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RdF-News
02.12.2016
RdF-News
BT: Vierter Untersuchungsausschuss/Ausschuss: Behörde seit 2011 gegen Cum/Ex-Geschäfte

 

Missbräuchliche Steuererstattungen im Zuge von Cum/Ex-Modellen sind vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) seit 2011 weitestgehend unterbunden worden. Nach einem Hinweis aus dem Bundesfinanzministerium (BMF) im Frühjahr 2011 ging die Behörde konsequent gegen die ihrer Meinung nach illegalen Geschäfte vor, mit denen der Staat dazu gebracht werden sollte, Investoren über ein Geflecht aus Banken und Beratern eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach zu erstatten. Dies geht aus den Aussagen hervor, die BZSt-Mitarbeiter in der öffentlichen Sitzung des vierten Untersuchungsausschusses (Cum/Ex) des Bundestages machten.

Das Gremium unter Vorsitz von Hans-Ulrich Krüger (SPD) hatte an diesem Tag nur Zeugen aus dem BZSt geladen, um sich über die Arbeitsweise der Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMF und speziell die Aufarbeitung der Cum/Ex-Thematik zu informieren. Am Ende der siebenstündigen öffentlichen Befragung sagte der Präsident der Behörde, Eberhard Petersen, er sei stolz darauf, wie die Mitarbeiter des zuständigen Referats die Aufarbeitung des Cum/Ex-Betruges in den Griff bekommen hätten. Im Ergebnis seien bedeutende Summen gar nicht erst ausgezahlt beziehungsweise zurückgefordert worden. Und die Arbeit sei noch längst nicht beendet.

Als erste Zeugin schilderte Sachbearbeiterin Jana Stobinsky, wie sie im März 2011, gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit in dem für die Kapitalsteuerentlastung zuständigen BZSt-Referat, mit dem Thema Cum/Ex konfrontiert worden sei. Ihre Aufgabe sei es gewesen, zu überprüfen, ob die von Ausländern einbehaltene Kapitalertragsteuer nach einem Doppelbesteuerungsabkommen auf Antrag erstattet werden kann. Dies war bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bis Ende 2011 möglich. Die Antragsfrist beträgt vier Jahre.

Nach dem vom BMF übermittelten abstrakten Hinweis eines Informanten auf missbräuchliche Gestaltungen mit Cum/Ex-Trades um den Dividendenstichtag, habe man vor dem Problem gestanden, diese Geschäfte ausfindig zu machen, erläuterte Stobinsky. Es seien Kriterien entwickelt und ständig angepasst worden, um aus jährlich rund 20 000 Anträgen potenzielle Cum/Ex-Prüfungsfälle herauszufiltern. Diese seien dann angeschrieben und um Informationen gebeten worden. Ziel sei gewesen, verdächtige Anträge zu stoppen und nicht zur Auszahlung zu bringen.

Große Unterstützung sei vom BMF - auch über den kurzen Dienstweg - und von den Länderfinanzbehörden gekommen, und auch die Abwicklungsgesellschaft Clearstream habe bei technischen Fragen geholfen, sagte Stobinsky. Ihrer Erkenntnis nach hätten sich die Cum/Ex-Akteure 2011 noch einmal einen "ordentlichen Schluck aus der Pulle" genehmigen wollen, denn es seien enorm hohe Antragssummen registriert worden. Um keine Fälle in die Verjährung laufen zu lassen, seien Ermittlungsschreiben verschickt worden. Daraufhin seien Kanzleien und Berater ins Spiel gekommen, die auf eine schnelle Auszahlung der Steuern gedrängt und auch Gutachten vorgelegt hätten. Es habe Indizien für ein Netzwerk aus Beratern und Brokern gegeben, sagte Stobinsky auf eine Frage des SPD-Obmanns Andreas Schwarz. Wie bei einem Puzzlespiel habe man am Ende gesehen, dass immer bestimmte Leute am Werk gewesen seien.

Zur Frage der strafrechtlichen Relevanz sagte Stobinsky, ihr Referat ermittle den Sachverhalt, und bei einem Anfangsverdacht auf Strafbarkeit übernehme die Bußgeld- und Strafsachenstelle des BZSt. Werde aus dem Steuerverfahren ein Strafverfahren, müsse die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden. Mittlerweile arbeite ihr Referat gegen die Zeit, erläuterte sie, denn die Fristen für die Aufbewahrung einschlägiger Unterlagen seien im Ausland oft kürzer als in Deutschland, wo die Frist zehn Jahre betrage.

