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RdF-News
15.05.2023
RdF-News
OLG Frankfurt: Keine Ausnahme vom VermAnlG für Crowdfunding-Plattformen bei bloß tatsächlicher Interessenverflechtung

OLG Frankfurt, Urteil vom 19.5.2022 – 6 U 251/21, rkr.

ECLI:DE:OLGHE:2022:0519.6U251.21.00

Volltext des Urteils: RdFL2023-148-1

Nicht Amtliche Leitsätze

1. Eine Personenhandelsgesellschaft ist mangels Rechtsfähigkeit gewerberechtlich (hier im Zusammenhang mit einer Erlaubnis gem. § 34f GewO) nicht erlaubnisfähig, darf jedoch die erlaubnispflichtigen Geschäfte betreiben,

wenn sämtliche geschäftsführende Gesellschafter eine entsprechende Erlaubnis erhalten haben.

2. Für die Frage, ob zwischen dem Emittenten von Vermögensanlagen und einer Internet-Dienstleistungsplattform eine maßgebliche Interessenverflechtung i.S. v. § 2a Abs. 5 VermAnlG vorliegt, sind die Regelbeispiele in § 2a Abs. 5 S. 2 VermAnlG nicht abschließend.

3. Eine tatbestandliche Interessenverflechtung kann sich auch dann ergeben, wenn Umstände vorliegen, die mit

Blick auf das Interesse des Anlegers an einer möglichst unabhängigen Vermittlung nicht wesentlich anders als eine durch die Regelbeispiele repräsentierte personelle oder gesellschaftsrechtliche Verflechtung zu beurteilen sind.

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die vermögensanlagerechtliche Zulässigkeit der Vermittlung von Immobilienanlagen über eine Crowdinvesting-Plattform.

Die Antragstellerin betreibt eine Crowdinvesting-Plattform für Vermögensanlagen in Immobilien-Projekte unter der Domain (a).com.

Die Antragsgegnerin betreibt eine Internetplattform zum Crowdinvesting in Immobilienprojekte unter der Domain (...).de. Auf der Plattform haben angemeldete Nutzer die Möglichkeit, in Immobilienprojekte zu investieren, und zwar ab einem Betrag von 200 €. Die Antragsgegnerin bietet ausschließlich Immobilienprojekte an, die von der V GmbH entwickelt wurden. Sie wirbt auf ihrer Plattform damit, die „hauseigene Crowdinvesting-Plattform der V GmbH“ zu sein. Man habe sich dazu entschlossen, eine eigene Plattform zu launchen (Anlage K1).

Die Antragsgegnerin verfügt als Personenhandelsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG nicht selbst über eine Erlaubnis für Finanzanlagevermittler nach § 34 f GewO. Über eine entsprechende Erlaubnis verfügt jedoch ihre Komplementärin.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, die Antragsgegnerin verstoße gegen die Erlaubnispflicht nach § 34 f GewO. Außerdem laufe der Internetauftritt der Antragsgegnerin auf einen unzulässigen Eigenvertrieb hinaus, der gegen § 2a Abs. 5 S. 1 VermAnlG verstoße. Sie behauptet, es bestünden Interessenverflechtungen zwischen der Antragsgegnerin als Plattformbetreiberin und der Emittentin der Vermögensanlagen.

Im Übrigen wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt, mit einer Alleinstellungsbehauptung zu werben (Verurteilung zu 1. b.). Weiterhin hat es der Antragsgegnerin untersagt,

1. a. ohne eine Einwilligung nach § 34f GewO Vermögensanlagen über eine Internet-Dienstleistungsplattform zu vermitteln,

wenn dies geschieht wie unter www.(...).de und in der Anlage K1 wiedergegeben.

Den weiteren Verfügungsantrag der Antragstellerin, der Antragsgegnerin zu untersagen, als Eigenvertriebs-Plattform der V GmbH Vermögensanlagen zu deren Projekten über eine Internet-Dienstleistungsplattform öffentlich anzubieten, hat es zurückgewiesen.

