drittstaat stammend anzusehen seien, da diese Fonds zulassungs- und aufsichtsrechtlich auf den Kaimaninseln errichtet worden seien und die Verwaltungsgesellschaften der betreffenden Investmentfonds dort ihren Sitz gehabt hätten.

18        Das vorlegende Gericht hat allerdings Zweifel daran, dass die materiellen Anwendungsvoraussetzungen von Art. 64 Abs. 1 AEUV erfüllt sind und dass § 18 Abs. 3 AuslInvestmG in Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder mit Direktinvestitionen steht.

19        Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Steht die Kapitalverkehrsfreiheit des [Art. 63 AEUV] einer nationalen Regelung (hier: § 18 Abs. 3 AuslInvestmG), wonach für inländische Beteiligte an ausländischen Investmentfonds unter bestimmten Voraussetzungen zusätzlich zu den Ausschüttungen fiktive Einnahmen in Höhe von 90 v. H. der Differenz zwischen dem ersten und dem letzten Rücknahmepreis des Jahres, mindestens aber 10 v. H. des letzten Rücknahmepreises (oder des Börsen- oder Marktwerts) anzusetzen sind, bei Beteiligungen an Drittländerfonds deshalb nicht entgegen, weil die seit dem 31. Dezember 1993 im Wesentlichen unveränderte Regelung im Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne der Stillhalteklausel des [Art. 64 Abs. 1 AEUV] steht?

Sofern die erste Frage nicht bejaht wird:

2.  Stellt die Beteiligung an einem solchen Investmentfonds mit Sitz in einem Drittland stets eine Direktinvestition im Sinne des [Art. 64 Abs. 1 AEUV] dar oder ist die Antwort hierauf davon abhängig, ob die Beteiligung dem Anleger aufgrund von nationalen Vorschriften des Sitzstaates des Investmentfonds oder aus anderen Gründen die Möglichkeit gibt, sich effektiv an der Verwaltung oder der Kontrolle des Investmentfonds zu beteiligen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

20        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 64 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine pauschale Besteuerung der Erträge von Anteilsinhabern eines ausländischen Investmentfonds vorsieht, wenn dieser Fonds bestimmten gesetzlichen Verpflichtungen nicht genügt, eine Maßnahme darstellt, die den Kapitalverkehr im Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne dieses Artikels betrifft.

21        Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 64 Abs. 1 AEUV eine erschöpfende Liste von Kapitalbewegungen aufführt, die der Anwendung von Art. 63 Abs. 1 AEUV entzogen sein können, und als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen ist (vgl. Urteil Welte, C181/12, EU:C:2013:662, Rn. 29).

22        Daher ist zu bestimmen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften den Kapitalverkehr betreffen und ob, falls dies bejaht wird, diese Kapitalbewegungen mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen im Zusammenhang stehen.

23        Mangels einer im AEU-Vertrag enthaltenen Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ hat der Gerichtshof der Nomenklatur in Anhang I der Richtlinie 88/361 Hinweischarakter zuerkannt, wobei nach der Einleitung dieses Anhangs die darin enthaltene Aufzählung aber keinen erschöpfenden Charakter hat (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteile van Hilten-van der Heijden, C513/03, EU:C:2006:131, Rn. 39, Missionswerk Werner Heukelbach, C25/10, EU:C:2011:65, Rn. 15, und Welte, C181/12, EU:C:2013:662, Rn. 20).

24        Der Erwerb an der Börse gehandelter Anteilscheine von ausländischen Organismen durch Gebietsansässige und der Erwerb nicht an der Börse gehandelter Anteilscheine von ausländischen Organismen durch Gebietsansässige gehört zu den Kapitalbewegungen, die in Teil A betreffend „Transaktionen mit Anteilscheinen von Organismen für gemeinsame Anlagen“ der Rubrik IV („Geschäfte mit Anteilscheinen von Organismen für gemeinsame Anlagen“) des Anhangs I der Richtlinie 88/361 genannt sind.

25        Der Bezug von Ausschüttungen von Organismen für gemeinsame Anlagen, kann, auch wenn er nicht ausdrücklich in dieser Nomenklatur als „Kapitalbewegung“ aufgeführt wird, als Erwerb an der Börse gehandelter oder nicht an der Börse gehandelter ausländischer Wertpapiere durch Gebietsansässige eingestuft werden und ist daher untrennbar mit einer Kapitalbewegung verbunden (vgl. in diesem Sinne Urteil Verkooijen, C35/98, EU:C:2000:294, Rn. 29).

26        Folglich stellen nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die Besteuerung der Erträge von an Organismen für gemeinsame Anlagen beteiligten Anlegern regeln, indem sie eine unterschiedliche Besteuerung nach Maßgabe der Einhaltung der Bestimmungen der §§ 17 Abs. 3 und 18 Abs. 2 AuslInvestmG vorsehen, eine Maßnahme dar, die den Kapitalverkehr im Sinne dieser Nomenklatur betrifft.

