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RdF-News
07.04.2015
RdF-News
Prof. Dr. Christoph Schalast: The next step: Kapitalmarktunion

Die EU ist gerade dabei, die Finanzmärkte mit Hochdruck neu zu strukturieren. Nach dem man zunächst den Eindruck hatte, dass es nach der Lehman-Insolvenz und der Weiterentwicklung der Finanzkrise zu einer (kombinierten) Finanz- und Staatsschuldenkrise an greifbaren Reaktionen und auch spürbarer Vorsorge gefehlt hat. Doch spätestens seit Mitte 2012 hat die EZB mit dem (nur angekündigten) OMT-Programm und ihrem im März angelaufenen milliardenschweren Ankaufprogramm Quantitative Easing die Märkte mit Liquidität geflutet, auch um Investitionen zu fördern. Hinzukommt die Bankenunion mit ihrem zentralen und wohl auch wichtigsten Bestandteil, der neuen europäischen „Superbankenaufsichtsbehörde“ unter dem Dach der EZB.

Parallel dazu – und angesichts der mit den Programmen und Aufgaben verbundenen Belastungen damit fast schon etwas überraschend zum jetzigen Zeitpunkt – hat die Europäische Kommission eine Initiative zur Schaffung einer Kapitalmarktunion gestartet. Wie bei europäischen Gesetzgebungsverfahren üblich, hat sie dafür zunächst ein Grünbuch (COM/2015/063final) vorgelegt und ein öffentliches Konsultationsverfahren in Gang gesetzt, das neben den Unionsorganen und anderen EU-Stakeholdern auch allen Interessierten offensteht. Ihr Anliegen ist es dabei, die Kapitalmärkte der Mitgliedstaaten weiter zusammenzuführen und dadurch insbesondere kleinen und mittelständigen Unternehmen (KMU) neue Finanzierungsalternativen neben dem klassischen Bankkredit zu eröffnen. Ein Vorhaben, das scheinbar dem aktuellen Regulierungsmainstream nicht entspricht. Denn die unterschiedlichen nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen und auch Aufsichtssysteme, die derzeit zu den wichtigsten Hindernissen für einen stärker integrierten Kapitalmarkt gehören, können wohl nur durch eine Deregulierungsinitiative vereinheitlicht und damit für mehr grenzüberschreitende Investitionen geöffnet werden.

Doch zunächst einmal sollte man sich vor Augen führen, dass die Kapitalmarktunion im Kern nichts anderes ist, als die Umsetzung der bereits im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 (EWG) enthaltenen Kapitalverkehrsfreiheit. Der freie Kapitalverkehr gehört nach den Willen der Gründer der EWG zu den vier fundamentalen Grundfreiheiten des damals projektierten Gemeinsamen Markts, der bereits in den 1970er Jahren verwirklicht sein sollte. Der Wortlaut in Art. 63 AEUV (Ex-Art. 56 E(W)G) ist insoweit eindeutig:

„Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.“

Schaut man in einem Kommentar (z. B. Geiger/Khan/Strunz) die Vorschrift nach, sieht man schnell, dass der Zweck dieser Grundfreiheit gerade die grenzüberschreitende, nicht durch nationale Regularien behinderte Investitions- und Finanzierungsfreiheit ist. Nichts anderes strebt die Kommission nunmehr an. Aber die Geschichte der Union kennt zahlreiche solcher Wortneuschöpfungen. So wurde aus dem „Gemeinsamen Markt“ unter dem Kommissionspräsidenten Delors der „Binnenmarkt“ – allerdings verbunden mit einem imposanten Gesetzgebungspaket.

Doch muss man auch feststellen, dass die Kapitalverkehrsfreiheit bei dem großen Binnenmarktprojekt der späten 1980er Jahre etwas zu kurz kam. Dies demonstrieren die Zahlen, die die Kommission nunmehr in dem Grünbuch vorgelegt hat, eindringlich. So macht sie deutlich, dass etwa in den USA fünfmal so viel Kapital über Kapitalmärkte für KMU zur Verfügung gestellt wird als in der EU. Ähnlich unterentwickelt sind Verbriefungen sowie andere alternative Finanzierungsformen. Insgesamt sieht die Kommission deshalb ein Potential von über 100 Mrd. Euro, das man etwa für Beteiligungen an KMU zur Stärkung ihrer Innovationsfähigkeit zur Verfügung stellen kann. Interessant ist, dass dies eine Diskussion ist, die derzeit in Mitgliedstaaten wie Deutschland sehr intensiv geführt wird. Auch hier sieht man – gerade beim Thema Wagniskapital – den erheblichen Rückstand gegenüber den USA, wobei man die sehr unterschiedlichen Strukturen nicht vergessen darf. Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass in den USA Start-ups ein Binnenmarkt mit über 300 Mio. Einwohnern offensteht, bevor der Schritt ins Ausland und damit neues regulatorisches Umfeld notwendig wird. Die EU ist zwar erheblich größer, aber sie hat es eben bisher noch nicht geschafft, vergleichbar einheitliche Rahmenbedingungen und damit Marktzutritt zu über 500 Mio. Einwohnern zu schaffen. Auch die Idee, Verbriefungen, die nach 2007 dramatisch eingebrochen sind und auch in Verruf kamen, zu fördern, macht Sinn, soweit – so auch die Kommission – Qualität und Transparenz gesichert sind.

Zu Recht im Mittelpunkt steht dann die Erleichterung von grenzüberschreitenden Direktinvestitionen, sei es durch Finanzinvestoren, sei es über andere Investitionsvehikel, wozu auch Anleihen zählen können. Die Kommission hat etwa die Voraussetzungen für Privatplatzierungen, rechtliche Anforderungen an Prospekte und einen vereinfachten Zugang zu öffentlichen Investmentprogrammen im Blick.

Insoweit ist die Idee der Kapitalmarktunion sicher ein wichtiger Schritt, um alternative, grenzüberschreitende Finanzierungen für KMU zu erleichtern, und die Großunternehmen werden die damit verbundenen Vereinfachungen und damit auch Verbilligungen (Beratungskosten, Intermediäre) zu schätzen wissen. Vermutlich werden aber deutsche Unternehmen – sieht man einmal von dem Start-up/Wagniskapitalbereich ab – weniger davon profitieren. Doch gerade für die Krisenländer Südeuropas ist dies von ganz besonderer Bedeutung, denn gerade dort sind Bankfinanzierungen für KMU – trotz der Liquiditätswelle der EZB, die aber eher Immobilien und Aktien befeuert – sehr viel schwerer, wenn überhaupt zu erhalten. Und auch dies war eines der Anliegen des EWG-Vertrags von 1957: die Schaffung annähernd gleicher Lebensbedingungen in allen Mitgliedstaaten. Insoweit ist die Kapitalmarktunion ein wichtiger Baustein, um den ursprünglichen Webfehler einer Währungsunion ohne Wirtschaftsunion weiter zu beseitigen.

Prof. Dr. Christoph Schalast, RA und Notar, ist Gründungspartner der Kanzlei Schalast & Partner Rechtsanwälte in Frankfurt a. M.

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