Hiergegen wenden sich die Parteien mit ihren wechselseitigen Berufungen, wobei die Antragsgegnerin nur die Verurteilung zu Ziff. 1. a. angreift. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt vom 6.10.2021 die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen, soweit es der Antragsgegnerin untersagt worden ist, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs ohne Erlaubnis nach § 34f GewO Vermögensanlagen über eine Internet-Dienstleistungsplattform zu vermitteln, wenn dies geschieht wie unter www.(...).de und in der Anlage K1 wiedergegeben;

2. die Berufung der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt vom 6.10.2021 die Antragsgegnerin weitergehend zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs

als Eigenvertriebs-Plattform der V GmbH Vermögensanlagen zu deren Projekten über eine Internet-Dienstleistungsplattform öffentlich anzubieten,

wenn dies geschieht wie unter www.(...).de und in der Anlage K1 wiedergegeben;

2. die Berufung der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Aus den Gründen

II. A. Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat auch in der Sache Erfolg.

Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegnerin kein Anspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3, 3a UWG i.V.m. § 34f GewO zu. Im Umfang der Verurteilung zu Ziff. 1. a. war das Urteil des Landgerichts daher abzuändern und der Eilantrag zurückzuweisen.

1. § 34f GewO stellt eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG dar. Die Bestimmung statuiert eine Erlaubnispflicht für das Gewerbe der Finanzanlagenvermittler. Sie wurde im Zuge der Finanzmarktkrise 2008/2009 zur Erhöhung des Anlegerschutzniveaus vor allem im sog. grauen Kapitalmarkt in die GewO eingefügt (vgl. BT-Drs. 17/6051, 1). Mit der Pflicht zur Erlaubnis, die eine Zuverlässigkeitsprüfung voraussetzt, reguliert sie das Marktverhalten im Interesse der Verbraucher als Marktteilnehmer.

2. Ein Verstoß gegen die Erlaubnispflicht liegt allerdings nicht vor. Die Antragsgegnerin, eine GmbH & Co KG, verfügt zwar unstreitig selbst über keine Erlaubnis nach § 34f GewO. Über eine Erlaubnis verfügt jedoch ihre geschäftsführungsberechtigte Gesellschafterin, namentlich die W GmbH (W) als Komplementärin. Das ist ausreichend.

a) Bei Personenhandelsgesellschaften ist mangels Rechtfähigkeit nicht die Gesellschaft selbst Gewerbetreibender, sondern es sind deren geschäftsführende Gesellschafter. Im Gegensatz zu juristischen Personen können sie daher nicht Inhaber einer gewerberechtlichen Erlaubnis sein. Zwar können Personenhandelsgesellschaften Träger von zivilrechtlichen Rechten und Pflichten sein (§§ 161 Abs. 2, 124 HGB); als Erlaubnisträger im Sinne des Gewerberechts kommen sie jedoch mangels Rechtsfähigkeit nicht in Betracht (vgl. BeckOK GewO/Will, § 34f GewO, Rn 135). Die gewerberechtliche Zuverlässigkeit stellt auf natürliche Personen ab bzw. auf juristische Personen, denen die Zuverlässigkeit und Sachkunde der für sie handelnden Organmitglieder zugerechnet wird. Dementsprechend heißt es in der Allgemeinen Muster-Verwaltungsvorschrift zum Vollzug des § 34f GewO unter III. „Erlaubniserteilung“, dass Personenhandelsgesellschaften wie die GmbH & Co. KG selbst mangels Rechtsfähigkeit keine Erlaubnis erhalten, sondern dass jeder geschäftsführende Gesellschafter einen Erlaubnisantrag stellen muss (Anlage AG10).

b) Das bedeutet aber entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht, dass Personenhandelsgesellschaften wie die GmbH & Co. KG nicht selbst als Finanzanlagenvermittler tätig sein dürfen. Für die Ausübung eines erlaubnispflichtigen Gewerbes einer Personengesellschaft benötigen grundsätzlich alle geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter als natürliche Personen eine eigene Erlaubnis (VG Bremen, Urteil vom 15.9.2011 - 5 K 3670/07 = BeckRS 2011, 55620; BeckOK GewO/Will, § 34f GewO, Rn 135; Landmann/Rohmer GewO/Schönleiter Rn 8 f.). Bei der GmbH & Co. KG ist geschäftsführende Gesellschafterin die Komplementär-GmbH, die als juristische Person erlaubnispflichtig ist. Ist die persönlich haftende Gesellschafterin - wie hier - Erlaubnisinhaberin und in das Vermittlerregister eingetragen, darf die GmbH & Co. KG gemäß §§ 124 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB die Vermittlungsverträge unter dem Namen ihrer Firma schließen (VG Bremen, Urteil vom 15.9.2011 - 5 K 3670/07 = BeckRS 2011, 55620, beck-online). Entgegen der Ansicht des Landgerichts führt die fehlende Erlaubnisfähigkeit der KG also nicht dazu, dass die geschäftsführende Gesellschafterin nur im eigenen Namen Finanzvermittlungsleistungen erbringen darf.

