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RdF-News
22.06.2015
RdF-News
Prof. Dr. Christoph Schalast: OMT-Urteil des EuGH vom 16.6.2015 – Was nun, BVerfG?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Outright-Monetary-Transactions- (OMT-)Urteil vom 16.6.2015 – C-62/14 mit der Billigung des Ankaufs von Staatanleihen die Befugnisse der Europäischen Zentralbank (EZB) spürbar gestärkt, was weit über die Grenzen der Europäischen Union und ihrer 28 Mitgliedstaaten, etwa in den USA, aber auch in Japan, zur Kenntnis genommen wurde.

Der Gerichtshof räumt den Notenbankern einen ganz erheblichen Ermessenspielraum im Hinblick auf geldpolitische Maßnahmen ein, insbesondere in Krisensituationen, wie es im Sommer 2012 der Fall war – und heute auch wieder ist. Folgerichtig sehen viele Kommentatoren durch diese Entscheidung das aktuelle Quantitative-Easing- (QE-)Programm sowie insgesamt die EZB bestätigt. Damit hat die EZB nun ein breites Instrumentarium zur Verfügung, um auf die aktuelle Diskussion über einen Austritt aus dem Euro und ggf. auf den Austritt Griechenlands zu reagieren.

Doch wenn es nach einer ganzen Reihe von Mitgliedstaaten, zu nennen sind Irland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Niederlande, Portugal und Finnland, gegangen wäre, dann hätte der EuGH den Vorlagebeschluss aus Karlsruhe gar nicht annehmen dürfen. Interessant ist auch, dass auch das Europäische Parlament, die Kommission und die EZB selbst – die jetzt so gestärkt aus dem Urteil hervorgeht – die Vorlage an der Zulässigkeit scheitern lassen wollten. Indem er die Stellungnahme der italienischen Regierung zitiert, macht der EuGH (Rz. 11) dann das Dilemma der Vorlage deutlich:

„Das vorlegende Gericht behalte sich nämlich die Befugnis vor, letztgültig darüber zu befinden, ob die streitigen Beschlüsse im Licht der Voraussetzungen und Grenzen, die sich aus dem Deutschen Grundgesetz ergeben, gültig seien.“

Ja, man muss der italienischen Regierung zustimmen, dies ist eine der Besonderheiten dieser Rechtsstreitigkeit: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwar zum ersten Mal überhaupt eine Rechtsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt – es hatte dafür in der Vergangenheit eine ganze Reihe von guten Gelegenheiten gegeben, bei denen eine solche Vorlage möglich bzw. angebracht gewesen wäre –, doch mit dieser scheinbaren Akzeptanz des Über-/Unterordnungsverhältnisses wollte es das Gericht dann doch nicht bewenden lassen. Es hat in seinem Vorlagebeschluss unter Rückgriff auf die ultra-vires-Lehre und die u. a. in seinem Lissabon-Urteil definierten Grenzen der Einbeziehung des deutschen Volks bei weitreichenden Integrationsfortschritten sowie den folgenden Entscheidungen zu dem europäischen Stabilisierungsmechanismus zu den Befugnissen des Bundestags seine eigenen Befugnisse (die insoweit seit Jahrzehnten höchst streitig sind) hervorgehoben. Diese Chance wollte der EuGH sich dann nicht nehmen lassen, um seine Position zum Verhältnis von nationalen Verfassungsgerichten und europäischer Gerichtsbarkeit zu dokumentieren:

„Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass ein Urteil des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren nach dessen ständiger Rechtsprechung das nationale Gericht hinsichtlich der Auslegung oder der Gültigkeit der fraglichen Handlungen der Unionsorgane bei der Entscheidung über den Ausgang des Rechtsstreits bindet (…)“

Der EuGH sagt damit klar und unmissverständlich, dass seine Entscheidung vorliegend – aber auch in Zukunft bei vergleichbaren Fällen – bindend ist. Das wäre so nicht notwendig gewesen, aber angesichts eines ersten „ultra-vires-Urteils“ durch das Verfassungsgericht der Tschechischen Republik war es vielleicht doch unumgänglich. Und damit ist die Frage aufgeworfen, wie Karlsruhe damit umgehen wird.

Die Kommentatoren sind sich da uneinig. Der frühere Richter am BVerfG (und EuGH Kritiker) Udo di Fabio rät etwa in der FAS vom 21.6.2015 dem BVerfG mit dem Zuruf „Nur Mut“, seine Position nicht aufzugeben. Andere Kommentatoren sehen es dagegen als den Verlierer. So kommentiert etwa Stephan Lorz in der Börsenzeitung vom 17.6.2015:

„Das Bundesverfassungsgericht hat zwar eine Kollision mit dem EuGH verursacht, aber es war nur ein Auffahrunfall, bei dem der Unfallgegner flott weiter fährt, das eigene Gefährt aber liegen geblieben ist.“

Doch wie kann Karlsruhe überhaupt auf die Luxemburger Antwort reagieren? Akzeptanz und Unterwerfung ist eher unwahrscheinlich. Aber auch die Bejahung eines ultra-vires-Rechtsakts mit allen damit verbundenen Konsequenzen, etwa der Verpflichtung der Bundesregierung zur Neuverhandlung der EU-Verträge (was gänzlich unrealistisch wäre), ist ebenfalls wenig wahrscheinlich. Wie also könnte eine Kompromisslinie aussehen?

Zunächst einmal darf man nicht vergessen, dass OMT bisher nicht umgesetzt wurde. Das „Whatever it takes“ war ausreichend, um Spekulationen gegen Euro-Länder zu verhindern. Also könnte das BVerfG – ähnlich wie im Lissabon-Urteil – die Beschwerden von Gauweiler & Co. zwar ablehnen, aber in der Begründung seine „rote Linie“ weiter konkretisieren. Insoweit ist ein Rückgriff auf die Dogmatik der „Solange-Rechtsprechung“ zu den Grundrechten gut denkbar. Auf jeden Fall ist aber zu befürchten, dass die Antwort aus Karlsruhe das oberste EU-Gericht nicht glücklich machen wird und das Verhältnis von nationalen Verfassungsgerichten und europäischer Gerichtsbarkeit zu einer weiteren möglichen Bruchstelle der europäischen Integration wird. Dies ist bedauerlich, aber in diesem Konflikt wohl unvermeidlich.

Prof. Dr. ChristophSchalast, RA und Notar, ist Gründungspartner der Kanzlei Schalast & Partner Rechtsanwälte in Frankfurt a. M. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind M&A, Real Estate sowie das Bank- und Finanzmarktrecht.

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