27        Es ist daher festzustellen, ob die Kapitalbewegungen, auf die sich Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden beziehen, mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 64 Abs. 1 AEUV im Zusammenhang stehen.

28        Erstens ist die insbesondere vom vorlegenden Gericht und von der Europäischen Kommission vertretene These zu prüfen, wonach nur solche Maßnahmen, die sich unmittelbar an die Finanzdienstleister als solche richten und die Durchführung und Überwachung ihrer Finanzgeschäfte wie auch ihre Zulassung bzw. etwaige Liquidation regeln, unter Art. 64 Abs. 1 AEUV fallen können; dies treffe auf Regelungen in Bezug auf die Besteuerung von Anlegern nicht zu.

29        Insoweit ist zunächst an die Abgrenzung der Bestimmungen des Vertrags, die den freien Dienstleistungsverkehr betreffen, von denen, die den freien Kapitalverkehr regeln, zu erinnern.

30        Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass dem Wortlaut der Art. 56 AEUV und 63 AEUV sowie deren Platzierung in zwei verschiedenen Kapiteln des Titels IV des Vertrags zu entnehmen ist, dass diese Bestimmungen zwar in einem engen Zusammenhang miteinander stehen, aber zur Regelung unterschiedlicher Situationen bestimmt sind und jeweils einen unterschiedlichen Anwendungsbereich haben (vgl. in diesem Sinne Urteil Fidium Finanz, C452/04, EU:C:2006:631, Rn. 28).

31        Um festzustellen, ob eine nationale Regelung unter die eine oder unter die andere der nach dem Vertrag garantierten Grundfreiheiten fällt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile Holböck, C157/05, EU:C:2007:297, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung, Dijkman und Dijkman-Lavaleije, C233/09, EU:C:2010:397, Rn. 26, und Test Claimants in the FII Group Litigation, C35/11, EU:C:2012:707, Rn. 90).

32        Wie der Generalanwalt in Nr. 67 seiner Schlussanträge sinngemäß feststellt, fällt eine innerstaatliche Regelung, deren Gegenstand in erster Linie die Erbringung von Finanzdienstleistungen ist, unter die Bestimmungen des Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit, selbst wenn sie in Zusammenhang mit Kapitalbewegungen stehen könnte.

33        Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass eine innerstaatliche Regelung, nach der ein Mitgliedstaat für die Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe im Inland durch ein in einem Drittstaat ansässiges Unternehmen eine vorherige Erlaubnis vorschreibt und die bewirkt, dass der Zugang zum Finanzmarkt für dieses Unternehmen erschwert wird, vorwiegend den freien Dienstleistungsverkehr im Sinne der Art. 56 ff. AEUV berührt (Urteil Fidium Finanz, C452/04, EU:C:2006:631, Rn. 49 und 50).

34        Dagegen fallen innerstaatliche Maßnahmen, die zumindest hauptsächlich den Kapitalverkehr betreffen, in den Anwendungsbereich von Art. 64 Abs. 1 AEUV.

35        Unter diesen Umständen liefe es darauf hinaus, die Abgrenzung zwischen den Bestimmungen des Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr und denen, die den freien Kapitalverkehr regeln, in Frage zu stellen, wenn man verlangte, dass sich Maßnahmen, damit sie unter Art. 64 Abs. 1 AEUV fallen, unmittelbar an die Finanzdienstleister als solche richten und die Durchführung und Überwachung ihrer Finanzgeschäfte wie auch ihre Zulassung bzw. etwaige Liquidation regeln.

36        Die Auffassung, wonach Situationen, die unter den freien Dienstleistungsverkehr fallen, nicht Gegenstand von Art. 64 Abs. 1 AEUV sind, wird auch dadurch bestätigt, dass im Gegensatz zu dem den freien Kapitalverkehr betreffenden Kapitel dasjenige über den freien Dienstleistungsverkehr keine Bestimmung enthält, wonach dessen Vorschriften Dienstleistungserbringern, die nicht in der Europäischen Union ansässige Drittstaatsangehörige sind, zugutekämen, da Ziel des letztgenannten Kapitels ist, den freien Dienstleistungsverkehr zugunsten der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu gewährleisten (Urteil Fidium Finanz, C452/04, EU:C:2006:631, Rn. 25).

37        Dagegen ergibt sich aus den Art. 63 AEUV und 64 Abs. 1 AEUV, dass alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs im Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern grundsätzlich verboten sind, sofern solche Beschränkungen nicht aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder Rechtsvorschriften der Union am 31. Dezember 1993 oder gegebenenfalls am 31. Dezember 1999 bestanden haben.

