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RdF-News
01.02.2016
RdF-News
Dr. Michael Schwenke: Im Fokus des BFH: Übergang wirtschaftlichen Eigentums bei Aktiengeschäften

Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO sind Wirtschaftsgüter unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlichen Eigentums demjenigen zuzurechnen, der über sie die tatsächliche Herrschaft in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall und nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Für Aktien erlangt der Erwerber nach der Rechtsprechung des BFH wirtschaftliches Eigentum im Allgemeinen ab dem Zeitpunkt, von dem ab er nach dem Willen der Vertragspartner über die Wertpapiere verfügen kann. Das ist i. d. R. der Fall, sobald Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten, insbes. die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen, auf den Erwerber übergegangen sind (z. B. BFH, 15.12.1999 – I R 29/97, BStBl. II 2000, 527, BB 2000, 701). Beim Erwerb girosammelverwahrter Aktien im Börsenhandel geht danach das wirtschaftliche Eigentum bereits dann auf den Erwerber über, sobald ihm nach den einschlägigen Börsenusancen und den üblichen Abläufen die mit den Anteilen verbundenen Gewinnansprüche nicht mehr entzogen werden können. Hierzu genügt i. d. R. der Abschluss entsprechender schuldrechtlicher Verträge. Der Umstand, dass die entsprechende Umbuchung ggf. erst Tage nach dem Vertragsabschluss vorgenommen worden ist, tritt demgegenüber nach Auffassung des BFH zurück und beeinflusst den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht. Da es für die Zuordnung eines Wirtschaftsguts auf das Gesamtbild der Verhältnisse ankommt, kann der Übergang des „wirtschaftlichen Eigentums“ auch dann anzunehmen sein, wenn die erwähnten Voraussetzungen nicht in vollem Umfang gegeben sind.

Diese Rechtsprechung ist vielfach kritisiert worden (Anzinger, RdF 2012, 394; Kolbinger, das wirtschaftliche Eigentum an Aktien 2008, S. 171; Rau/Sahl, BB 2000, 1192), weil sie im Ergebnis für den Börsenhandel zu einer „Vorverlagerung“ des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums führt und die Problematik einer mehrfachen Erstattung von abgeführten Kapitalertragsteuern in sich trägt. Dennoch hat sich der BFH bisher nicht von dieser Rechtsprechung distanziert. Auch in seiner „Cum-/Ex“-Entscheidung vom 16.4.2014 (I R 2/12, RdF-Entscheidungsreport Feyerabend, RdF 2014, 344) tut er dies nicht, obwohl er einen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber der Aktien dort verneint. Denn bereits aufgrund des vereinbarten Gesamtvertragskonzepts konnte das wirtschaftliche Eigentum des Erwerbers der Aktien nicht übergehen. Und ganz ähnlich verhält es sich in der neuen Entscheidung des BFH vom 18.8.2015 – I R 88/13, zur Wertpapierleihe. Auch hier war das streitgegenständliche Geschäft aufgrund der „Bestimmungen der abgeschlossenen Leihverträge und der Art ihres Vollzugs“ nach Auffassung des BFH schon nicht darauf angelegt, dem Entleiher die Erträge aus den „verliehenen“ Aktien in einem wirtschaftlichen Sinn zukommen zu lassen. Auch hier im Ergebnis also kein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums. Aber auch in dieser Entscheidung distanziert sich der BFH nicht von seiner „alten“ Rechtsprechung zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an Aktien. Allerdings wird man festhalten müssen, dass der BFH damit zum zweiten Mal innerhalb einer kürzeren Zeitspanne den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei Aktiengeschäften mit einer durchaus vergleichbaren Begründung versagt hat.

Weiter ist anzumerken, dass der BFH in beiden Urteilen nicht von einem Gestaltungsmissbrauch i. S. v. § 42 AO ausgegangen ist, obwohl dies in beiden Verfahren von der Finanzverwaltung vorgetragen worden war. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich die Geschäftsverteilung innerhalb des BFH ab 2016 verändert hat. So ist nunmehr der VIII. Senat des BFH für den Steuerabzug vom Kapitalertrag und Anrechnung der Kapitalertragsteuer zuständig geworden. Bislang war dies der I. Senat des BFH, aus dessen Feder auch die genannten Urteile stammen. Der Rechtsprechung des VIII. Senat des BFH ist aber zu entnehmen, dass bei Wertpapiergeschäften, die zwangsläufig zu einem wirtschaftlichen Gesamtverlust führen müssen und nur durch die Inanspruchnahme steuerlicher Effekte rentierlich werden können, von einem Fehlen eines wirtschaftlich vernünftigen Grunds für das Rechtsgeschäft und damit von Gestaltungsmissbrauch auszugehen ist (BFH, 27.7.1999 – VIII R 36/98, BStBl. II 1999, 769, BB 2000, 78). Es bleibt also spannend.

Dr. Michael Schwenke ist Mitglied im I. Senat am Bundesfinanzhof.

 

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