c) Etwas anderes lässt sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht aus § 2a Abs. 3, Abs. 5 VermAnlG ableiten.

aa) Das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG, auch als GraumarktGesetz bezeichnet) begründet für einen Teil der im Inland öffentlich angebotenen Vermögensanlagen u.a. eine Pflicht zur Veröffentlichung eines Verkaufsprospektes. Es bezieht sich auf Vermögensanlagen, die nicht in Wertpapieren verbrieft sind, wie stille Beteiligungen, Treuhandvermögensanteile, Genussrechte und Namensschuldverschreibungen (§ 1 VermAnlG). Nach § 2a VermAnlG sind Anlagen aus dem neuen Bereich der Schwarmfinanzierung, die über Internet-Dienstleistungsplattformen vertrieben und beworben werden, von bestimmten Anforderungen des Gesetzes (z.B. der Prospektpflicht) befreit. Durch diese Befreiung werden die Anbieter von sogenannten Crowdinvestments über Vertriebsplattformen im Internet in den Stand versetzt, die verfolgte Finanzierung von kleineren und mittleren Unternehmen weiter zu unterstützen, ohne einer Prospektpflicht und bestimmten Anforderungen an die Rechnungslegung unterworfen zu werden.

bb) Aus dem Umstand, dass die Befreiung nach § 2a Abs. 3 VermAnlG nur auf Vermögensanlagen anwendbar ist, die ausschließlich im Wege der Anlageberatung oder Anlagevermittlung über eine Internet-Dienstleistungsplattform vermittelt werden, folgt, dass der Plattformbetreiber einer Erlaubnis als Finanzanlagenvermittler nach der Gewerbeordnung bedarf. Wörtlich heißt es hierzu in der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 18/3994 S. 41):

„Damit benötigen Internetplattformen, die die Vermögensanlagen vertreiben, zukünftig eine Erlaubnis als Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach dem Kreditwesengesetz oder als Finanzanlagenvermittler nach der Gewerbeordnung.“

Daraus schließt die Antragstellerin, die Antragsgegnerin müsse selbst Erlaubnisinhaberin sein. Das überzeugt nicht. Die Gesetzesbegründung nimmt ersichtlich nur Bezug auf die Rechtslage zur Erlaubnispflicht nach § 34f GewO. Sie befasst sich überhaupt nicht mit dem Sonderfall, dass die Plattform von einer Personenhandelsgesellschaft betrieben wird, sondern geht nur von dem Normalfall aus, in dem der Betreiber selbst erlaubnispflichtig ist. Im Fall einer Personenhandelsgesellschaft bezieht sich die Erlaubnispflicht auf die geschäftsführenden Gesellschafter. Weder der Gesetzesbegründung und erst Recht nicht dem Gesetzestext lässt sich entnehmen, dass in § 2a VermAnlG davon abweichende Anforderungen statuieret werden sollten.

B. Die zulässige Berufung der Antragstellerin hat ebenfalls in der Sache Erfolg.

1. Es besteht ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeit wird nach § 12 Abs. 1 UWG vermutet. Gründe für eine Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung sind nicht ersichtlich.

2. Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegnerin aus §§ 8 Abs. 1, 3, 3a UWG i.V.m. § 2a Abs. 5 VermAnlG ein Anspruch auf Unterlassung zu, Vermögensanlagen als Eigenvertriebs-Plattform der V GmbH anzubieten.

a) Bei § 2a Abs. 5 VermAnlG handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG. Nach dieser Bestimmung ist das öffentliche Angebot von Vermögensanlagen nicht zulässig, wenn maßgebliche Interessenverflechtungen zwischen dem jeweiligen Emittenten und dem Unternehmen, das die Internet-Dienstleistungsplattform betreibt, bestehen.

aa) Eine Norm regelt das Marktverhalten im Interesse der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer, wenn sie einen Wettbewerbsbezug in der Form aufweist, dass sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt. Eine Vorschrift, die dem Schutz von Interessen von Marktteilnehmern dient, ist eine Marktverhaltensregelung, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleistung berührt wird. Nicht erforderlich ist eine spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion in dem Sinne, dass die Regelung die Marktteilnehmer speziell vor dem Risiko einer unlauteren Beeinflussung ihres Marktverhaltens schützt. Die Vorschrift muss jedoch - zumindest auch - den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezwecken; lediglich reflexartige Auswirkungen zu deren Gunsten genügen daher nicht (BGH, Urteil vom 6.6.2019 - I ZR 67/18, Rn 28, juris - Erfolgshonorar für Versicherungsberater).