Zur Entwicklung der Cum/Ex-Praxis sagte die Steuerexpertin auf eine Frage des Linken-Obmanns Richard Pitterle, dass es sich in allen von ihr ermittelten Fällen um Absicherungsgeschäfte gehandelt habe. Seien die von den Ländern 2008 und 2009 verfolgten Fälle noch recht einfache OTC-Geschäfte - also außerhalb des Börsenhandels - zwischen zwei Vertragspartnern gewesen, habe es 2011 eine Fortentwicklung hin zu "Cum/Ex 2.0" gegeben. Es seien dann als weitere Ermittlungshürde Future- und Derivategeschäfte aufgetaucht. Ihrer Meinung nach seien diese Geschäfte durch eine Kette vieler Stationen und über mehrere Ländergrenzen hinweg bewusst verschleiert worden.

Auf eine Frage des Grünen-Obmanns Gerhard Schick zum Vorgehen der Staatsanwaltschaften merkte Stobinsky an, dass es aufseiten der Strafverfolger offenbar keine einheitliche Meinung zu diesen Geschäften und dem damit möglicherweise verbundenen Verdacht auf Steuerhinterziehung gebe. Es gebe Staatsanwaltschaften, die die Sichtweise des BZSt nicht teilten. Auf eine weitere Frage Schicks zu Amtshaftungsklagen gegen die Behörde und deren Mitarbeiter sagte sie, sie sei "massiv angegangen" worden, und die von den Klägern vorgelegt rechtliche Expertise sei als Einschüchterung zu verstehen gewesen. Offenbar seien die Klagen angestrengt worden, um die Legitimität der Cum/Ex-Geschäfte gerichtlich bestätigt zu bekommen, sagte Stobinsky auf Nachfrage von Krüger.

Im Anschluss sagte BZSt-Referentin Sabine Holthausen aus, die seit 2013 im Cum/Ex-Referat St III 3 arbeitet. Ihrer Einschätzung nach werden die Ermittlungen auch dadurch erschwert, dass es noch kein grundsätzliches Urteil des Bundesfinanzhofes zu der Problematik gebe. Ein Lichtblick sei jedoch das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom Februar 2016. Danach gibt es keine Gesetzeslücke zur doppelten Anrechnung von Kapitalertragsteuer und kein mehrfaches wirtschaftliches Eigentum.

Holthausen zufolge wurden bis Ende November 2016 rund 570 Anträge auf Erstattung mit einem Volumen von 2,8 Mrd. Euro überprüft. Davon seien 270 Fälle mit einem Volumen von 1,7 Mrd. Euro noch nicht abschließend geprüft. Von diesem wiederum seien in 120 Fällen mit einem Volumen von 1,2 Mrd. Euro keine Auszahlungen vorgenommen worden, und 500 Mio. Euro seien noch in Prüfung. Bei 100 Fällen sei keine Cum/Ex-Gestaltung erkennbar gewesen. Insgesamt seien 350 Mio. bis 400 Mio. offen. Die Voraussetzungen, diese Gelder zurückzubekommen, seien aber sehr gut. Durch die Arbeit des BZSt gebe es die Chance, einen Steuerschaden zu vermeiden.

Mehrere Fragen der Abgeordneten drehten sich um die Personalausstattung des Referats. Sie habe immer das bekommen, was gebraucht wurde, um die Fälle aufzuklären, sagte Holthausen auf eine Frage der CDU-Abgeordneten Sabine Sütterlin-Waack. So seien in drei Jahren 300 Anträge bearbeitet und 300 Mio. Euro zurückgeholt worden.

Jürgen Binger, der Ende 2011 als Leiter das Referat übernahm, schilderte, wie bei ihm kurz darauf "alle Alarmglocken" angingen, als er eine ungewöhnliche Berufsträgerbescheinigung zu einem Cum/Ex-Fall zu Gesicht bekam, in der auf mehreren Seiten ausgeführt worden sei, was alles nicht zu prüfen gewesen wäre. Auch Binger vertrat die Ansicht, dass mit Amtshaftungsklagen "ganz eindeutig" Druck auf ihn und seine Mitarbeiter ausgeübt werden solle.

Zu möglichen Cum/Ex-Fällen aus den Jahren 2007 bis 2009 sagte Binger, diese würden dann Gegenstand von Ermittlungen, wenn sie in einem Zusammenhang mit aktuellen steuerstrafrechtlichen Ermittlungen stünden. Liegengeblieben seien mit Sicherheit keine Fälle. Für die weitere Arbeit des BZSt hofft Binger auf Rückenwind durch den Cum/Ex-Ausschuss. Es habe bereits Fälle gegeben, in denen Rückforderungsfälle einvernehmlich geregelt werden konnten. Insgesamt könne die Aufarbeitung aber "noch etliche Jahre" dauern. Binger sowie Stobinsky und Petersen wurden anschließend in geheimer Sitzung weiter befragt.

(hib vom 2.12.2016)

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