38        Aufgrund der zwischen den Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr und den Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr bestehenden Unterschiede hinsichtlich ihres jeweiligen persönlichen und territorialen Anwendungsbereichs, handelt es sich daher bei den Situationen, auf die Art. 64 Abs. 1 AEUV abzielt, notwendigerweise um andere als die, die von den Art. 56 ff. AEUV erfasst werden.

39        Sodann ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 74 seiner Schlussanträge festgestellt hat, das entscheidende Kriterium für die Anwendung von Art. 64 Abs. 1 AEUV der Kausalzusammenhang zwischen den Kapitalbewegungen und der Erbringung der Finanzdienstleistungen ist, und nicht der persönliche Anwendungsbereich der streitigen nationalen Maßnahme oder ihr Verhältnis zum Erbringer anstatt zum Empfänger solcher Dienstleistungen. Wie bereits in Rn. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, wird der Anwendungsbereich von Art. 64 Abs. 1 AEUV nämlich durch Bezugnahme auf Kategorien von Kapitalbewegungen definiert, die Gegenstand von Beschränkungen sein können.

40        Der Um stand, dass eine nationale Maßnahme in erster Linie den Anleger und nicht den Erbringer einer Finanzdienstleistung betrifft, steht folglich der Feststellung, dass diese Maßnahme unter Art. 64 Abs. 1 AEUV fällt, nicht entgegen.

41        Schließlich können die Steuerregelungen der Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs entgegen der Auffassung der Kommission in den Anwendungsbereich von Art. 64 Abs. 1 AEUV fallen (vgl. insbesondere Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation, C446/04, EU:C:2006:774, Rn. 174 bis 196, Holböck, C157/05, EU:C:2007:297, Rn. 37 bis 45, sowie Prunus und Polonium, C384/09, EU:C:2011:276, Rn. 27 bis 37).

42        Was zweitens die Tragweite der in Art. 64 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Ausnahme betrifft, ist daran zu erinnern, dass die strenge Auslegung dieser Ausnahme die praktische Wirksamkeit von Art. 63 AEUV bewahren soll.

43        Um unter diese Ausnahme zu fallen, muss die nationale Maßnahme daher Kapitalbewegungen betreffen, die einen hinreichend engen Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen aufweisen.

44        Wie der Generalanwalt in Nr. 74 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, setzt ein hinreichend enger Zusammenhang einen Kausalzusammenhang zwischen den Kapitalbewegungen und der Erbringung der Finanzdienstleistungen voraus.

45        Folglich fällt eine nationale Regelung, die, obwohl sie auf Kapitalverkehr mit dritten Ländern anwendbar ist, die Erbringung von Finanzdienstleistungen beschränkt, in den Anwendungsbereich von Art. 64 Abs. 1 AEUV (vgl. entsprechend zum Kapitalverkehr im Zusammenhang mit Direktinvestitionen oder der Niederlassung im Sinne von Art. 64 Abs. 1 AEUV Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation, C446/04, EU:C:2006:774, Rn. 183, und Holböck, C157/05, EU:C:2007:297, Rn. 36).

46        Im vorliegenden Fall stehen der Erwerb von Anteilen an Investmentfonds mit Sitz auf den Kaimaninseln sowie der Bezug der sich aus diesen ergebenden Ausschüttungen im Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen durch diese Investmentfonds zugunsten des betreffenden Anlegers. Eine solche Investition unterscheidet sich von einem unmittelbaren Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch einen Anleger auf dem Markt darin, dass sie es dank dieser Dienstleistungen ermöglicht, u. a. von einer größeren Diversifikation der Vermögenswerte und einer besseren Risikoverteilung zu profitieren.

47        Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine pauschale Besteuerung verbunden mit der Unmöglichkeit für den Anleger, aufgrund der tatsächlich erzielten Erträge besteuert zu werden, vorsieht, wenn der ausländische Investmentfonds nicht die in den §§ 17 Abs. 3 und 18 Abs. 2 AuslInvestmG bestimmten Voraussetzungen erfüllt, kann die gebietsansässigen Anleger davon abhalten, Anteile an ausländischen Investmentfonds zu zeichnen, und hat damit eine geringere Inanspruchnahme der Dienstleistungen dieser Fonds durch diese Anleger zur Folge.

48        Nach alledem ist daher auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 64 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine pauschale Besteuerung der Erträge von Anteilsinhabern eines ausländischen Investmentfonds vorsieht, wenn dieser Fonds bestimmten gesetzlichen Verpflichtungen nicht genügt, eine Maßnahme darstellt, die den Kapitalverkehr im Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne dieses Artikels betrifft.

Zur zweiten Frage

49        In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

Kosten

50        Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

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