bb) Die Bestimmung des § 2a Abs. 5 VermAnlG dient dem Anlegerschutz (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/12568, S. 162). Nach § 2a VermAnlG sind Angebote, die sich auf bestimmte Vermögensanlagen beziehen und die im Wege einer sogenannten Schwarmfinanzierung platziert werden, von der Prospektpflicht befreit. Diese Befreiung korrespondiert mit Verpflichtungen des Vermittlers zum Schutz des Anlegers, namentlich mit der Einhaltung einer Gesamtemissionsgrenze und der Erlaubnispflicht für den Betreiber der Internet-Dienstleistungsplattform, die dazu führt, dass z.B. die Einhaltung anlegerbezogener Anlagegrenzen zu prüfen sind (vgl. Habersack/Mülbert/Schlitt KapMarktInfo-HdB, § 8. Prospekt für Vermögensanlagen und Vermögensanlagen-Informationsblatt Rn 37, beck-online). Zu diesen Pflichten gehört auch, dass zwischen dem Betreiber der Internet-Dienstleistungsplattform und dem Emittenten keine maßgeblichen Interessenverflechtungen im Sinne des § 2a Abs. 5 VermAnlG bestehen dürfen. Denn derartige Interessenverflechtungen können dazu führen, dass dem Anleger eine ungeeignete Anlage vermittelt wird. Dieses Schutzinteresse des Anlegers wird gerade durch die Marktteilnahme, also die Inanspruchnahme der Vermittlungsleistung berührt.

cc) Der Charakter als Marktverhaltensregelung wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass nach § 18 Nr. 1a VermAnlG der BaFin als Aufsichtsbehörde eine Untersagungsbefugnis zusteht, wenn sie Anhaltspunkte dafür hat, dass entgegen § 2a Absatz 5 VermAnlG Interessenverflechtungen zwischen dem jeweiligen Emittenten und dem Unternehmen, das die Internetdienstleistungsplattform betreibt, bestehen. Die behördliche Untersagungsbefugnis schließt nicht aus, den Normverstoß zum Gegenstand eines wettbewerbsrechtlichen Verbots zu machen.

b) Bei dem Angebot nach Anlage K1 bestehen maßgebliche Interessenverflechtungen zwischen dem Emittenten und der Antragsgegnerin als Betreiberin der Internet-Dienstleistungsplattform im Sinne des § 2a Abs. 5 VermAnlG.

aa) Die Vorschrift beinhaltet in ihrem Satz 2 zwei Regelbeispiele für eine Interessenverflechtung, nämlich die personelle Verflechtung der Geschäftsführung der Emittentin und jener der Betreiberin der Internet-Dienstleistungsplattform (Nr. 1) sowie die konzernmäßige Verbundenheit der beiden Unternehmen (Nr. 2). Die Voraussetzungen beider Regelbeispiele sind vorliegend unstreitig nicht erfüllt. Wie die Systematik der Vorschrift zeigt, sind die Regelbeispiele jedoch nicht abschließend, sondern nur beispielhaft zu verstehen („insbesondere“). Eine maßgebliche Interessenverflechtung zwischen Emittentin und dem Unternehmen, das die Internet-Dienstleistungsplattform betreibt, kann sich auch aus anderen Umständen ergeben. Der abweichenden Ansicht der Antragsgegnerin kann nicht überzeugen. Der Umstand, dass Verstöße gegen § 2a VermAnlG eine Ordnungswidrigkeit darstellen und die Vorschrift insoweit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG unterliegt, kann zu keiner Beschränkung des Gesetzeswortlauts auf die Regelbeispiele führen. Es kommt auch nicht darauf an, dass die BaFin als Aufsichtsbehörde - angeblich in Abstimmung mit dem Bundesverband Crowdfunding e.V., dessen Justitiar der Antragsgegnervertreter ist - nach ihrer Verwaltungspraxis nur bei der Erfüllung der Regelbeispiele von maßgeblichen Interessenverflechtungen ausgeht. Es erscheint ausgeschlossen, dass die BaFin die Vorschrift gegen ihren Wortlaut auf die Regelbeispiele reduziert und darauf ihre Aufsichtstätigkeit beschränkt. Darauf kommt es jedoch nicht an. Der Senat ist an die Normauslegung der BaFin nicht gebunden. Es ist nicht ersichtlich, dass die BaFin der Antragsgegnerin in vorliegender Sache ein sog. Negativattest erteilt, also einen Verwaltungsakt mit Tatbestandswirkung erlassen hat.

bb) Die Antragsgegnerin ist - wie ihr Firmenname schon andeutet - letztlich eine Eigenvertriebsplattform der V GmbH ist. Sie wirbt auf ihrer Plattform damit, die „hauseigene Crowdinvesting-Plattform der V GmbH“ zu sein, auf der in jene Projekte investiert werden kann, „welche wir als V von der ersten Idee bis zur fertigen Umsetzung … begleiten“ (Anlage K1). Die beworbene Verbindung besteht tatsächlich und führt zu einer unzulässigen Interessenverflechtung.

(1) Die V GmbH (im Folgenden: „V“) ist allerdings nicht Emittentin der auf der Plattform (bislang) vermittelten Immobilienanlagen. Sie ist Projektentwicklerin (vgl. Anlage Ast19). Die von der V entwickelten Projekte werden von selbstständigen Projektgesellschaften als Emittenten umgesetzt. Zu diesen Projektgesellschaften gehört die X1 GmbH & Co. KG, die als Emittentin der vorliegend beworbenen Anlage fungiert (vgl. eid. Versicherung B, Anlage AG3). Sie wurde ausschließlich zum Zweck der Umsetzung des von V entwickelten Immobilienprojekts gegründet (Bl. 436 d.A.). Die Anteile der X GmbH & Co. KG hält als Kommanditistin eine GbR, an der die V nicht beteiligt ist. 50 % der Anteile der GbR hält jedoch der - während des Verfahrens verstorbene - Geschäftsführer der V, Herr B (vgl. Anlage AG8). Herr B war gleichzeitig Geschäftsführer der Komplementärin der Projektgesellschaft X.

(2) Die Antragsgegnerin ist mit der V schuldrechtlich durch einen Kooperationsvertrag verbunden. Weitere Partnerin der Kooperation ist die Fa. Z GmbH. Die Z ist die Muttergesellschaft der persönlich haftenden Gesellschafterin der Antragsgegnerin, der W GmbH (W) (vgl. Schaubilder, Anlage AG8). Den Kooperationsvertrag zwischen der Z, der V und der Antragsgegnerin hat die Antragsgegnerin nicht vorgelegt. Sie hat lediglich eine im Internet abrufbare Anlegerinformation vorgelegt, in der sie selbst Anleger auf mögliche Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Kooperation hinweist (Anlage S7, Bl. 175 d.A.).

Dort heißt es, dass sich der Plattformbetreiber (= Antragsgegnerin) in dem Vertrag verpflichtet habe, die Plattform zu betreiben. Für ihre (Anlage-) Vermittlungsleistung erhalte sie eine erfolgsabhängige Vergütung von der Emittentin (= X), die sie zum überwiegenden Teil an die V abführe. Die Z (= Muttergesellschaft der persönlich haftenden Gesellschafterin der Antragsgegnerin) habe sich verpflichtet, die für den Betrieb der Plattform erforderliche Infrastruktur zur Verfügung stellen und erhalte dafür von der V eine monatliche Pauschalvergütung. Die V habe ein exklusives Vorschlagsrecht für die von der Antragsgegnerin angebotenen Anlagen. Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet, jedes vorgeschlagene Projekt anzunehmen, sondern könne die Projektannahme nach eigenem Ermessen verweigern. Die Antragsgegnerin habe außerdem die Pflicht übernommen, bei der Vermittlung im Anlegerschutzinteresse eine unabhängige Plausibilitätsprüfung durchzuführen.

(3) Bei dieser rechtlichen Konstruktion halten die V bzw. ihr Geschäftsführer Herr B faktisch die Fäden in der Hand. Es muss davon ausgegangen werden, dass die komplexe Konstruktion der Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten nur deshalb gewählt wurde, um eine unmittelbare gesellschaftsrechtliche Verflechtung zwischen der X als Emittentin und der Antragsgegnerin als Vermittlerin zu umgehen. Die Fäden laufen bei der V zusammen. Diese hat die Emission der Anlagen an Projektgesellschaften und deren Vermittlung an eine (hauseigene) Vermittlungsplattform ausgelagert. Die nachgeordneten Unternehmen können - wirtschaftlich und vermögensanlagerechtlich - nicht als unabhängige Beteilige angesehen werden. Sie vollziehen letztlich die unternehmerischen Entscheidungen der V. Es kommt hinzu, dass die Antragsgegnerin die erzielten Vermittlungsgebühren zum Großteil an die V abführen muss. Die Konstruktion ist im Hinblick auf das Interesse des Anlegers an einer möglichst unabhängigen Vermittlung nicht wesentlich anders zu beurteilen wie eine personelle oder gesellschaftsrechtliche Verflechtung zwischen Emittentin und Vermittlerin und steht damit einem unzulässigen Eigenvertrieb gleich.

(4) Dem steht nicht entgegen, dass die Emittentin formal an der vertraglichen Kooperation nicht beteiligt ist. Denn es kommt nach § 2a Abs. 5 VermAnlG nicht notwendig auf eine Interessenverflechtung in rechtlicher Hinsicht an; es kann eine Interessenverflechtung tatsächlicher Art genügen. Dafür spricht die Gesetzesbegründung. Dort heißt es wie folgt (BT-Drucks. 18/12568, S. 162 f.):

In § 2a wird ein neuer Absatz 5 eingefügt, der das öffentliche Angebot von Vermögensanlagen für den Fall untersagt, dass der Emittent die Internet-Dienstleistungsplattform maßgeblich beeinflussen kann. Die Regelung reagiert auf Fallgestaltungen, in denen die Internet-Dienstleistungsplattform ihrer Intermediärfunktion nicht nachkommen kann, weil sie allein den Interessen eines Emittenten dient. Solche Fallgestaltungen liegen beispielsweise vor, wenn die Internet-Dienstleistungsplattform vom Emittenten nur für den Zweck gegründet wurde, um von den Ausnahmen nach § 2a zu profitieren. Für den Anleger besteht dann die Gefahr, dass die Internet-Dienstleistungsplattform nicht länger objektiv unter Wettbewerbsgesichtspunkten über die Aufnahme des Angebots eines Emittenten entscheiden kann, sondern allein ein Vertriebsvehikel des Emittenten darstellt. Dieser Zustand ist für Anleger nicht hinreichend transparent, weshalb solche Konstellationen künftig durch den neuen Absatz 5 ausgeschlossen werden.

Im Streitfall kann die Antragsgegnerin ihrer Intermediärfunktion faktisch nicht unabhängig nachkommen. Sie dient den Interessen der V. Auch wenn die Unternehmensverhältnisse so gewählt wurden, dass sie nicht unmittelbar mit der Emittentin verbunden ist, kann sie faktisch nicht objektiv über die Aufnahme oder Ablehnung von Angeboten der Emittentin entscheiden. Zwar mag ihr nach dem Kooperationsvertrag formal ein Recht auf Ablehnung von Projekten zustehen; da aber die V, die als Projektentwicklerin der von der Projektgesellschaft emittierten Anlage fungiert, ein exklusives Vorschlagsrecht hat, dürfte sie von diesem Recht kaum Gebrauch machen. Sie würde ihre eigene Geschäftstätigkeit verhindern, wenn sie Projekte der Projektgesellschaften der V ablehnt. Dieser Interessenkonflikt steht dem Anlegerschutzinteresse entgegen und läuft der Sache nach auf einen Eigenvertrieb der V hinaus. Die Antragsgegnerin ist als „Vertriebsvehikel“ der V anzusehen und wirbt auch so.

(5) Daran ändert auch die eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der W nichts, wonach über die im Kooperationsvertrag eingeräumten Rechte hinaus keine Einflussnahmemöglichkeiten gegenüber der Antragsgegnerin existieren (Anlage AG9). Entscheidend ist, dass die Antragsgegnerin letztlich nur Anlagen der V vermittelt. Sie kann deshalb auch nicht damit gehört werden, die Lage sei nicht anders, als bei jedem unabhängigen Vermittler, der aufgrund einer schuldrechtlichen Vereinbarung für eine Emittentin tätig werde. Der Unterschied liegt darin, dass die Antragsgegnerin als „hauseigene“ Plattform ausschließlich Projekte vermittelt, die von der V entwickelt werden. Dass die Emittentin formal eine selbstständige, von der V unabhängige Gesellschaft ist, kann keine maßgebliche Rolle spielen, zumal zwischen ihnen in der Person von Herrn B - wie gezeigt - durchaus personelle Verflechtungen bestanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

 

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